Hoch soll er leben
Vor 30 Jahren führte die Deutsche Börse den Dax ein. Bis heute ist der Aktienindex Spiegelbild der Wirtschaftslage des Landes – und immer wieder auch der Weltgeschichte
spektakulärste gewesen. Als der Handelssaal der Börse 2007 nach einer Restaurierung neu eröffnet wurde, kreierte Sauer eine Torte in Form des neuen Saals, Durchmesser: 1,80 Meter.
Dieser Handelssaal ist es auch, aus dem der Dax jeden Tag in die deutschen Wohnzimmer vordringt. Die charakteristische schwarze Tafel mit der weißen Dax-Kurve ist regelmäßig im Fernsehen zu sehen und fungiert immer auch als eine Art Stimmungsbarometer der deutschen Wirtschaftslage. 15 Unternehmen halten sich nach Angaben der Börse seit 1988 im Leitindex, darunter die Allianz, Bayer oder Daimler und Volkswagen. Andere wie Karstadt oder Kaufhof sind längst verschwunden, aus dem Dax genauso wie aus vielen Fußgängerzonen. Wer sich die Kurve der vergangenen 30 Jahre anschaut, sieht auch ein Spiegelbild der jüngeren Geschichte mit all ihren Höhen, Tiefen und Turbulenzen. Die Russlandkrise Ende der 90er Jahre etwa, das Platzen der Dotcom-Blase, die Terroranschläge vom 11. September 2001, den Beginn des Irakkriegs und natürlich die Finanzmarktkrise.
Wenn in diesen Jahren über Kursrutsche und Tiefststände berichtet wurde, wenn der Dax wieder fiel und fiel, dann zeigten die dazugehörigen Bilder meist die schwarzweiße Kursanzeige und den Mann davor: Dirk Müller, Mr. Dax. Der gelernte Banker hat 1991 als einfacher Händler auf dem Parkett des Handelssaals der Deutschen Börse angefangen. Sein Platz lag direkt unter der Kursanzeige und weil Müller ein emotionaler Mensch ist, dem man die Gefühle noch dazu ansieht, wurde er irgendwann zum Gesicht des Dax. Zu jener Person also, die all diesen abstrakten Aktiengeschäften etwas Menschliches verlieh, „Dirk of the Dax“titelten sogar ausländische Journalisten.
Heute ist Müller längst selbst zum Börsenexperten avanciert, schreibt Finanz-Bestseller, gefüllt mit mitunter etwas kruden Verschwörungstheorien. Wenn Mr. Dax über seine Zeit als Händler spricht, kann er immer noch sehr emotional werden. Früher, sagt er, sei die Börse menschlicher gewesen. Weil es Menschen waren, die miteinander handelten. Die schrien und schimpften, wenn ein Geschäft platzte. Und die feierten, wenn der Dax in immer neue Höhen stieg. Mittlerweile ist das anders. 2011 hat die Börse den Parketthandel eingestellt, seitdem übernehmen Computer die meisten Aufgaben der Händler. Heute ist der Handelssaal „klinisch rein“, sagt auch Analyst Robert Halver. Er leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank und beobachtet den Dax seit Beginn seiner Karriere. Früher habe man allein an den Geräuschen im Saal erkannt, ob der Dax steigt oder fällt. „Aber eine Maschine lächelt nicht, eine Maschine ist nicht wütend“, sagt Halver. Mittlerweile würde eine Kurs-Krise sich nur noch dadurch bemerkbar machen, „dass mehr Kamerateams im Saal sind als Händler“.
Halver ärgert sich, dass es vor allem jene Krisen und Pleiten am Aktienmarkt sind, die der Öffentlichkeit im Gedächtnis bleiben – zum Beispiel der Absturz der T-Aktie, der das Vertrauen vieler Anleger in die Börse nachhaltig zerstört hat. Für Halver hingegen ist die Geschichte des Dax „eine absolute Erfolgsgeschichte“– und sie werde es trotz aller Krisen auf der Welt auch bleiben. „Der Dax hat bisher jede noch so tiefe Krise überkompensiert“, betont der Analyst. Die Zusammenbrüche würden immer kürzer, die Intensität der Einbrüche immer schwächer. Die Zahlen geben ihm recht. Zwischenzeitlich ist der Dax bis auf das Zehnfache seines Anfangswerts gestiegen, aktuell steht er bei rund 12300 Punkten. Aktien, sagt Halver, sind kein Hexenwerk. „Langfristig ist es für Anleger unmöglich, ärmer zu werden.“
Rolf Sauer, der Konditor aus Bischofsheim, hat noch nie Aktien gekauft. „Ich bin der Meinung, dass man sich voll auf etwas konzentrieren muss“, sagt er. Bei ihm waren es seine fünf Bäckereien, der Beruf. Und der hat ihn schließlich auch an die Börse gebracht.