Die stummen Zeugen kommen ans Licht
Über viele Jahre lagerten die Funde der Augsburger Archäologen schwer zugänglich in Kellern und Hallen. Nun sind sie im neuen Depot angekommen und können noch die eine oder andere Geschichte über Augsburg erzählen
Der Anblick ist beeindruckend. Kiste auf Kiste, Reihe um Reihe stehen die Funde in einer Ecke der großen Halle. Ob Knochen, Keramik oder Glas – alles was hier im neuen Archäologischen Zentraldepot lagert, stammt aus einer Grube. Sie war um das Jahr 2000 entdeckt worden. Damals musste an der Eserwallstraße eine Tankstelle der Wohnbebauung weichen. Südlich von St. Ulrich und Afra, wo einst der Obstgarten des ehemaligen Klosters war, ballten sich die Fundstücke. Münzen verraten, dass die Grube etwa Mitte des 16. Jahrhunderts genutzt wurde, um (Gewerbe-)Müll zu entsorgen. „Rund 2500 Kubikmeter wurden damals in kurzer Zeit zugefüllt“, sagt Michaela Hermann von der Stadtarchäologie. Italienische Keramik (Fayencen) erzählt, dass die Augsburger auch damals schon einen Sinn für das Land jenseits des Brenners hatten. Dazu kommen Glasscherben und vieles mehr. Ein gewaltiger Fund. Die Hintergründe können jetzt erforscht werden, weil endlich wieder alle Fundstücke an einem Ort sind.
Bis zum Jahr 2017 lagerten die stummen Zeugen der Augsburger Geschichte nämlich verstreut übers ganze Stadtgebiet. Steindenkmäler waren lange Zeit in einer ehemaligen Maschinenhalle des Spickelbades abgestellt – bis dauerhaft Grundwasser eindrang. Andere Funde schlummerten verpackt auf Paletten in angemieteten Hallen. „Wir waren zehn Jahre lang blockiert“, sagt Michaela Hermann. Die Zahl der Funde wuchs und wuchs – auch wegen des Baubooms. Doch wenn ein Wissenschaftler damit arbeiten wollte, mussten die Augsburger oft abwinken. Das ist jetzt anders.
In den vergangenen Monaten sind die Funde – abgesehen von den Steinen – ins neue Depot neben Textilmuseum und Stadtarchiv transportiert worden. Sie wurden in große Lagerregale sortiert; die Steine folgen noch. Schon jetzt ist klar: „Wir werden vieles neu erarbeiten“, sagt die Archäologin. Jetzt ist Platz da, jetzt gibt es Werkstätten, ein Restaurator könnte arbeiten; es gibt aber noch keinen. Der Umzug bot aber die Chance, einmal wieder in die Schatzkisten hineinzuschauen.
Vor allem bei den sogenannten Kleinfunden haben das Hermann und ihre Helfer getan. Sie sind nicht zwangsläufig klein, es handelt sich um einzelne, besonders wertvolle Stücke. Sie haben jetzt Einzelplätze in den Regalen in den großen hellen Hallen mit dem richtigen Klima für die Stücke. Wer sich als Forscher für das prunkvolle Schreibzeug, das wohl um 1600 entstand, interessiert, kann einfach darauf zugreifen. Es wurde auch unweit von St. Ulrich gefunden und zeigt: Augsburg ist berühmt für seine vielen und bedeutenden Römerfunde. In der Erde lassen sich jedoch Zeugen aus allen Epochen und Zeiten finden.
Bettina Deininger öffnet eine Schublade und damit den Blick ins Fein aufgereiht auf schwarzem Hintergrund lagert Schmuck aus dem frühen Mittelalter. Goldene Anhänger, Ketten mit farbigen Perlen und Steinen; manches könnte noch heute im Schmuckgeschäft liegen. Bettina Deininger kümmert sich um die sogenannte Altsammlung, die mit den ehemaligen Ausstellungsstücken aus dem geschlossenen Römermuseum in einer extra Halle lagern. Die Funde stammen aus der Zeit ab dem 19. Jahrhundert und nicht nur aus Augsburg, sondern aus ganz Schwaben. Der Goldschmuck wurde zum Beispiel beim Bahnhofsbau in Noreher dendorf (Landkreis Augsburg) gefunden. Zum Vergleich: Laut Michaela Hermann lagern im Depot rund 2000 Altfunde – seit dem Jahr 1978 sind 200 000 Inventar-Nummern hinzugekommen. Und es wird aktuell viel gegraben, denn in der wachsenden Stadt Augsburg wird an allen Ecken und Enden gebaut. Das neue Depot der Archäologen ist aber auf Zuwachs vorbereitet.
Insgesamt haben die Stadtarchäologen rund 4000 Quadratmeter zur Verfügung, sagt Hermann. Etwa 2500 davon dienen als Depot. Hinzu kommen die Büros, Arbeitsplätze, an denen neue Funde in AugenMittelalter: schein genommen werden, Werkstätten und ein Foyer, in dem kleine Ausstellungen möglich wären. Bislang hatten die Archäologen dafür aber noch keine Kapazitäten. Ein Ziel ist aber nahezu erreicht. Es lautete: „Alles unter einem Dach“, sagt Michaela Hermann. Das Dach stammt dabei noch von der Augsburger Kammgarn-Spinnerei. Deren ehemalige Hallen wurden für rund 9,6 Millionen Euro saniert und in ein Depot für archäologische Funde umgebaut, nicht in ein Museum, in dem die Funde dann präsentiert werden. Wie es mit dem Römischen Museum weitergeht, ist derzeit noch unklar.