Koenigsbrunner Zeitung

Sohn schlägt eigenen Vater mit einer Bierflasch­e

Ein Streit in einem Familienbe­trieb eskaliert und endet für einen 22-jährigen Mann vor dem Augsburger Amtsgerich­t. Seit der Attacke hat sich vieles geändert

- VON VERONIKA LINTNER

Ein Streit in einem Familienbe­trieb eskaliert und endet für einen 22-jährigen Mann vor dem Amtsgerich­t.

Landkreis Augsburg

Der Auftritt der Eltern dauert nur wenige Sekunden. „Sie müssen Ihren Sohn nicht belasten“, erklärt Richter Tobias Witzigmann, als sie im Zeugenstan­d vor ihn treten. Die Mutter und der Vater wollen auch keine Angaben zu den Vorwürfen machen; sie machen von ihrem Zeugnisver­weigerungs­recht Gebrauch. Angeklagt ist ihr 22-jähriger Sohn. Er sitzt fein gekleidet auf seinem Stuhl, in schwarzem Jackett mit einem dunkelrote­n Hemd, und verfolgt die wenigen Sätze seiner Eltern. Er wechselt einen kurzen Blick mit seinem Vater, beide zucken mit den Augenbraue­n. Das wirkt vertraut, ein kurzes Einverstän­dnis ohne Worte. Und trotzdem: Hier stehen sich nicht nur Vater und Sohn gegenüber – sondern Angeklagte­r und Betroffene­r. Der Vorwurf der schweren Körperverl­etzung wird am Amtsgerich­t Augsburg verhandelt.

Die Rekonstruk­tion des Falls ist zunächst mühsam. Die Eltern verweigern die Aussage, auch der Sohn sitzt schweigend da. Der 22-Jährige aus dem südlichen Landkreis Augsburg lebt bei seinen Eltern, er arbeitet im holzverarb­eitenden Betrieb seines Vaters. Am 21. September 2017 geht gegen 17 Uhr ein Notruf bei der Polizei ein. Die Mutter berichtete, ihr Sohn habe ihrem Mann eine Bierflasch­e auf den Kopf geworfen. Eine Reihe von Fragen muss der Polizist vor Gericht beantworte­n, der den Notruf damals entgegenna­hm. War in dem Notruf von einer vollen oder einer leeren Flasche die Rede? „An all das kann ich mich nicht erinnern“, sagt der Polizist. Er sendete einen Streifen- und einen Rettungswa­gen aus. „Ich war der Überzeugun­g, dass da Verletzung­en vorliegen müssen“, sagt er vor Gericht.

Ein Kollege schildert seine Eindrücke vom Tatort, wenige Minuten nach den Vorfällen: „Die Situation schien beruhigt.“Grüne Glassplitt­er lagen auf dem Boden des Der Sohn habe nervös gewirkt, sagt der Polizist, aber nicht aufgebrach­t. Als der Beamte den jungen Mann mit den Vorwürfen konfrontie­rte, habe er „nichts eingeräumt, aber auch nichts abgestritt­en“. Die Splitter geben aus Sicht des Polizeibea­mten jedenfalls keinen Rückschlus­s darauf, was sich tatsächlic­h zwischen Vater und Sohn ereignet hat.

Das Schweigen aller Beteiligte­n bricht die Anwältin. Weil ihr Mandant sehr nervös sei, verlas sie für ihn ein Statement. Und diese Aussage bringt Klarheit: Seit Langem schon sei das Familienve­rhältnis schwierig gewesen. Der Vater habe den Sohn immer wieder beleidigt und degradiert. „Ich bin froh, wenn ich dich nicht mehr sehen muss!“– so habe der Vater seinen Sohn oft beschimpft. Die Lage sei angespannt gewesen, der Sohn zeitweise in psychologi­scher Behandlung. Alles, was er tat, habe der Vater schlechtge­redet. Immer wieder habe der Sohn Verbesseru­ngsvorschl­äge für die Firma vorgebrach­t – doch alle seien am Unwillen des Vaters abgeprallt. Bis zu jenem Septembera­bend. Die Anwältin erzählt, dass sich Vater und Sohn damals in Rage redeten. Beide. Ihr Mandant streite seine Mitschuld an diesem Konflikt nicht ab, sagt die Verteidige­rin. Doch immer wieder habe der Vater den Sohn beschimpft, „Verpiss dich!“und „Verschwind­e!“habe er gerufen. Schließlic­h habe der junge Mann die Geduld verloren. „Er weiß nicht mehr genau, warum er die Flasche ergriffen hat“, sagt die Anwältin. Aber er habe sich wohl nicht mehr anders zu helfen gewusst. Er holte aus – und schlug dem Vater die Bierflasch­e auf den Kopf.

Ein Schlag mit Folgen. Nach eiProdukti­onsraums. nem kurzem Moment des Schocks, etwa zwei Sekunden nach dem Schlag, habe sich der Sohn beim Vater erkundigt, ob es ihm gut gehe. Das familiäre Verhältnis sei mittlerwei­le „sehr viel besser“. Der Sohn arbeitet nach wie vor in Teilzeit im Betrieb seines Vaters. Nun äußert sich auch der 22-Jährige und berichtet, dass er wieder mit seinem Vater gemeinsam frühstücke, über Probleme spreche. „Das wäre früher undenkbar gewesen“, sagt der Sohn. Und gemeinsam mit seinem Vater fasst er neue Pläne: „Wir versuchen, uns in der Energiebra­nche selbststän­dig zu machen.“

Richter Witzigmann sieht eine gute Perspektiv­e für den jungen Mann. Dass die Eltern nicht gegen den Sohn aussagen wollten, wertet er positiv – der familiäre Zusammenha­lt scheint wiederherg­estellt. Und so stimmen alle Beteiligte­n dem Vorschlag der Staatsanwa­ltschaft zu: 600 Euro, ein Monatsgeha­lt, soll der junge Mann der Kinder- und Jugendhilf­e Augsburg zahlen.

Die Anwältin bricht das Schweigen aller Beteiligte­n

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