Auch die Kirche hat eine materielle Seite
Das Martin-Luther-Haus schließt 2020. Pfarrer Ernst Sperber erläutert die Hintergründe
Königsbrunn Das Martin-LutherHaus wird im April 2020 geschlossen (wir berichteten). Fast 40 Jahre feierte die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde in dem Gemeindehaus Gottesdienste, Chöre probten für ihre Auftritte und verschiedene Gruppen trafen sich dort. Doch bald wird das Gebäude an den Eigentümer, den Dekanatsbezirk rückgegeben. Ernst Sperber, geschäftsführender Pfarrer der Königsbrunner Protestanten, erläutert in einem Gespräch mit unserer Zeitung die Hintergründe. Um es vorwegzunehmen, ausschlaggebend sind die fehlenden finanziellen Spielräume der Gemeinde.
Sperber hat einen dicken Stapel bedrucktes Papier vor sich liegen. Darauf sind die Entwicklung der Stadt, der Kirchengemeinde, die Kosten der Gebäude, geografische Lagen einzelner Liegenschaften, durchschnittliche Rahmendaten und verschiedene Szenarien aufgeführt, wie sich die Gemeinde zukünftig aufstellen kann. Aber egal wie Sperber die Zahlen dreht und wendet, am Ende fehlt das Geld, um so weiter zu machen wie bisher.
In den letzten 15 Jahren ist die Mitgliederzahl um fast 19 Prozent geschrumpft. Würde man die Kurve fortschreiben, hätte sich die Gemeinde von 1981, als das MartinLuther-Haus (MLH) gebaut wurde, bis 2030 nahezu halbiert. In den 80er-Jahren entstanden im Norden der Brunnenstadt neue Wohngebiete, in die viele junge Familien zogen, und im MLH fand sehr viel der familienorientierten Arbeit statt. Beispielsweise hatten hier die Kinderbibelwochen ihre Wurzeln.
„Aber die guten Lösungen der vergangenen Zeit sind die Probleme der heutigen Zeit“, sagt Sperber, „ein paar Jahrzehnte war alles stimmig“. Aktuell entsprechen die Unterhaltskosten für die Gebäude die Einnahmen durch die Kirchensteuer. „Der Unterhalt der Gebäude erdrückt uns, auch Kirche hat eine materielle Seite.“
Gleich bei Amtsantritt vor einem Jahr wurde Sperber die finanzielle Situation bewusst und er habe sie „nicht neu entdeckt“. „Aber das war dann doch eine leichte Ernüchterung“, wie er seine erste Reaktion beschreibt.
Seit Mai 2015 ist das Untergeschoss im MLH an das Landratsamt für die Unterbringung von Asylsuchende vermietet. Dieser Vertrag laufe im April 2020 aus und damit entfallen dann die Mieteinnahmen. Die Gemeinde hätte die gesamten Nebenkosten alleine zu tragen.
Die Landeskirche hat einen Reformprozess angestoßen mit dem Titel „Profil und Konzentration“. Die Reform, die sich in erster Linie mit inhaltlichen Aufgaben beschäf- tigt, sieht auch ein Raumprogramm vor. Förderfähig durch die Landeskirche sind hiernach 0,07 Quadratmeter pro Gemeindemitglied. Für Königsbrunn sind das 380 Quadratmeter – allein der Saal im Gemeindezentrum St. Johannes hat 330 Quadratmeter. Alle Gebäude verursachen Neben- und Renovierungskosten, und dabei ginge es nicht um Verschönerungen.
Pfarrer Sperber zieht drei Blätter aus dem Papierstapel mit den Alternativen: 1.: Alles bleibt, wie es ist, dann kämen Kosten von rund 2,2 Millionen Euro auf die Kirchengemeinde zu, die sie definitiv nicht hat. 2.: Die Gemeinde strukturiert um und konzentriert das Gemeindeleben rund um St. Johannes mit der Kirche als weit sichtbares Erkennungsmerkmal, oder 3.: Man wartet ab und nimmt steigende Kosten und eventuelle Schäden in Kauf.
„Entscheidungen zu Gebäuden sind immer schwer vermittelbar“, so Sperber. Deshalb zollt er dem Kirchenvorstand hohen Respekt für die Verantwortungsbereitschaft, wie er sagt.
Im Oktober wird für die kommenden sechs Jahr ein neuer Kirchenvorstand gewählt, die jetzt Aktiven hätten die Entscheidung auch aufschieben können. „Aber wir wollen unsere Gemeinde zukunftssicher machen, mit der Schließung gewinnen wir neue Handlungsspielräume.“Die Schließung des Gemeinde- hauses wurde ohne Gegenstimme, bei drei Enthaltungen, getroffen.
Und wie geht es mit dem MLH weiter? Vorerst werde es keine Veränderungen geben, die Gottesdienste bleiben, genauso wie die Gruppen, die später einmal im Gemeindezentrum ihre neue Heimat finden sollen. Die Umzugsphase beginnt im Frühjahr 2020; mit den Gruppenleitern habe er bereits darüber gesprochen. „Und wir wollen das Martin-Luther-Haus auf keinen Fall sang- und klanglos untergehen lassen, sondern würdevoll verabschieden.“
Was genau geplant sei, darüber will der Pfarrer noch nicht sprechen, denn da sollen die Betroffenen, die dort beheimatet sind entscheiden. Das MLH hat auch einen Gottesdienstraum, der seinerzeit geweiht wurde.
Als letzter Akt werde der Raum entwidmet. „Ein bisschen ist es wie eine Beerdigung, bei der Gefühle durch Handlungen und Texte aufgelöst werden.“
Und was passiert mit dem MLH anschließend? Diese Entscheidung liege beim Eigentümer, dem Dekanatsbezirk. Was aber in der Brunnenstadt am dringendsten gebraucht werde, sei bezahlbarer Wohnraum. Pfarrer Sperber kann sich gut vorstellen, dass dort einmal ein Neubau mit Wohnungen entsteht – kleine, bezahlbare Wohnungen, vielleicht für Studenten, denn mit der geplanten Straßenbahn sind es dann nur wenige Haltestellen bis zur Universität.