Koenigsbrunner Zeitung

Weltbild erlebt turbulente Zeiten

Das Augsburger Medienunte­rnehmen erlebt unter einem unkonventi­onellen Chef beispiello­se Blütejahre. Die Firma wird zu einem der größten Buchhändle­r Europas. Doch nach dem rasanten Aufstieg kommt der tiefe Fall. Nach der Sanierung sorgt jetzt ein Prozess f

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg

Ein Freitagmit­tag, draußen ist es sommerlich heiß, in der Einkaufspa­ssage im Augsburger Zentrum ist es angenehm kühl. Mütter mit Kinderwage­n, Väter, Jugendlich­e bummeln durch die City-Galerie. Im Erdgeschos­s ist der Eingang eines der Geschäfte rot gerahmt, darüber leuchtet der Schriftzug „Weltbild“. Innen gibt es Bestseller wie den neuen Kluftinger­Krimi, Backbücher, Ratgeber, aber auch Deko-Artikel. Solarlicht­er für den Garten oder das Schwimmtie­r „Einhorn“für 24,99 Euro. An der Kasse wird man freundlich bedient. „Der kürzeste Weg zwischen zwei Menschen ist ein Lächeln“steht auf dort angebotene­n Anhängern. Ein junges Pärchen kommt herein. „Da gibt es doch immer nette Sachen“, sagt sie zu ihm.

Dass das Weltbild-Geschäft genauso wie die anderen über 140 Filialen in Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz noch existiert, darauf hätte nicht jedermann im Jahr 2014 gewettet. Damals musste der Konzern Insolvenz anmelden. Das Unternehme­n hat inzwischen eine harte Sanierung durchlaufe­n und sich neu aufgestell­t. Doch ganz zur Ruhe gekommen ist es nicht. Zuletzt sorgte die Nachricht für Aufsehen, dass Weltbild dem Betriebsra­tschef kündigen will. Diesen Montag beginnt vor dem Arbeitsger­icht Augsburg ein Verfahren. Wie also geht es Weltbild wirklich?

An der Spitze steht heute Christian Sailer. „Wir freuen uns, dass es Weltbild wieder gut geht“, sagt er. „Die schwarze Null ist geschafft, das ist die Basis für weiteres Wachstum im Rahmen der Digitalisi­erung, und dafür gebührt allen Mitarbeite­rn ein Danke für ihre tolle Leistung und ihren Einsatz.“Ist alles also auf einem guten Weg? Nicht überall teilt man diese Meinung.

Thomas Gürlebeck, 42, drückt auf einen Knopf, Kaffee rinnt aus einer Maschine. Gürlebeck arbeitet bei der Gewerkscha­ft Verdi. Hier, im Gewerkscha­ftshaus in Augsburg, hat er über Jahre das Drama rund um Weltbild verfolgt. Er hat sich für die Mitarbeite­r eingesetzt, Demonstrat­ionen organisier­t. Jetzt schüttelt er wieder den Kopf. „Weltbild war so eine tolle Plattform“, sagt er. „Heute ist die Führung desolat, es gibt keine Vision, es fehlt ein richtiger Händler, der die Branche kennt und der Netzwerke hat.“

Die Kündigung des Betriebsra­tschefs ist für Thomas Gürlebeck nicht der einzige Missstand: „Der Betriebsra­t bekommt seit Monaten keine Zahlen mehr, keine Informatio­nen, nichts“, sagt er. Die Neuordnung der Büros am neuen Standort südlich der Innenstadt plage aktuell viele Beschäftig­te zusätzlich. Teilweise werden die Büros „viel zu klein“sein, sagt Gürlebeck. Weltbild weist das zurück: Das Unternehme­n verstehe, dass der interne Umzug die Mitarbeite­r bewege. „Eines können wir aber schon jetzt sagen: Es sind vor und nach dem Umzug gleich viele Mitarbeite­r auf gleich viel Fläche und die gesetzlich­en Regelungen werden eingehalte­n“, teilt die Firma mit.

Eine Kündigung, Ärger um Büros. Vielleicht kann man die immer wiederkehr­ende Aufregung bei Weltbild besser verstehen, wenn man einen Blick in die Geschichte wirft. Darauf, welches stolze Unternehme­n sich einmal anschickte, den Buchmarkt aufzumisch­en. Und darauf, wie schmerzhaf­t und turbulent die Insolvenz 2014 erlebt wurde.

Es beginnt kurz nach dem Krieg. Im Jahr 1948 gründet Josef Hall zusammen mit dem Katholisch­en Männerwerk in Fulda die WinfriedWe­rk GmbH. Dieser Verlag gibt das katholisch­e Magazin Mann in der

Zeit heraus. Als die Zeitschrif­t im Jahr 1957 eine Auflage von 500000 Exemplaren erreicht, zieht die Re- nach Augsburg – in ein historisch­es Gebäude in der Frauentors­traße, nahe am Dom. Im Jahr 1967 kauft der Verlag die Zeitschrif­t Feuerreite­r, im Jahr 1968 gibt man den sperrigen Titel Mann in der Zeit mit

Feuerreite­r zugunsten des Titels Weltbild auf. Die Zeitschrif­t war ein richtiges katholisch­es Männermaga­zin. Die Journalist­en in den verwinkelt­en Redaktions­gebäuden erleben die 1970er und 80er Jahre als wunderbare Zeiten. Sie können quer durch die Republik reisen und schreiben. Der Verlag wächst und erwirbt andere Zeitschrif­ten, darunter Frau im Leben.

Nachdem der Gründer Josef Hall bereits 1963 gestorben ist, übernimmt sein Sohn Winfried Hall die Verlagslei­tung. Später geht Weltbild ganz an die katholisch­e Kirche. Bis zur Krise 2014 sind zwölf Bistümer, der Verband der Diözesen Deutschlan­ds und die katholisch­e Soldatense­elsorge in Berlin die Eigentümer.

In dieses katholisch­e Haus platzt 1975 der unkonventi­onelle Niederländ­er Carel Halff – damals 24 Jahre alt, lange Haare. Ein Mann, der so gar nicht hineinpass­t in den katholisch­en Weltbild-Verlag und einen in die Jahre gekommenen Porsche fährt. Halff wird Chef der Weltbild Bücherdien­st GmbH. Seit 1972 konnten Weltbild-Leser als Zusatzserv­ice Bücher bestellen. Anfangs sind es dünne Blättchen, die der Zeitschrif­t als Werbung beigelegt werden. Später entsteht ein monatlich erscheinen­der Katalog. In den ersten Jahren steht Halff selbst am Packtisch, um Bücher in Pakete für Kunden zu schichten. Der Hausmeiste­r fährt die Kartons dann zusammen mit dem Verlagsleh­rling zum Bahnhof.

Halff ist geschickt: Er kauft Restposten und günstige Bücher auf und verkauft sie an die Leser. Für den Erlös bezieht er neue Ware. „Bücher waren seine Welt“, erinnert sich eine frühere Mitarbeite­rin. „Halff hat alles verkauft, was sich verpacken und verkaufen lässt.“Sein Bereich wächst explosions­artig. Die Räume in der Nähe des Doms sind bald zu klein. Der Versand zieht erst in die Böheimstra­ße, dann an die Steinerne Furt nach Augsburg-Lechhausen. Aus einem kleinen Team werden dort schnell mehrere hundert Leute. Wer im Weihdaktio­n nachtsgesc­häft als Aushilfe angeheuert wird und sich gut anstellt, hat bald einen festen Vertrag in der Tasche. Im November 1995 soll Weltbild erstmals pro Monat über eine Million Pakete ausgeliefe­rt haben. Zur Einweihung des neuen Logistikze­ntrums 2001 kommt der damalige bayerische Ministerpr­äsident Edmund Stoiber. Nach dem Zusammensc­hluss mit Hugendubel beherrscht Weltbild den Markt und betreibt im Jahr 2010 rund 500 Filialen. Doch plötzlich geriet etwas aus der Spur.

Das Ehepaar Andrea Karl, 53, und Kurt Sauerlache­r, 62, kann sich gut erinnern. Beide sind heute in ihrem Geschäft in der Augsburger Innenstadt anzutreffe­n – dem Kolonidie al, gelegen zwischen Rathaus und Fuggerei. In den historisch­en, gemütliche­n Ladenräume­n gibt es Literatur, sorgfältig ausgewählt­e Kinderbüch­er, aber auch Wein, Tee, Öle, Gin. Bevor sie den Laden eröffneten, hatten Andrea Karl und Kurt Sauerlache­r bei Weltbild gearbeitet, er 21 Jahre lang, sie 28 Jahre.

Ein Tag markiert für sie die Zeit, ab der es bei Weltbild unruhiger wurde: Das Ehepaar sitzt im Flugzeug zurück aus dem Urlaub, als neben ihnen ein Passagier einen Artikel in der Zeitung liest: „Weltbild soll verkauft werden“. Zwischen 2008 und 2011 erschütter­t eine Debatte um erotische und esoterisch­e Bücher das Unternehme­n. Bereits zuvor verschwand im Lager manches erotisch angehaucht­e Buch in hinteren Ecken, wenn der Bischof seinen Besuch ankündigte. Als später öffentlich über Titel wie das „Schlampeni­nternat“diskutiert wird, überlegt die Kirche, Weltbild zu verkaufen.

Andrea Karl und Kurt Sauerlache­r führten bei Weltbild zusammen mit einem Kollegen den Mitarbeite­r-Buchladen an der Steinernen Furt. „Es war ein Treffpunkt“, sagt Andrea Karl. „Viele kamen zwischen zwei Meetings vorbei, schauten sich die neuen Bücher an, aßen ein Eis.“Wie viele andere Mitarbeite­r haben sie die meisten Jahre bei Weltbild als „gute Zeit“in Erinnerung. „Es war familiär, jeder hatte bei der Arbeit viel Freiheit.“

Bald aber ballen sich immer mehr Probleme. Die Umsätze im stationäre­n Handel sinken, die Kosten wachsen, die Technik ist teuer, die Schulden steigen. Um die Weihnachts­zeit 2013 spitzt sich die finanziell­e Situation zu. In einer dramatisch­en Sitzung ziehen die Bischöfe die Notbremse, sie schießen die geforderte­n, hohen Summen nicht mehr nach. Im Januar 2014 ist Weltbild insolvent.

Andrea Karl und Kurt Sauerlache­r erleben ihre Entlassung als eine Sache von fünf Minuten. „Man hat uns in einen Besprechun­gsraum gerufen, zusammen mit 20 anderen Leuten. Dann wurde gesagt, dass wir an unserem Arbeitspla­tz noch die privaten Sachen holen und dann gehen können“, sagen sie. Drei halbe Tage bleiben sie noch, machen im Buchladen klar Schiff, dann verabschie­den sie sich. „Am Schluss war es mir zu viel“, sagt Andrea Karl. „Die Sache ist mir auf den Magen geschlagen.“

Entlassung­en, Schließung­en: Für die einst 6300 Mitarbeite­r im Konzern beginnt eine schwere Zeit. Hugendubel wird abgespalte­n, erste Interessen­ten für die Firma springen ab – bis der Düsseldorf­er Berater Walter Droege Weltbild übernimmt. Droeges Strategie ist umstritten. Viele Läden werden an einen Investor verkauft, der selbst bald pleite ist. Aus den Gebäuden an der Steinernen Furt zieht man aus. Die Logistik in Augsburg wird geschlosse­n. Heute befindet sie sich im tschechisc­hen Bor. Für Gewerkscha­fter Thomas Gürlebeck war die Schließung der Logistik in Augsburg ein großer Fehler: Denn bis der neue Versand in Tschechien funktionie­rte, habe es lange gedauert, berichtet er.

Jetzt der Prozess gegen den Betriebsra­tschef. Verdi macht gegen die Kündigung mobil. Für Montag

Neben den Büchern gibt es bunte Deko Ware

Die Logistik befindet sich heute im tschechisc­hen Bor

ist vor dem Augsburger Arbeitsger­icht eine Demo angekündig­t. „Es ist erschrecke­nd, mit welcher Aggressivi­tät die Weltbild Geschäftsf­ührung um den Düsseldorf­er Gesellscha­fter Droege gegen den Betriebsra­tsvorsitze­nden vorgeht“, sagt Gürlebeck. „Am liebsten hätte man ihn nach altem Gutsherren­stil einfach an die Luft gesetzt. Die haltlosen Behauptung­en werden sich als Rohrkrepie­rer der Geschäftsl­eitung rausstelle­n“, meint er.

Weltbild weist die Vorwürfe zurück. „Der Arbeitgebe­r musste so reagieren“, teilt die Firma mit. Weltbild sei von besorgten Mitarbeite­rn mitgeteilt worden, dass der Betriebsra­tschef „einen anderen Mitarbeite­r zum Betrug (durch Vortäuschu­ng einer Erkrankung) aufgeforde­rt habe“. Das Unternehme­n wirft Verdi zufolge dem Betriebsra­tschef vor, einem gekündigte­n Mitarbeite­r im tschechisc­hen Logistik-Werk geraten zu haben, sich krankzumel­den. „Daraufhin musste der Arbeitgebe­r tätig werden und hat beim Betriebsra­tsgremium einen Antrag zur fristlosen Kündigung eingereich­t. Diese Vorgehensw­eise hat nichts mit dem Betriebsra­t als Gremium zu tun und war unabhängig von der Person notwendig“, berichtet Weltbild. Ansonsten sieht man sich auf gutem Kurs: Die Gruppe hat 2017 rund

440 Millionen Euro Umsatz erwirtscha­ftet und beschäftig­t 1350 Mitarbeite­r, davon 350 in Augsburg. Der Konzern will in den nächsten fünf Jahren wieder wachsen und hat zuletzt ein Outlet in Bremen und zwei neue Filialen eröffnet.

Dieses Jahr feiert Weltbild seinen

70. Geburtstag. Für Andrea Karl und Kurt Sauerlache­r hat längst das Leben nach Weltbild begonnen. Ein Jahr nachdem sie sich arbeitslos gemeldet hatten, eröffneten sie mit ihrer erstritten­en Abfindung das Kolonial. Drei Jahre ist das her. An diesem Vormittag schauen sich viele Kunden im Laden um. Das Ehepaar ist zufrieden. Die Augsburger nehmen ihren Laden an, „wir bekommen viel Lob“, sagen sie. Auch Carel Halff sei schon vorbeigeko­mmen.

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Foto: Bernhard Weizenegge­r Von der Glanzzeit des Weltbild Verlages sind die Weltbild Filialen übrig geblieben – wie diese hier in der Augsburger City Galerie.
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Archivfoto: Fred Schöllhorn Carel Halff machte Weltbild zu einem der größten Buchhändle­r Europas.
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Foto: Ulrich Wagner Kurt Sauerlache­r und Andrea Karl arbeiteten bei Weltbild, heute betreiben sie das Kolonial.
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Foto: Weltbild Archiv Werbung aus den Anfangsjah­ren der Zeitschrif­t Weltbild.

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