Wenn die Eltern die Arbeitslosigkeit an ihre Kinder vererben
Der Landkreis unterstützt Familien mit einem speziellen Projekt. Dabei geht es aber um viel mehr, als einen neuen Job zu finden
Landkreis Augsburg Der Vater ist alkoholkrank, die Mutter leidet unter einer psychischen Erkrankung, die Kinder drücken sich vor der Schule. Was für viele Menschen nach einem Klischee oder einer schlechten Fernsehshow klingt, ist für manche Familien im Landkreis Augsburg Wirklichkeit. Wenn die Eltern für lange Zeit arbeitslos sind, die Familie vielleicht schon in der dritten Generation Hartz IV bezieht, hat das Auswirkungen auf das gesamte Familienleben. Derzeit sind es 1589 Minderjährige im Landkreis, die Arbeitslosengeld II empfangen.
Um diese Familien aus dem Teufelskreis herauszuholen, bietet der Landkreis Augsburg seit einem Jahr ein Förderprogramm an. Es heißt Cura, der Name setzt sich aus „Coaching von Familien zur Bekämpfung urbaner Arbeitslosigkeit“zusammen. Özlem Akar, Projektleiterin vom Jugendamt des Landkreises, betreut zusammen mit Margot Lindner vom Jobcenter Augsburg-Land Cura. „Es geht um viel mehr, als Arbeitslose auf den Arbeitsmarkt zu vermitteln. Wir wollen der ganzen Familie helfen.“
Familien mit Langzeitarbeitslosigkeit haben mit vielen Problemen zu kämpfen. „Das fängt bei den finanziellen Sorgen an, wenn die Eltern es sich nicht mal leisten kön- nen, für das Ferienprogramm der Kinder zehn Euro beizusteuern.“Die Angst vor der Zukunft mache den Schritt auf den Arbeitsmarkt umso schwerer. Özlem Akar sagt: „Ich kenne Fälle, da haben die Eltern Angst, arbeiten zu gehen. Sie befürchten, dass sie von ihrem Lohn nicht leben können, wenn ihnen die ganzen Leistungen wegfallen.“Zudem leiden Langzeitarbeitslose oft unter Antriebslosigkeit: „Sie kön- nen gar nichts dafür, sie sind in ihrem Zustand gefangen. Sie sind wie gelähmt und haben morgens keine Motivation, um aufzustehen.“
All das überträgt sich auf die Kinder: Soziale Vererbung nennt Özlem Akar dieses Phänomen. „Die Eltern wünschen sich für ihre Kinder zwar, dass sie später eine Lehre machen oder studieren.“Wenn man aber von klein auf vorgelebt bekommt, dass man keinen geregelten Tagesablauf braucht – geschweige denn in die Schule gehen muss –, könnten die Kinder gar nicht anders, als es den Eltern nachzutun. Die Folge: „Viele 15-Jährige sagen zu uns, ihr Berufswunsch sei Hartzen oder Kinderkriegen.“ Cura will diesen Familien mit ihren Problemen helfen. Die Eltern können sich freiwillig anmelden und bekommen dann zum Beispiel Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder, Fördermittel oder eine psychologische Beratung vermittelt. Der Landkreis hat dazu am Dienstag einen Förderbescheid von Familienministerin Kerstin Schreyer in Höhe von 36000 Euro bekommen. Für Landrat Martin Sailer ist das ein wichtiges Zeichen: „Auch wenn wir im Landkreis quasi Vollbeschäftigung haben, dürfen wir diese Menschen nicht vergessen.“Das Neue an diesem Projekt ist vor allem, dass nicht nur die Betroffenen selbst unterstützt werden. Sondern die ganze Familie. Dazu arbeiten das Jugendamt und das Jobcenter jetzt noch enger zusammen.
Wie das gehen kann, erklärt Klaus Schmitz, Geschäftsführer des Jobcenters Augsburg-Land: Um den Eltern einen gergelten Tagesablauf zu vermitteln, werden sie am Vormittag auf Schulungen geschickt. Die Kinder gehen nach dem Unterricht in den Hort oder werden an Musikgruppen und Vereine vermittelt. Özlem Akar sagt: „So erfahren sie das erste Mal im Leben, dass es noch viel mehr gibt, als nur daheim zu sein und nichts zu tun zu haben.“
Der Berufswunsch mit 15: hartzen oder Kinder kriegen