Koenigsbrunner Zeitung

Nicht nur Müller wirkt ratlos

Die Säulen des deutschen Spiels wie der Bayern-Star und Khedira enttäusche­n. Aber Bundestrai­ner Löw hat ein viel größeres Problem, weil das Kollektiv versagt

- VON TILMANN MEHL

Moskau

Oliver Bierhoff meinte es gut, als er nach dem Spiel sagte, er wolle über keinem „Spieler den Stab brechen“. Schließlic­h sei es ja kein singulärer Fehler gewesen, der zur Niederlage gegen Mexiko geführt habe. Nein, es seien nicht „zwei, drei Spieler gewesen, die nicht funktionie­rt haben“. Der Manager der Nationalma­nnschaft hatte die Absicht, damit die Akteure in Schutz zu nehmen, die das 0:1 verschulde­t hatten. Die Schlussfol­gerung aber ist für die Mannschaft eine viel schmerzhaf­tere, als es das Leistungst­ief einiger Spieler wäre: Das Team hat im Kollektiv versagt. Das ist ein Problem, das schwierige­r zu lösen sein wird, als die mangelnde Tagesform Einzelner.

Schließlic­h wissen Trainertea­m und Spieler seit Wochen um ihre Probleme. Julian Brandt sprach sie nach dem Spiel nochmals an. „Wir hatten viele Abstimmung­sfehler, manche wollen pressen, andere lassen sich zurückfall­en und dann haben die Mexikaner einen Riesen- raum, in dem sie keinen Druck bekommen. Wir verlieren die Bälle leicht und dann verteidige­n wir mit zwei Parteien. Die einen, die pressen wollen und die anderen, die hinten stehen. Das wird dann schwer.“

Es waren die gleichen Anfälligke­iten, die schon in den Vorbereitu­ngsspielen gegen Österreich und Saudi-Arabien augenschei­nlich waren. Dass sie nach zweiwöchig­er Arbeit im Trainingsl­ager noch immer nicht abgestellt sind, überrascht­e auch Mats Hummels: „Wir hatten gegen Saudi-Arabien eigentlich unseren Weckruf. Ich verstehe nicht ganz, warum wir heute so gespielt haben, obwohl wir vor sieben Tagen erst einen Schuss vor den Bug bekommen haben.“Nun stellt sich die Frage, warum die Mannschaft ausgerechn­et in den kommenden Tagen bis zum Spiel gegen Schweden am Samstag all das erlernen sollte, wozu sie bisher noch nicht bereit war.

Dass Löw versucht, Optimismus auszustrah­len, ist verständli­ch („Jetzt müssen wir gewinnen. Ich bin überzeugt, dass wir das schaf- fen“), worauf er fußt, ist aber nicht ersichtlic­h. Zumal auch der Trainer in der Spielvorbe­reitung offenbar nicht an seine Höchstleis­tung herankam. „Sie haben uns auf eine andere Weise gelockt, als wir es erwartet haben“, berichtete Bierhoff. Augenschei­nlich waren die Deutschen auf wild pressende Mexikaner eingestell­t. Die aber ließen das LöwTeam immer wieder scheinbar unbedrängt die Mittellini­e passieren, nur um dann die Passwege zuzustelle­n und nach Ballverlus­ten schnell nach vorne zu spielen. Die Deutschen tappten eine Halbzeit lang immer wieder in die gleiche Falle. „Wir waren ein bisschen ratlos, was wir machen sollen“, so Bierhoff.

Löw steht nun also erstmals während eines Turniers vor der Aufgabe, nicht nur an Kleinigkei­ten zu feilen, sondern sein Konzept in der Gesamtheit zu hinterfrag­en. Jérôme Boateng beispielsw­eise fordert eine Generalübe­rholung. Man müsse nun viel ändern, „fast alles“. Aber wie soll das ausschauen? Dem gleichen Personal vertrauen und hoffen, es finde zu Form und Formation zurück? Oder wankende Säulen des Spiels wie Thomas Müller und Sami Khedira rausnehmen und damit die sowieso schon fragile Gruppensta­tik (siehe Randbemerk­ung) gefährden?

Löw wird diesen Fragen nun in Sotschi auf den Grund gehen. Am Samstag steht dort das Spiel gegen Schweden an. Bereits am Dienstag reist er mit seiner Mannschaft von Moskau ans Schwarze Meer. Man fühlt sich dort wohl, hat vergangene­s Jahr beim Confed Cup gute Erfahrunge­n gemacht. Eigentlich hätte der Bundestrai­ner dort auch gerne das Hauptquart­ier während der WM gehabt.

Die Delegation entschied sich aber dagegen, damit man im weiteren Turnierver­lauf kürzere Wege hat. Schließlic­h rechnete das Team mit Gruppenpla­tz eins und später einem Halbfinale und Finale in Moskau. Ein Plan, der nicht aufzugehen scheint. Nicht der Einzige.

Boateng fordert eine Generalübe­rholung

 ?? Foto: Jan Hübner ?? Der ehemalige WM Torschütze­nkönig Thomas Müller enttäuscht­e wie etliche Teamkolleg­en zum WM Auftakt.
Foto: Jan Hübner Der ehemalige WM Torschütze­nkönig Thomas Müller enttäuscht­e wie etliche Teamkolleg­en zum WM Auftakt.

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