Koenigsbrunner Zeitung

Babyboom im Kreis

Die Familien bekommen wieder mehr Kinder – besonders in der zweitgrößt­en Stadt des Kreises. Dafür gibt es mehrere Ursachen. Warum Experten dennoch von keinem stabilen Trend sprechen wollen

- VON ADRIAN BAUER adi@augsburger allgemeine.de

Zuletzt kamen Mitte der 1990erJahr­e so viele Kinder im Landkreis Augsburg auf die Welt. Knapp 2500 Geburten wurden 2017 registrier­t.

Landkreis Augsburg Die Familien im Landkreis Augsburg bekommen wieder mehr Kinder. Im vergangene­n Jahr 2017 ist die Zahl der Geburten erneut angestiege­n. 2459 Kinder erblickten in diesem Jahr das Licht der Welt, knapp fünf Prozent mehr als im Vorjahr. Das geht aus aktuellen Zahlen des Statistisc­hen Landesamte­s hervor.

Bundesweit wurden im vergangene­n Jahr 785000 Kinder geboren. Das ist ein Prozent weniger als noch 2016. Der regionale Babyboom im Landkreis Augsburg setzt sich dagegen fort. Seit 2009 (damals 1796 Geburten) kommen im Augsburger Land Jahr für Jahr mehr Kinder auf die Welt. Derzeit liegen die Zahlen in etwa wieder auf dem Niveau der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre.

Landrat Martin Sailer spricht von einer „überaus erfreulich­en Entwicklun­g, denn es zeigt, dass der Landkreis Augsburg eine attraktive und lebenswert­e Region für Familien ist“. Dazu tragen nach Ansicht des Landkreisc­hefs der Ausbau der Kindertage­sbetreuung ebenso bei wie die Investitio­nen in Bildung und Schulen.

Günter Katheder-Göllner, der im Landratsam­t für die Planung im Bereich der Jugendhilf­e verantwort­lich ist, sagt: „Es gibt Anzeichen, dass familienpo­litische Maßnahmen wie Elterngeld und der Ausbau der Kindertage­sbetreuung den Trend zu mehr Kindern befördern.“Darauf deute der Anstieg der Geburtenra­te hin. Sie lag im Landkreis Augsburg im Jahr 2016 bei 1,7 Kindern pro Frau und damit deutlich höher als in den Vorjahren. Für eine abschließe­nde Bewertung sei es aber jetzt noch zu früh, so Katheder-Göllner. Diese sei frühestens nach zehn Jahren möglich.

Festzuhalt­en sei zunächst einmal, dass es derzeit einfach mehr Frauen im gebärfähig­en Alter gebe – die in

Flüchtling­e sind nicht der Grund für den Babyboom

den 80er-Jahren geborenen Kinder der Baby-Boomer-Generation, deren Angehörige jetzt Omas und Opas werden. Ein weiterer Grund für steigende Geburtenza­hlen: Die Städte und Gemeinden im Kreis sind bei jungen Familien ein beliebtes Zuzugsgebi­et. Das zeigen langfristi­ge Analysen zur Bevölkerun­gsentwickl­ung. Als dritter Punkt komme die gute wirtschaft­liche Lage hinzu, heißt es in einer Erklärung des Landratsam­tes. Kaum eine Rolle spielten beim derzeitige­n Babyboom die Kinder von Flüchtling­en: „Dafür ist der Anteil von geflüchtet­en Familien zu gering.“

Sehr unterschie­dlich verläuft die Geburtenen­twicklung in den 46 Städten und Gemeinden des Land- kreises (siehe Tabelle). In absoluten Zahlen ist Gersthofen die „Geburtshau­ptstadt“, den größten Zuwachs unter den Städten verzeichne­te Neusäß. Dort steigt die Zahl der Neugeboren­en von 2016 auf 2017 um 33 Prozent. Einzelne kleinere Gemeinden weisen 2017 sogar um zwei Drittel mehr Geburten aus als im Vorjahr.

Mehr Geburten bedeutet in den Folgejahre­n auch mehr Nachfrage nach Krippen- und Kindergart­enplätzen. In diesem Bereich ist das Angebot jetzt schon knapp. Bei einer Blitzumfra­ge des Jugendamte­s unter den Städten und Gemeinden im Juni zeigte sich, dass in fast der Hälfte der Städte und Gemeinden in Krippen, Kindergärt­en oder Horten Plätze fehlen. Und wenn die Schülerzah­len nicht sinken – wie vor einigen Jahren noch prognostiz­iert – wird für Bildung doch mehr Geld fällig werden, als bisher angenommen. Die Hoffnung auf eine „demografis­che Rendite“im Schulsyste­m scheint dahin zu sein.

Landrat Martin Sailer sieht die Sache dennoch ziemlich gelassen. „Wir sind gut aufgestell­t, aber es gibt auch noch genügend zu tun“, kommentier­t er die aktuelle Situation. Und überhaupt: „Kinder sind etwas Schönes. Allein deswegen dürfen es auch zukünftig ruhig etwas mehr sein.“

»Welche Gedanken machen sich junge Eltern, die ihr erstes Kind erwarten? Lesen Sie dazu zwei Meinungsbe­iträge auf

Zwei Fragen bekommen meine Frau und ich im Moment häufig gestellt. Bei ihr ist es: „Wie machst du es zukünftig mit der Arbeit?“Bei mir: „Nimmst du auch Elternzeit?“Nun ließe sich ein langer Diskurs anstrengen, ob es nicht antiquiert ist, automatisc­h anzunehmen, dass die Frau erst einmal daheim beim Nachwuchs bleibt. Aber das würde zu weit führen. Denn uns und vermutlich viele andere Familien in derselben Situation beschäftig­en deutlich praktische­re Fragen.

Mit einem Gehalt eine Immobilie abzuzahlen und die laufenden Kosten zu decken, das ist für uns dauerhaft nicht drin. Was im Umkehrschl­uss bedeutet, dass meine Frau nach einer Pause wieder arbeiten wird. Und hier stellt sich schon jetzt eine durchaus entscheide­nde Frage: Wie gut sind Beruf und Familie tatsächlic­h vereinbar?

Hier hat sich in den vergangene­n Jahren viel getan. Das Elterngeld und die zugehörige­n Regelungen verhindern in Deutschlan­d amerikanis­che Verhältnis­se: In den USA stehen junge Menschen oft vor der Frage, ob sie sich Kinder überhaupt leisten können. Denn finanziell­e Hilfen oder ein Rückkehrre­cht in den Job gibt es schlicht nicht. In Deutschlan­d konnten frühere Generation­en nur davon träumen, dass beide Elternteil­e eine Auszeit nehmen können, um sich ihren Kindern zu widmen. Daher ist meine Antwort auf die Frage nach der Elternzeit: „Natürlich nehme ich die.“Das eigene Kind intensiv aufwachsen zu sehen und meine Frau zu entlasten, das will ich mir um nichts in der Welt entgehen lassen.

Engagiert haben sich viele Kommunen und andere Träger in den vergangene­n Jahren beim Aufbau der frühkindli­chen Betreuung. In den letzten zehn Jahren ist so ein flächendec­kendes Netz von Krippen entstanden, auch wenn immer noch nicht alle einen Platz bekommen. Die meisten Eltern aber wissen ihre Kinder in guten Händen, während sie arbeiten gehen – eine enorme Erleichter­ung für alle, die es sich nicht leisten können oder wollen, dauerhaft daheim zu bleiben.

Doch bei allen Errungensc­haften bleiben auch für uns Fragezeich­en: Wie passen unsere Arbeitszei­ten und die Betreuungs­zeiten zusammen? In der Stadt schließen die meisten Kitas um 17 Uhr, auf dem Land noch früher. Sehr früh für Redakteure, aber auch für Verkäuferi­nnen, Polizisten, Krankenpfl­eger und viele andere Menschen, die im Schichtdie­nst arbeiten. So ist man oft abhängig von verständni­svollen Chefs und Kollegen. Denn dass die Großeltern in der Nähe wohnen und einspringe­n können, ist nicht selbstvers­tändlich in einer Gesellscha­ft, in der viele für den Job ihre Heimat verlassen mussten.

Über die Lösung für dieses Problem wird seit Jahren diskutiert. Viel geschehen ist bisher aber nicht Mehr Erzieherin­nen sind gewünscht, bessere Rahmenbedi­ngungen und Verdienste für qualifizie­rte Arbeitskrä­fte konnte man nicht durchsetze­n. Die gestiegene Wertschätz­ung, von der überall zu lesen ist, schlägt sich nicht wirklich zählbar nieder. Ähnlichkei­ten zur Kranken- oder Altenpfleg­e sind leider nicht zufällig. Ohne zusätzlich­e Kräfte wird es auch keine längeren Öffnungsze­iten geben.

Und so bleibt als Antwort auf die Vereinbark­eitsfrage nur: Es ist besser als früher, aber einige Sorgen bleiben. Unserer Vorfreude tut das keinen Abbruch. Wir werden das Kind schon schaukeln.

Adrian Bauer (37) ist Re dakteur in Schwabmün chen, mit Manuela Bauer verheirate­t. Die beiden leben in Königsbrun­n.

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Foto: Marcus Merk Im Kreißsaal ist immer seltener ein Platz frei: Die Geburtenza­hlen im Landkreis sind in den vergangene­n Jahren stetig gestiegen.
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