Koenigsbrunner Zeitung

Gerhard Richters Traum

Sein neues Werk pendelt zwischen Religion und Wissenscha­ft

- Carsten Linnhoff, dpa

Münster

Seit Jahren hatte Gerhard Richter einen Traum. Er wollte ein Kunstwerk erschaffen, bei dem das Foucault’sche Pendel eine Hauptrolle spielt. Der Maler und Bildhauer aus Köln, dessen Werke in der weltweiten Kunstszene für Millionens­ummen gehandelt werden, aber fand lange keinen geeigneten Ort, um Wissenscha­ft und Kunst zu vereinen. Der französisc­he Physiker Léon Foucault, der Mitte des 19. Jahrhunder­ts mit seinem Pendel anschaulic­h die Erdrotatio­n nachwies, sollte Ausgangspu­nkt sein für ein Werk, das von diesem Wochenende an in Münster für die Öffentlich­keit frei zugänglich ist.

„Ich bin erleichter­t und beglückt, dass es jetzt geklappt hat“, sagte der 86-Jährige am Samstag in Münster. Das Werk hat er der Stadt geschenkt. Mithilfe von Sponsoren wurde es jetzt vollendet. Und da es in der entweihten Dominikane­rkirche in Münsters Innenstadt zu bestaunen ist, spielt neben Kunst und Wissenscha­ft jetzt auch noch die Religion eine Rolle. Münster als Ort für das Richter’sche Pendel ist nur halb ein Zufall.

Kasper König, langjährig­er Leiter der Skulpturpr­ojekte Münster und früherer Chef des Museums Ludwig in Köln, ist mit Richter befreundet. Er knüpfte die Kontakte und zuerst hatten die Kulturvera­ntwortlich­en in Münster einen alten Gasometer am Rande der Stadt als Ort für das Pendel-Werk vorgeschla­gen. Nach einer ersten Visite aber stand fest: Das passt nicht.

Dann der zweite Versuch: Für die barocke Dominikane­rkirche in Münster gab es keine Verwendung mehr. Richter war sofort begeistert. „Diese Kirche ist ein schönes Bauwerk. Gute Architektu­r. Kirchen gefallen mir sowieso“, sagte Richter einen Tag bevor sein Werk dann auch für die Öffentlich­keit freigegebe­n wurde. Der Künstler zeigte sich gut gelaunt. Ob er nach der Gestaltung eines Fensters im Kölner Dom („Richter-Fenster“) und jetzt dem Pendel in Münster weitere Werke in Kirchen plane? „Ich bin jetzt etwas zu alt, aber ich hätte nichts dagegen“, sagte der in Dresden geborene Richter.

Beim Pendel in Münster gab es viele Beteiligte. Architekte­n, Statiker und Physiker der Uni Münster. Es ist ein Dreiklang aus dem Pendel, einer 48 Kilogramm schweren Messingkug­el, die an einem fast 29 Meter langen Stahlseil hängt, einer dunklen Bodenplatt­e und vier sechs Meter hohen Glastafeln. Sie hängen paarweise vor den Kirchenwän­den und reflektier­en die Bewegungen des Pendels und die der Kirchenbes­ucher. „Es geht um Visualisie­rung der Wissenscha­ft, um Wahrnehmun­g. Die Erdrotatio­n ist ansonsten ja nicht zu sehen“, sagt Marcus Lütkemeyer von der Kunsthalle Münster. Wie viel Richter und wie viel Foucault jetzt in dem Kunstwerk steckt, wollte Richter nicht bewerten: „Das müsste ein Kunsttheor­etiker beantworte­n.“

Richter-Fans sollten beim Besuch des Pendels Zeit mitbringen oder ein meditative­s Kunstverst­ändnis. In Münster dauert eine Erdrotatio­n 30 Stunden. Richter hat auf der Bodenplatt­e eine Skalierung aufmalen lassen. Pro Stunde wandert das Pendel um 12 Grad im Uhrzeigers­inn nach Osten. Wer das beobachten will, braucht Konzentrat­ion, Ausdauer und Geduld.

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Foto: dpa „Foucault’sches Pendel“: Richter, 86, bei der Übergabe des Geschenks.

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