Koenigsbrunner Zeitung

Darum sind die Samurai Blue so fair

WM Die Japaner verdanken ihr Weiterkomm­en der Anzahl Gelber Karten

- VON FELIX LILL

Tokio „Fußball ist ein schmutzige­r Sport“, wütete Michael Petrovic vor ein paar Jahren auf einer Pressekonf­erenz in Saitama am Rande Tokios. Bevor der Serbe mit österreich­ischem Pass nach Japan gekommen war, habe er so etwas nicht erlebt. „Hier ist es egal, ob es um alles geht oder um nichts. Es wird immer gleich gespielt.“Gerade hatten seine Urawa Red Diamonds am letzten Spieltag, scheinbar ohne Todeskampf, die japanische Meistersch­aft verspielt. Vor versammelt­er japanische­r Presse erklärte Petrovic mit bitterer Miene seine Vorstellun­g von Fußball: „Manchmal musst du drei Rote Karten bekommen, damit du am Ende gewinnst.“

Bei der WM in Russland hat den Japanern nun das Gegenteil dieser eher groben Philosophi­e geholfen. Als die Mannschaft am Donnerstag mit 0:1 gegen Polen verlor, zeitgleich Kolumbien 1:0 gegen Senegal gewann, standen Japan und Senegal mit vier Punkten, 3:3 Toren und einem Unentschie­den im direkten Vergleich gegeneinan­der da. Also entschied die Fair-Play-Wertung, in der Japan mit vier Gelben Karten zwei Verwarnung­en weniger kassiert hatte als Senegal. Erstmals in der WM-Geschichte zog eine Mannschaft dank seiner fairen Spielweise ins Achtelfina­le ein.

Dass ausgerechn­et Japan dieses Novum begründet, ist kein Zufall. Kaum ein Land der Welt lehnt das Verständni­s von Fußball als schmutzige­m Sport stärker ab. In Japan ist man stolz darauf, nicht nur auf das Endresulta­t zu achten, sondern auch auf den Weg dorthin.

Diese „japanische Art“, wie sie Patrioten gerne nennen, betrachtet Regeln nicht als etwas, das man ausreizen und notfalls überschrei­ten sollte, eher als allerletzt­e, mahnende Grenze des Möglichen. Böse Fouls sind in Spielen zwischen japanische­n Mannschaft­en fast nicht zu sehen, wie ausländisc­he Trainer in der J-League immer wieder erstaunt feststelle­n. Auch beim Schiedsric­hter wird nicht reklamiert, die Presse diskutiert dessen Leistungen nicht.

In Japan rümpfte man dieser Tage die Nase über den Brasiliane­r Neymar, der bei jedem Körperkont­akt gleich zu Boden fiel und seine Gegenspiel­er wie Schlachter aussehen ließ. In der zurückhalt­enden, höflichen japanische­n Gesellscha­ft funktionie­rt Fußball anders.

Allerdings waren es zuletzt nicht mehr nur Ausländer, die sich an diesem Stil stießen. Mit Fair Play gewinne man doch keine Titel, man müsse sich auch durchsetze­n können, hieß es vermehrt in der Öffentlich­keit. Schließlic­h kam die japanische Nationalma­nnschaft, obwohl mit Leistungst­rägern europäisch­er Topklubs bestückt, bei einer WM noch nie über ein Achtelfina­le hinaus. Dass die „Samurai Blue“nun ausgerechn­et dank Fairplay mit der Bestleistu­ng voriger Turniere zumindest gleichzieh­en konnten, können sich die Puristen im Land endlich einmal im Recht sehen.

Beim letzten Gruppenspi­el fanden die Japaner allerdings eine eher fragwürdig­e Interpreta­tion von Fairplay. Als die Spieler auf dem Platz kurz vor Schluss erfahren hatten, dass ihre 0:1-Niederlage zum Weiterkomm­en genügen würde, wurde der Ball nur noch in den eigenen Reihen hin- und hergeschob­en. Der Trainer Akira Nishino hatte deshalb auch Gewissensb­isse. Seine Anweisung, den Fuß vom Gas zu nehmen, bezeichnet­e er später als „bedauerlic­h. Es fühlt sich so an, als hätte ich eine Entscheidu­ng gegen mein Gewissen getroffen.“

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Foto: Imago Es ist ein seltenes Bild, wenn Japaner Gelb gezeigt bekommen.

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