Moskau: Der tumbe große Bruder
Es gibt Städte, die einen mit ihrem Charme sofort in Beschlag nehmen. Feine Architektur, fröhliche Straßenverkäufer, Sonne und Kaffee. Und es gibt Moskau. Neben dem hippen Berlin, dem schicken Paris oder Londons Lässigkeit wirkt Russlands Hauptstadt wie der tumbe große Bruder. Muskelbepackt und der Konversation nur zugeneigt, wenn es um die Androhung einer Tracht Prügel geht.
Zwölfspurige Stadtautobahnen führen an Plattenbausiedlungen der Größe manch ehemaliger Teilrepublik vorbei.
Moskau verlangt seinen Besuchern etwas ab, ist nicht sofort gewillt, die Reize zur Schau zu stellen, die das wirtschaftliche, politische und kulturelle Zentrum des Landes zu bieten hat. Das sogenannte Fanfest beispielsweise erwartet von seinen Zuschauern körperliche Anstrengung, um dann mit tausenden anderen beim Public Viewing auf Bildschirme zu glotzen und sich vom russischen Kirmes-Techno die Trommelfelle verkloppen zu lassen. Die Fanmeile liegt auf den Sperlingsbergen über der Stadt. Die Metro fährt hier nicht hin. Es sind lediglich 70 Höhenmeter – die reichen den Moskowitern aber, um im Winter Ski zu fahren. Dann fährt auch eine Seilbahn rauf. Zur WM: Fußmarsch. Am Ende dessen eine Plattform, die den Blick auf eine spektakuläre Stadt freigibt. Die Moskwa schlängelt sich gefühlvoll an sozialem Wohnungsbau und Prachtimmobilien vorbei, zu Füßen liegt das Luschniki-Stadion, Parkanlagen durchziehen das Stadtbild. Von oben gibt es eben immer noch den besten Überblick.
Moskau macht es aber nicht nur seinen Besuchern schwer, die Stadtverwaltung piesackt mit Vorliebe die Einheimischen. Aufgrund der großen Entfernungen zwischen den Metro-Stationen führen viele Berufspendler einen Tretroller mit sich. Da traf es sich gut, dass Bürgermeister Sergej Sobjanin in den vergangenen zwei Jahren 1,7 Milliarden Euro für Straßenbau bereitstellte. Endlich keine Schlaglöcher, einfach dahingleiten mit dem Roller.
Dummerweise hatte Sobjanin aber andere Pläne. Dem Mann wird eine besondere Vorliebe für Pflastersteine nachgesagt, die nun allerorten verlegt werden. Mitunter ließ er sogar Straßen aufreißen, die den Russen noch als problemlos befahrbar galten. Möglicherweise vermute der Bürgermeister einen Schatz unter den Straßen, witzelten die Einwohner. Bisher wurde noch keiner gefunden. Dafür freuen sich die Orthopäden über die Pflastersteine.