Koenigsbrunner Zeitung

Den Mördern auf der Spur

Einige mysteriöse Kriminalfä­lle in Augsburg sind seit Jahrzehnte­n ungeklärt. Endgültig zu den Akten gelegt werden die „Cold Cases“nicht. Die Kripo hofft, sie noch zu lösen. Manchmal mit Erfolg – trotz enormer Hürden

- VON JAN KANDZORA

Es kommt vor, dass Polizisten bei einer Hausdurchs­uchung in Augsburg oder in der näheren Umgebung ein Schwert entdecken. Oder zumindest einen schwertähn­lichen Gegenstand mit einer langen Klinge finden, einen Säbel etwa. Und manchmal melden sich die Beamten dann beim Kommissari­at 1 der Kriminalpo­lizei. Ob dieser Gegenstand möglicherw­eise etwas mit dem einen Fall von 2005 zu tun haben könnte, dem ungeklärte­n Mordversuc­h? Wer weiß, ob so nicht noch einmal Bewegung in die Ermittlung­en kommt.

Damals, im Juli des Jahres, wurde eine 47-jährige Frau das Opfer einer bis heute rätselhaft­en Attacke. Die Familienri­chterin war mit ihrem Fahrrad beim Westfriedh­of unterwegs, als jemand von hinten heranradel­te und ihr ein Schwert oder einen Säbel ins Genick schlug. Das Opfer überlebte trotz lebensgefä­hrlicher Verletzung­en, was und wer hinter dem Angriff stand, weiß man bis heute nicht. Doch geschlosse­n werde die Akte nie, das sagte Helmut Sporer bereits vor acht Jahren.

Sporer leitet das Kommissari­at 1 der Kriminalpo­lizei, das sich um Kapitaldel­ikte kümmert – und damit auch um jene mysteriöse­n Fälle von Morden und versuchten Morden, die auch nach Jahrzehnte­n noch ungeklärt sind. Cold Cases heißen sie auf Neudeutsch. Sporer, ein erfahrener Ermittler, spricht lieber von Altfällen. An diesem Tag sitzt der Kriminalob­errat in einem Büro im Polizeiprä­sidium und schaut auf eine Liste, die vor ihm liegt. Es sind die Cold Cases aus Augsburg seit 1980. Die Altfälle also, bei denen schon aufgrund der Zeitspanne eine bessere Chance zur Klärung besteht als bei den vielen ungeklärte­n Morden in den 1960ern oder 1970ern. Seit 1980 ist die Zahl der ungelösten Morde oder versuchten Morde in Augsburg hingegen überschaub­ar.

Da ist zum Beispiel ein Raubmord von 1983 in der Innenstadt: Ein Mann wurde erschlagen, vermutlich eine Tat im Obdachlose­nMilieu. Da ist der Mord an einem Senior im Hochfeld von 1988, ebenfalls noch ungelöst. Der Mord an einer Rentnerin in Haunstette­n, 1996. Die Schwertatt­acke auf die Familienri­chterin von 2005, ein versuchter Mord, was strafrecht­lich ebenfalls nie verjährt.

Man könnte an dieser Stelle noch zwei weitere Fälle aus dem Jahr 1993 aufzählen, doch die passen nicht so ganz in die Reihe. Zum einen gibt es eine Tat aus dem Mai dieses Jahres: Damals wird der Frührentne­r Michael A. von einem Unbekannte­n im Spielsalon „Club 77“an der Neuburger Straße brutal erstochen. Ein ungeklärte­s Verbrechen, jahrelang. Manche Hürden werden größer, wenn Taten lange ungeklärt bleiben. Erinnerung­en verblassen, eine einstmals dürftige Spurenlage lässt sich nach Jahrzehnte­n schwierig beheben.

Doch seit Mitte der 2000er sind sich die Ermittler sicher, zu wissen, wer die Tat von Mai 1993 begangen hat. Sie suchten zu der Zeit noch einmal intensiv nach dem Mörder, nahmen 250 Speichelpr­oben, führten DNA-Analysen durch, bekamen Hinweise. Einer dieser Hinweise, sagt Sporer, habe zum Ziel geführt. Es passte eine Menge zusammen, nur war der mögliche Täter mittlerwei­le verstorben. Auch das ist ein Problem, dem sich Ermittler bei lange zurücklieg­enden Taten ausgesetzt sehen. Besteht überhaupt noch die Chance, dass ein Tatverdäch­tiger am Leben ist?

Im anderen Fall von 1993, dem Mord an der Prostituie­rten Angelika Baron, ist es so. Der heute 50-jährige Stefan E. sitzt seit Ende vergangen Jahres in Untersuchu­ngshaft, mittlerwei­le hat ihn die Staatsanwa­ltschaft Augsburg angeklagt, unter anderem wegen Mordes. Er selbst bestreitet den Vorwurf. Es läuft auf einen Indizienpr­ozess hinaus mit sicherlich mehr als nur ein paar Verhandlun­gstagen, in denen die Kammer DNA-Spuren und weitere Hinweise untersuche­n muss. Eine Mordanklag­e ein Vierteljah­rhundert nach der Tat: So etwas gab es in Augsburg noch nie.

In anderen Städten, in anderen Fällen schon. Das Aschaffenb­urger Landgerich­t etwa hat im Mai einen heute 55-Jährigen für einen Mordversuc­h und eine Vergewalti­gung vor 30 Jahren zu lebenslang­er Haft verurteilt. In Hamburg wiederum wurde im Herbst 2016 gar eine dauerhafte Ermittlung­sgruppe für Cold Cases gegründet.

In Augsburg, sagt Kripo-Chef Gerhard Zintl, bearbeitet­en einzelne Sachbearbe­iter einzelne Altfälle, was den Vorteil habe, dass jeder der Beamten sehr gut im Thema drin sei und keine große Einarbeitu­ngszeit brauche, wenn es neue Hinweise gebe. Wenn ein Cold Case noch einmal aktuell werde, stocke man auf. In Millionens­tädten mit vielen Altfällen mache die dauerhafte Bündelung spezieller Einheiten mehr Sinn, in Augsburg eher nicht. Wie oft die Ermittler die ungelösten Fälle noch mal anschauten, lasse sich so konkret nicht sagen: Bei manchen ungeklärte­n Morden gebe es gutes DNAMateria­l, das man öfter mal mit aktuellen Datenbanke­n abgleichen könne, bei anderen sei die Spurenlage mau. Ende der 1980er, Anfang der 1990er sei der genetische Fingerabdr­uck noch kein so großes Thema gewesen wie heute. Der technische Fortschrit­t macht vieles möglich, was vor einigen Jahren

Technische­r Fortschrit­t macht vieles möglich

noch undenkbar schien. Manchmal seien Spuren auch noch nicht mit Datenbanke­n abgleichba­r – in wenigen Jahren aber bringen sie womöglich einen Treffer, sagt Zintl.

Ein weiteres Beispiel, bei dem eine DNA-Spur zum Erfolg führte, war ein versuchter Mord aus dem Jahr 1984 an einer Prostituie­rten in Augsburg. Der Täter war ein Freier, wie sich erst 2008 herausstel­lte. Der genetische Fingerabdr­uck überführte den Mann, er wurde verurteilt. »Kommentar

 ?? Symbolfoto: Alexander Kaya ?? In Augsburg sind in jüngster Zeit die meisten Mordfälle geklärt worden. In einzelnen wurde noch kein Täter ermittelt. Zuletzt wurde im Fall eines Verbrechen­s aus dem Jahr 1993 ein Verdächtig­er ermittelt.
Symbolfoto: Alexander Kaya In Augsburg sind in jüngster Zeit die meisten Mordfälle geklärt worden. In einzelnen wurde noch kein Täter ermittelt. Zuletzt wurde im Fall eines Verbrechen­s aus dem Jahr 1993 ein Verdächtig­er ermittelt.

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