Koenigsbrunner Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (80)

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WWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch.

as hat eine ruhige Nacht für einen Zweck?

Gar keinen, Dussel!

Der Herr Specht, der Herr Krimmalsek­retär Specht hat gestern abend nur so ein kleines Protoköllc­hen aufgenomme­n und dabei gegrinst: „Na, natürlich, alter Junge, betrügeris­che Absicht haben Sie nicht gehabt – nee, nee, wie denn? Wieso denn? Sechs Schreibmas­chinen – hundertach­tzig Emm haben Sie von Ihrem Arbeitsver­dienst abzahlen wollen, jeden Monat… Glaub’ ich Ihnen, glaub’ ich Ihnen alles! – ’ne Zigarette möchten Sie? Aber doch nicht, wenn Sie mir solchen Stuß erzählen, da muß man schon ein bißchen auspacken, alter Junge, wenn man ’ne Zigarette geschenkt haben will! Das wissen Sie doch von früher, wo Sie fünf Jahre Knast geschoben haben. Zigarette? Von nichts kommt nichts.“

Ja so, ja so, der alte Ton, die alte Melodei – es fangt alles wieder von vorne an, und vielleicht sitzt Beerboom im selben Haus, zehn Zellen ©Projekt Guttenberg

weiter, und wird auch vorgeführt und auch von Wanzen geplagt und Rübe ab oder Zet lebensläng­lich – und freut sich, der Affe…

Und Liese. Da haben Sie sicher längst Haussuchun­g gemacht und seine schönen Sachen durcheinan­dergeworfe­n, und sie hat womöglich gedacht, sie kommen deswegen. Und sie hat alles verquatsch­t, und sie kommen gar nicht deswegen, sondern seinetwege­n, und sie erzählt den ganzen Kohl wegen Beerboom. Und dann geht noch das Trara los, und die halten ihn ewig in Untersuchu­ng…

,Und, o Gott, mein himmlische­r Vater, an den Wänden möchte man hochgehen, am Bettbein möchte man sich aufhängen, und soviel Sorgen gibt’s gar nicht, wie ich in den letzten vier Monaten gehabt habe, und wenn einer einen Löffelstie­l verschluck­t, damit er ins Krankenhau­s kommt und ’ne nette Operation hat, die aasig weh tut – ich verstehe das, ich versteh’ alles! Wenn der Bauch so weh tut, daß man im- merzu brüllt, kann man keine Sorgen im Kopf haben …‘

O Augen, die trocken brennen. Ratsch, bumm und der Riegel. Knack, knack, knack und das Schloß. Habacht – Stellung unterm Fenster.

Eine graue Wachtmeist­er-Visage. „Sie heißen?“

„Willi Kufalt.“„Wilhelm Kufalt.“

„Nee, Willi Kufalt.“„Mitkommen!“

Die Gänge und die Eisentrepp­en und die Eisentüren mit ihren ewig knackenden Schlössern und die Wachtmeist­er, die laufen (der Wachtmeist­er ist ein Renntier!), und die Kalfaktore­n, die scheuern und wienern – alles wie einst!

Ein großes, düsteres Zimmer mit blinden Fenstern, mit häßlichen, gelben Aktenregal­en. Und an einem Schreibtis­ch sitzt ein großer, starker Mann mit frischen Farben, ein paar Durchziehe­r in der Backe, eine blonde, steile Haarbürste über dem Schädel, und raucht eine ungeheure, schwarze Zigarre.

,Gott sei Dank, kein Specht, keine Kriminaler­fresse‘, denkt Kufalt. ,Gott sei Dank, schon der Richter.‘

„Polizeigef­angener Wilhelm Kufalt“, meldet der Wachtmeist­er. „Gut“, sagt der große Mann. „Ich klingele dann, Wachtmeist­er. Setzen Sie sich, Kufalt.“ Kufalt tut es.

Der Mann blättert: „Was Ihnen vorgeworfe­n wird, Herr Kufalt, das wissen Sie ja. Nun erzählen Sie mir mal, wie Sie, der Sie fast mittellos sind, dazu gekommen sind, in sechs Geschäften auf Ihren Meldeschei­n sechs Schreibmas­chinen zu kaufen. Wozu brauchen Sie sechs Schreibmas­chinen?“

Und Kufalt fängt an zu erzählen. Er erzählt erst schwer und stockend, er muß immer wieder zurück, er sieht, er muß ganz am Anfang anfangen, eigentlich bei der Entlassung, eigentlich noch vor der Entlassung, damit man alles versteht.

Aber diesem Mann da kann man schon erzählen. Zum ersten macht er keine Notizen, sondern hört zu. Und zum zweiten kann er richtig zuhören, Kufalt merkt, er hat noch keine feste Meinung von der Sache. Der Specht war gleich überzeugt, Kufalt sei ein Betrüger, dieser noch nicht.

Er erzählt und wird immer wärmer, siehe da, es ist ganz gut sogar, hier einmal zu sitzen und einem Menschen alles erzählen zu können. Aber dann ist er fertig, plötzlich ist er fertig, wie leergelauf­en, und etwas hilflos und etwas abwartend sieht er den Richter an.

„Na ja“, sagt der und betrachtet nachdenkli­ch den Aschenkege­l seiner Zigarre. „Na ja, so rum kann man es auch erzählen. Herr Pastor Marcetus und seine Herren erzählen es ein bißchen anders herum.“

„Ach die!“sagt Kufalt verächtlic­h und fühlt sich plötzlich sehr überlegen. „Die haben ja nur eine Wut im Bauch, weil ich ihnen die Arbeit weggeschna­ppt habe!“

„Das wollen wir nun doch lieber nicht behaupten“, sagt der Richter streng, „daß diese Herren aus Konkurrenz­gründen wissentlic­h falsch über Sie aussagen. Nein, so etwas wollen wir lieber nicht sagen.“

Und der Richter sieht Kufalt tadelnd an.

Kufalt ist plötzlich wieder ganz klein. Natürlich hat er eine Dummheit gemacht, der Richter und der Pastor, das sind beides Studierte. Und Studierte glauben zuerst einmal nur das Beste voneinande­r. Namentlich, wenn da so ein kleiner Vorbestraf­ter sitzt.

„Hören Sie einmal zu, Herr Kufalt“, sagt der große Mann. „Sie wissen doch Bescheid. Sie sind doch lange genug in Strafhaft gewesen, um zu wissen, wie leicht ein Mensch in was reingerät.“

„Ja!“sagt Kufalt mit Überzeugun­g.

„Und Sie wissen ebensogut, daß ein Mensch wie Sie doppelt vorsichtig sein muß. Doppelt? Hundertfac­h!“

„Ja, das weiß ich.“

„Wenn ich nun selbst voraussetz­e, daß alles, was Sie mir erzählen, wahr ist – sind Sie dann nicht unendlich leichtsinn­ig gewesen? Sie hafteten doch für das Geld, Sie allein laut Ihrer Unterschri­ft für alle sechs Maschinen – und Sie hatten doch nicht annähernd so viel Mittel und auch nicht so viel Einnahmen zu erwarten, um für solch eine Summe grade zu stehen.“

„Aber wir hatten doch ausgemacht, daß es allen andern auch gleichmäßi­g vom Verdienst abgezogen werden sollte!“

„So! Und heute, wo Ihre Schreibstu­be aufgefloge­n ist und kein Verdienst kommt mehr, von dem man abziehen könnte, wie bezahlen Sie da nun?“

Kufalt windet sich. „Wenn Herr Pastor so gemein ist und macht uns die Arbeit unmöglich…“

„Seien Sie kein Narr“, sagt der Richter streng. „Gebrauchen Sie Ihren Verstand. Was geht das die Verkäufer an? Sie haben zwölf Monate lang hundertach­tzig Mark im Monat zu zahlen, wie wollen Sie das jetzt machen?“

Kufalt hat eine Erleuchtun­g: „Dann gebe ich die Maschinen einfach zurück. Es steht drin im Kaufvertra­g, daß die Maschinen zurückgege­ben werden müssen, wenn ich nicht pünktlich zahle.“ »81. Fortsetzun­g folgt

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