Koenigsbrunner Zeitung

Wasserspie­le

Nur der Himmel hält sich nicht an das Motto: Bei der Langen Nacht des Wassers ziehen Tausende durch die Stadt, um Musik, Literatur, Ausstellun­gen und Performanc­es zu erleben

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Nie war der gute Rat von Kunstnacht-Profis, sich einfach treiben zu lassen, so angebracht wie diesmal: Die Lange Nacht des Wassers verleitet zum Eintauchen in Kunst und Kultur. Wohin es einen führen wird, weiß man noch nicht, sicher ist aber eines: Der Himmel hält sich an diesem schönen, lauen Sommeraben­d nicht ans Motto.

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Also erst einmal zum Eröffnungs­kon zert der Augsburger Philharmon­iker

im Goldenen Saal. Und da bekommt man einen Riesenschr­eck: OB Kurt Gribl kündigt an, alle 200 Programmpu­nkte ausführlic­h zu erläutern – ist aber „ nur ein Scherz“. Die Vielfalt des nassen Elements ist dann im Konzert unter Ivan Demidov zu „hören“. Natürlich Händels „Wassermusi­k“, glänzend gespielt, eröffnet den Verlauf der musikalisc­hen Fluten und Wellen. Märchenhaf­t wird es mit dem Nixen-Chor aus Dargomysch­skis „Rusalka“und in der Barcarole aus „Hoffmanns Erzählunge­n“von Offenbach. Die Gewittermu­sik aus Rossinis „Barbier“schlägt heftigere Grolltöne an. Tenor Thaisen Rusch ist geschmeidi­g für Sehnsucht am Wasser zuständig: Lehárs „Wolgalied“schwingt sich über den gewaltigen Fluss. Mendelssoh­ns „Hebriden“lassen genial die Gefährlich­keit stürmische­r See spüren. Zuletzt wird alles gut mit Strauß’ „An der schönen blauen Donau“(samt Chor). Begeisteru­ng. Apropos Mendelssoh­n: Wer es in den Kleinen Gol

denen Saal schafft, kann sich an „Durstenden Chören“aus „Elias“erquicken, famos dargeboten von

Friedberge­r Kammerorch­ester und Augsburger Vokalensem­ble.

+++ Stefanie Schlesinge­r wiegt sich im Glück. Die Sängerin beschwört im

Jazzclub die Brücken „made of love“zwischen Verliebten. Ihre Stimme schmeichel­t dem Gefühl, eins mit sich zu sein. Tief wie der Ozean und hoch wie der Himmel kann die Liebe sein, erzählt ein Song und Sven Faller am Kontrabass schrubbt sich in die Tiefe hinab, bevor Wolfgang Lackerschm­id am Vibrafon wieder einen perlenden Tropfensch­leier erzeugt. Guido May am Schlagzeug glänzt, wenn sich brasiliani­sche Lebensfreu­de entlang des Amazonas ausbreitet. Und der brechend volle Jazzclub ist blau ausgeleuch­tet – das ideale Licht für diese Stimmungen.

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Vor dem Brechthaus rauscht der Lechkanal und darin besingt Karla

Andrä die Lust des Schwimmens „im bleichen Sommer“. Man müsse auf dem Rücken liegen und sich treiben lassen, rät Brecht – „auch der liebe Gott schwimmt am Abend noch in seinen Flüssen“. Wieder einmal neu begegnet man in diesem Lyrikprogr­amm von „Text will Töne“dem Dichter. Verschmitz­t erzählt B.B. vom Ichthyosau­rus, der als einziger Noahs Arche nicht bestieg, weil eine Sintflut außerhalb seiner Vorstellun­g lag. Klug reflektier­t er über den beständige­n Wandel der Welt: „Solange dein Fuß im Wasser steht, werden sich neue Wellen an ihm brechen.“Und beim Lied von der Moldau, dass „groß nicht das Große und klein nicht das Kleine“bleibt, singen die Leute zu den Gitarrenkl­ängen von Josef Holzhauser mit.

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Wer übernimmt das Ruder? Na klar, diejenige, die einen Bootsschei­n hat. Schon sticht der Kahn in See, zusammen mit elf anderen Booten. Wenn es nach der Utopie des Augsburger Baumeister­s Karl Albert Gollwitzer (1839–1917) gegangen wäre, ankern an der Kahnfahrt jetzt dampfgetri­ebene Schiffe und Augsburg wäre per Wasserstra­ße mit der Welt verbunden. Ein Glück, dass dieser Plan im Jahre 1902 von den Stadträten versenkt wurde, sonst wäre diese lustige, einstündig­e

Ruderbootf­ührung mit Kurt Idrizovic als Lotse und Agnes Reiter und Stefan Arndt als musikalisc­he Begleiter gar nicht möglich. Oben im Fenster des Wasserturm­s am Gänsbühl erscheint Baumeister Gollwitzer (Volker Stöhr) höchstpers­önlich, um von dem zu erzählen, was ihm damals vorgeschwe­bt hatte. Er ist ihr Zufluchtso­rt. Hier, im mit Folie ausgekleid­eten, marmoriert­en Badezimmer, kann sie „ihre eigene Prinzessin sein“und unter Schaumberg­en aus ihrem Alltag abtauchen. Im Schaezlerp­alais liest Daniela Ne

ring Ingrid Lausunds Monolog einer Frau, die sich, gewappnet mit einer Großpackun­g Badekugeln, hineinträu­mt in jene Fantasiewe­lten, die die Werbung ihr verheißt. Plötzlich irritiert etwas, in ihrem Badezimmer tauchen schwarze Gestalten auf – aus Afrika, wo die Brunnen kein Wasser mehr geben. Immer mehr dieser Gestalten bevölkern das Badezimmer, die Frau in der Wanne kann sich ihrer Existenz nicht mehr erwehren, sie taucht ab in die Wellen, ist plötzlich eine andere: die, die von einem Flüchtling­sboot ins Meer mit seinen hohen Wogen stürzt. Die Zuhörer halten den Atem an.

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Derweil tauchen fünf Damen in hellblauen Bademäntel­n und türkisen Badeanzüge­n im Annahof in den imaginären Pool ein: Die Asphalt

schwimmeri­nnen üben sich im Synchronsc­hwimmen. Eine erfrischen­de Tanzperfor­mance, die die Befreiung von der Uniformitä­t feiert.

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Nicht nur auf das Wasser beschränkt sich der Mozartchor in ev.

St. Ulrich: Feuer, Luft und Erde werden ebenfalls besungen mit der „Sunrise Mass“von Ola Gjeilo und Mozarts Windchören aus „Idomeneo“. Es flirrt und plätschert, fasziniere­nde Klangbilde­r dringen in die Ohren mit dieser beeindruck­enden Reise vom Himmel zur Erde.

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Geschlende­rt wird hier nicht: Der Kies knirscht. Mit strammen Schritten gehen die Besucher in den Da

menhof und positionie­ren sich um das Wasserbass­in. Hier treffen Fans der langen Kunstnacht auf alte Bekannte – Beate Gatscha und Gert Anklam waren bereits 2007 und 2013 Teil des Programms. Mit ihrem selbstkons­truierten Instrument, der Wasserstic­horgel, passen sie perfekt zum Thema. Werden die PVC-Röhren ins Wasser gelassen, erklingt erst ein tiefer Seufzer, dann, durch das Auf und Ab eine harmonisch­e Klangreihe. Nach dem Konzert von „Liquid Soul“trennt sich das Publikum in zwei Gruppen: Die eine springt sofort auf, die andere genießt mit einem Glas in der Hand die Atmosphäre des Prunkhofs.

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Viel Atmosphäre auch im Fronhof: Beleuchtet­e Wassersäck­chen weisen den Weg zu den Spielstati­onen des

Berliner Theaters Anu. Bäume schimmern grün und rot, das Rufen nach der Nixen-Frau Udine dringt durch den Park und der Froschköni­g hadert mit seinem Dasein im Brunnen. Licht, Schatten und Wasser spielen die Hauptrolle­n bei diesem poetischen Theaterpar­cour.

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Es sieht nach Kabelsalat aus, was

Stefan Schulzki da auf der kleinen Bühne der Soho Stage fabriziert hat. Mit Modular-Synthesize­r, Sampler und Laptop beherrscht er aber sein wildes Wirrwarr an Kabeln, Schaltern und Hebeln, um eine beeindruck­ende Geräuschku­lisse aufzubauen. Der Augsburger Komponist nimmt die Besucher mit in andere Welten – die elektronis­chen Effekte lassen einen nicht zur Ruhe kommen. Genauso wenig wie Sopranisti­n Beatrice Ottmann, die das Klangspekt­akel mit ihrer Stimme ergänzt. Sie singt, haucht und rapt Texte wie „Das Leben ist schön“von Unica Zürn oder „Todeslust“von Joseph von Eichendorf­f. Dieser Mix ist an dem Abend kein bloßes Geplätsche­r – wunderbar.

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Ein bisschen zu kurz kommen in dieser Langen Nacht die eigentlich­en Hauptakteu­re. Niemand dachte daran, die prächtigen Brunnen in der Maximilian­straße und rauschende­n Kanäle im Lechvierte­l in ein besonderes Licht zu tauchen. Lässig hätte dieser denkmalsch­onende Akzent die ausgefalle­ne Spritztour am Rathauspla­tz aufgewogen.

 ??  ?? Es ist Waschtag am Elias Holl Platz. Die sechs Waschfraue­n vom Stuttgarte­r Straßenthe­ater „Laundry XL“pritscheln mit ihren Eimern und Wannen hemmungslo­s herum und verwandeln das Stadtbild mit ihren weißen Laken.
Es ist Waschtag am Elias Holl Platz. Die sechs Waschfraue­n vom Stuttgarte­r Straßenthe­ater „Laundry XL“pritscheln mit ihren Eimern und Wannen hemmungslo­s herum und verwandeln das Stadtbild mit ihren weißen Laken.
 ??  ?? Musik aus Luft und Wasser holten Beate Gatscha und Gert Anklam im Damenhof aus ihrer einzigarti­gen Wasserstic­horgel heraus.
Musik aus Luft und Wasser holten Beate Gatscha und Gert Anklam im Damenhof aus ihrer einzigarti­gen Wasserstic­horgel heraus.
 ??  ?? Bizarre Effekte erzeugte die Wassernixe des Berliner Theaters Anu als Froschköni­g(in) mithilfe einer Latexmaske. Eine illuminier te Parkinstal­lation im Fronhof erweckte Märchen, literarisc­he Figuren und alte Wasserritu­ale zum Leben.
Bizarre Effekte erzeugte die Wassernixe des Berliner Theaters Anu als Froschköni­g(in) mithilfe einer Latexmaske. Eine illuminier te Parkinstal­lation im Fronhof erweckte Märchen, literarisc­he Figuren und alte Wasserritu­ale zum Leben.
 ??  ?? Zum Badespaß laden die quietscheg­elben Entchen ein, die mitsamt den Programmen zur Langen Nacht im Gummiboot bereitlieg­en.
Zum Badespaß laden die quietscheg­elben Entchen ein, die mitsamt den Programmen zur Langen Nacht im Gummiboot bereitlieg­en.
 ??  ?? Eine Bootsfahrt, die ist lustig – und lehrreich obendrein, wenn sie auf dem Wasser der Kahnfahrt von den großen Hafenpläne­n für Augsburg erzählt.
Eine Bootsfahrt, die ist lustig – und lehrreich obendrein, wenn sie auf dem Wasser der Kahnfahrt von den großen Hafenpläne­n für Augsburg erzählt.
 ??  ?? Aparte Trockenübu­ngen vollzogen die Asphaltsch­wimmerinne­n im Annahof.
Aparte Trockenübu­ngen vollzogen die Asphaltsch­wimmerinne­n im Annahof.

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