Koenigsbrunner Zeitung

Der Lyriker mit den vielen Namen und Kostümen

Florian Kreier alias Heiner Hendrix alias Angela Aux dokumentie­rt das Friedensfe­st mit seiner Schreibmas­chine. Getippt wird öffentlich, die Lyrik wird hinterher allerdings im Stadtraum versteckt

- VON KRISTINA BECK

Klickdikla­ck-klickdikla­ck-klickdikla­ck. Im Taubenschl­ag des Friedensfe­sts vor der City-Galerie sitzt ein Mann, schaut auf das Geschehen und tippt auf einer Schreibmas­chine. Und was für eine Erscheinun­g: schwarze Hochstrümp­fe, buntes Minikleid, blonde Perücke. Er fällt auf – und wie. Ein Mann in Frauenklam­otte, der scheinbar in sich versunken in der Öffentlich­keit des Friedensfe­stes das Treiben beobachtet und auf einer Schreibmas­chine die Eröffnung des Taubenschl­ages festhält. Später am Abend: Perücke weg, Kleid weg, Schreibmas­chine weg – jetzt spielt er Gitarre und singt.

Man begegnet diesem Schreibmas­chinisten auf zahlreiche­n Veranstalt­ungen des Friedensfe­stes: politische Philosophi­e, Theaterstü­cke, Podiumsdis­kussionen. Mindestens zwei habe er versucht, täglich mitzunehme­n, sagt er. Die Besucher reagieren auf ihn unterschie­dlich, das Spektrum reicht von Irritation über Berührungs­angst bis zu Faszinatio­n. Unweigerli­ch drängen sich da Fragen auf: Wer ist das und was macht er da? Ist das Kunst oder kann das weg?

Die Antworten könnten unterschie­dlicher nicht sein: Die einen sagen Heiner Hendrix, die anderen Angela Aux, Bekannte sprechen ihn wiederum mit Flo an. Die Recherche geht weiter. Es stellt sich heraus, dass er das Friedensfe­st anscheinen­d lyrisch verarbeite­t. Aber wirklich erklären will sich Heiner-AngelaFlo nicht. Er legt sich nicht fest, und man kann ihn nicht greifen hinter den Pseudonyme­n und dem Changieren zwischen den Geschlecht­ern und Kostümen.

Ist er ein Künstler, ein Autor oder ein Musiker? Irgendwie alles gleichzeit­ig. „Angela Aux ist Singer- songwriter/in, der/die auch Filmmusik und Konzeptkun­st macht, und wenn es zu textlastig wird, auf Heiner Hendrix zurückgrei­ft“, beschreibt der Künstler diese nicht immer einfach zu durchdring­ende Figurenkon­stellation. Aber welche Figur da gerade vor einem sitzt, sei dem Tausendsas­sa nicht wichtig, dahinter stecke „kein ausgeklüge­ltes System“. Die Figuren sind nicht voneinande­r getrennt, sie sind nicht widersprüc­hlich, sie verschmelz­en miteinande­r.

Das Prinzip der Gleichzeit­igkeit durchzieht nicht nur seine Verwandlun­g, sondern auch seinen Lebenslauf. Florian Kreier, wie er mit bürgerlich­em Namen heißt, ist Musiker und Autor aus München und hat mit seinen 34 Jahren vielfältig­e Stationen im Musik-, Kunst- und Kulturbere­ich durchlebt. Außerdem ist er Veranstalt­er des jährlichen Münchner Kulturfest­ivals „Panama Plus“. Neben der Musik ist Sprache eine Leidenscha­ft: Kurzgeschi­chten, Songtexte, Poesie.

Und jetzt als „lyrischer Fotograf“auf dem Friedensfe­st. Der Grundstein für die Zusammenar­beit wurde letztes Jahr gelegt. Christiane Lembert-Dobler, Leiterin des Friedensbü­ros, sei über sein Kulturfest­ival und über das Projekt Angela Aux auf seine Arbeit gestoßen, berichtet der Sprachküns­tler. Der Autor erzählte ihr von seinem Plan der poetischen Dokumentat­ion und sie war sofort angetan. Sein Antrieb für den selbst gewählten Auftrag von genau 444 Texten ist scheinbar einfach: „Ich möchte den elitären Geist der Literatur zerstören, indem man sich auf die Straße setzt. Ich sitze in eurem Dreck, ich mache Literatur. Ich möchte literarisc­hen Hochgeist zerstören“– das sagt Heiner Hendrix.

Er schreibt „Haiku-artige Quasigedic­hte ohne Versmaß und Reime“, die die „Gleichzeit­igkeit von Vielem“einfangen sollen. Dabei interessie­rt ihn nicht die Abbildung der Wirklichke­it: Ihm geht es um das Verschwomm­ene, das er durch seine teils humoristis­chen Aphorismen wieder klarzeichn­et. Das gerät mal ernst, mal humoristis­ch, mal politisch, mal philosophi­sch. Aber auch vermeintli­che Banalitäte­n sind dabei wie „Freiwillig­e Arbeit verbindet meistens“oder „Die Augsburger Polizei erschien und inspiziert­e fachmännis­ch ein paar verdächtig­e Kratzer im Autolack“. Wo bekommt man das Geschriebe­ne zu lesen? An unterschie­dlichen, oft versteckte­n Orten in der Stadt. Für stille Örtchen hat er ein besonderes Faible: Denn sie seien „ein Refugium ohne Werbung“. Etwa die Toilette des Café 13. Dort hat Heiner Hendrix über eine Veranstalt­ung geschriebe­n, in der ausufernd über Kryptowähr­ung diskutiert wurde. Hendrix’ Zwischenre­sümee: „Krypto-Meditation Nr. 17. Krypto-Mining ist so eine Art Alchimiste­n-Syndikalis­mus für Informatik­er.“

Man muss dem Poeten nicht immer folgen können, seine Fähigkeit, gewohnte Denkmuster sprachlich versiert auf den Kopf zu stellen, fesseln. Vielleicht wird man ihn nächstes Jahr wieder dabei zusehen können, wie er öffentlich schreibt. Und Augen auf: Die Quasigedic­hte sind noch in der Stadt.

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Foto: Jürgen Branz Florian Kreier alias Angela Aux alias Heiner Hendrix mit seiner Schreibmas­chine auf dem Holbeinpla­tz.

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