Lackaffe Ronaldo!
Mit kleinen Kindern Fußball schauen macht Spaß. Bis sie auf einmal Bier wollen und Spieler beschimpfen
Da sitzen wir also alle gemütlich vor dem Fernseher, scheinbar unbeteiligt, weil in der Begegnung Portugal-Marokko die deutsche Mannschaft ja nicht spielt, und dann springt auf einmal die Tochter, 7, auf und ruft: „Dieser Lackaffe Ronaldo!“Hoppla. Was ist da denn schiefgelaufen?
Oberflächlich ist das recht leicht zu erklären. Ich glaube, mich dunkel zu erinnern, dass ich irgendwann einmal so etwas in der Art gesagt haben könnte, sicher aber mit dem Zusatz, dass Ronaldo ein klasse Fußballer ist, nur eben sein gockelhaftes Verhalten manchmal eben so ein bisschen, na ja ...
Vielleicht waren meine Worte auch nicht ganz so differenziert. Jedenfalls liegt der Verdacht nicht ganz fern, dass die Tochter das bei mir gehört hat, und dafür möchte ich mich jetzt schon mal entschuldigen. (Wenn Sie es nicht weitersagen, verrate ich Ihnen ein Geheimnis: Meine Frau ist keinen Deut besser als ich.)
Andererseits wirft das grundsätzliche Fragen auf. Sollte man mit Kindern überhaupt Fußball-WM schauen? Zunächst hatten wir uns diese Frage gar nicht gestellt. Alles schien klar. Der Bub ein leidenschaftlicher Kicker, das Mädchen ein großer Thomas-Müller- und Manuel-Neuer-Fan – da kann man doch schöne Familien-Events daraus machen. Mit lauter Ausnahmen: Lange fernsehen, Chips und Fanta in rauen Mengen, auch mal unter der Woche länger aufbleiben, Deutschlandfahne. Die
Kleinen fanden’s klasse.
Doch dann kamen die ersten Schattenseiten zum Vorschein: Als der Sohn plötzlich forderte, dass er trotz der Probe in der Schule das Abendspiel sehen darf. Als er plötzlich fragte, ob er mal von meinem Bier probieren darf. Zweimal Nein. Er ist neun. Und als die Tochter Ronaldo auch noch einen Schmierlappen nannte.
Also, was jetzt: Fußball- Verbot für die Kinder? Für die Eltern? Für alle? Die Kleinen bitten, die dumpfen Ressentiments der Eltern einfach zu ignorieren? Alles keine Lösung.
Nun ist es doch so: Fußball ist eine der letzten Emotionshöhlen in einer glattgebügelten, sterilen, überprofessionalisierten, durchgegenderten Welt. Da kann man noch die Sau rauslassen. Da kann man auf die Knie sinken und laut brüllen, wenn der Kroos in der 95. Minute das Tor macht. Und da kann man auch Fotos: Holger Sabinsky Wolf, Andreas Gebert/dpa mal ein Schimpfwort gebrauchen. Aber halt nicht, wenn man Kinder hat.
Da heißt es, sich zusammenreißen. Vorbildfunktion, Sie wissen schon. Emotionen unterdrücken, bevor die Kinder etwas ganz Falsches lernen. Die Folge: Es ist jetzt deutlich langweiliger. Die Tochter schaut stattdessen lieber einen schönen Kinderfilm auf dem Laptop an und der Sohn ahmt mittlerweile den Ronaldo-Jubel nach, wenn er beim Fußballspielen im Garten ein Tor schießt. Das kann es doch auch nicht sein ...
Holger Sabinsky Wolf,
47, hat eine Tochter, 7, und einen Sohn, 9. Mit beiden hat er gestern das Deutschland-Spiel geguckt. Ganz ohne SchmierlappenAusfälle – zumindest offiziell. *** Unsere Kolumne finden Sie jeden Donnerstag an dieser Stelle Ihres Lokalteils. Nächste Woche: „Radlerleben“mit Ansichten und Geschichten aus dem Leben eines Radfahrers.