Wie sich Tierleid verändert hat
Der Tierschutzverein Augsburg und Umgebung wurde vor 150 Jahren gegründet. Vorsitzender Heinz Paula erklärt, warum Tierschutz schon damals wichtig war. Heute bereiten ihm neue Problemfälle Sorgen
Herr Paula, warum waren Tierschützer in der Region schon vor 150 Jahren aktiv? Paula:
Tiere wurden oft sehr schäbig behandelt. Hunde mussten an kurzen Ketten den Hof bewachen. Brauereirösser wurden bis zur Erschöpfung vor schwere Wagen gespannt und auf sie eingeprügelt. In dieser Zeit kamen auch die Tierversuche auf.
Warum wurde der Tierschutzverein 1868 gegründet – damals noch für Schwaben und Neuburg? Paula:
Zu dieser Zeit gab es landesweit einen gesellschaftlichen Impuls für die Gründung von Tierschutzvereinen. Er kam aus der liberalen, aufgeklärten Bürgerschicht. Zunächst ging es vor allem darum, Tiere vor Misshandlungen und Quälerei zu schützen.
Wie gingen die Tierschützer damals vor? Paula:
Zunächst wurden vor allem Verstöße angezeigt. Das war auch nötig. Allein im Jahr 1898 gab es in Schwaben 125 wegen Tierquälerei Verurteilte, davon 33 in Augsburg, zwölfmal wurden Haftstrafen verhängt, 21-mal Geldstrafen.
Wie war es im Nationalsozialismus um den Tierschutz bestellt? Paula:
Nach Hitlers Machtübernahme wurde der Augsburger Tierschutzverein 1933 aufgelöst und das Vereinsvermögen an die Hitlerjugend überwiesen. Ein Verein, der einfach ohne braune Ideologie dem Tierschutz diente, das passte offenbar nicht in den gleichgeschalteten Staat.
Wie ging es nach dem Krieg weiter?
Paula:
1947 wurde der Tierschutzverein neu gegründet. Nach dem Krieg waren nicht nur Menschen in Not, auch Tieren ging es schlecht. Viele waren unterernährt, verwahrlost oder verletzt. Ehrenamtliche Helfer nahmen solche Tiere mit nach Hause. Aber bald wusste man nicht mehr, wohin mit ihnen. Deshalb wurde 1957 der Grundstein fürs Augsburger Tierheim gelegt.
Wie kam es zum Standort an der Holzbachstraße? Paula:
Damals haben Ehrenamtliche des Tierschutzvereins regelmäßig mit dem Augsburger Bürgermeister Magnus Bunk Schafkopf gespielt. Er wurde immer wieder auf die Tierheimpläne angesprochen und hat geholfen, ein Grundstück zu finden.
War das Tierheim schnell voll?
Paula:
Es war damals noch eine bescheidene Hütte. Aber es war innerhalb weniger Tage voll. In den kommenden Jahren hat der Verein das Tierheim dann schrittweise erweitert, bis zum heutigen Ausbaustand. Weil die tierschutzrechtlichen Anforderungen steigen, brauchen wir weitere Neubauten. Der Tierschutzverein muss ein Vorbild sein. Bauliche Defizite im Tierheim können wir momentan nur durch einen erhöhten Personalaufwand ausgleichen.
Sie kümmern sich aber nicht nur um Haustiere wie Hunde und Katzen ... Paula:
Ab den 1960er Jahren wurde der Umweltschutz ein wichtiges Thema. Man wollte sich im Verein auch um Wildtiere kümmern. Man begann, Flächen zu erwerben, um Lebensräume für selten gewordene heimische Tierarten zu schaffen und zu erhalten. Das erste Grundstück war ein Niedermoor, die „Mertinger Höll“.
Wie viele Biotope betreut der Verein heute? Paula:
Insgesamt sind es fast 40 Hektar Fläche, im Landkreis Aichach-Friedberg und im Augsburger Land. Unser großes Vorzeigeprojekt ist die ehemalige Lehmgrube Lützelburg. Sie ist Teil des Netzes europäischer Schutzgebiete „Natura 2000“. In Lützelburg gibt es besonders seltene Arten wie den Ameisenbläuling, den Kammmolch oder Gelbbauchunken. Der Tierschutzverein ist inzwischen auch Eigentümer eines Gutshofes in Königsbrunn, wie kam es dazu? Paula:
Als Hedwig Morhard aus Königsbrunn dem Verein einen Gutshof vererbte, ging für uns ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung. Wir konnten dort einen Gnadenhof einrichten. Inzwischen ist Gut Morhard auch ein „Arche-Hof“für alte Nutztier-Rassen, die vom Aussterben bedroht sind. Wir halten dort beispielsweise das Augsburger Huhn. Von dieser Rasse gibt es nur noch rund 700 Tiere.
Auf Gut Morhard gibt es ein pädagogisch betreutes Erlebnisprogramm für Besucher, warum? Paula:
Dort haben wir die Möglichkeit, Menschen nicht nur über den Verstand, sondern auch mit dem Herzen für Tierschutz zu gewinnen. Wir wollen vermitteln, wie wichtig der Respekt vor Lebewesen ist. Es geht um artgerechte Tierhaltung, aber auch um bewusste Ernährung. Denn gerade Nutztiere wie Hühner, Puten oder Schweine werden heute unter qualvollen Umständen in Massentierhaltungen gehalten, in verschlossenen Ställen, weit weg von den Verbrauchern. Auf den Verpadringend ckungen sind dann glückliche Tiere zu sehen. Den Kunden wird eine Idylle vorgetäuscht.
Wo sehen Sie neue Herausforderungen für den Tierschutz? Paula:
Der internationale Tierhandel im Internet ist ein neuer Geschäftszweig, der uns sehr beschäftigt. Er führt dazu, dass Tierbabys auf schäbigste Art und Weise als Massenware produziert und dann – oft krank – aus dem Kofferraum heraus verkauft werden. Meistens landen sie danach im Tierheim. Wir beobachten auch eine Entwicklung, die uns Sorgen macht: Private Tiersammler mit verwahrlosten Haushalten nehmen zu. Aber auch ein anderer Trend ist spürbar und sehr erfreulich: Mehr Menschen interessieren sich für Tierschutz.
Paula (lacht):
Ich hätte zwei Wünsche. Artikel 20a Grundgesetz: „Der Staat schützt die Tiere“wird konsequent umgesetzt. Ich wünsche mir auch, das Augsburger Tierheim würde eines Tages überflüssig werden. Aber das wird ein Wunschtraum bleiben.
Interview: Eva Maria Knab