Babyboom im Kreis
Die Familien bekommen wieder mehr Kinder – besonders in der zweitgrößten Stadt des Kreises. Dafür gibt es mehrere Ursachen. Warum Experten dennoch von keinem stabilen Trend sprechen wollen
Zuletzt kamen Mitte der 1990erJahre so viele Kinder im Landkreis Augsburg auf die Welt. Knapp 2500 Geburten wurden 2017 registriert.
Landkreis Augsburg Die Familien im Landkreis Augsburg bekommen wieder mehr Kinder. Im vergangenen Jahr 2017 ist die Zahl der Geburten erneut angestiegen. 2459 Kinder erblickten in diesem Jahr das Licht der Welt, knapp fünf Prozent mehr als im Vorjahr. Das geht aus aktuellen Zahlen des Statistischen Landesamtes hervor.
Bundesweit wurden im vergangenen Jahr 785000 Kinder geboren. Das ist ein Prozent weniger als noch 2016. Der regionale Babyboom im Landkreis Augsburg setzt sich dagegen fort. Seit 2009 (damals 1796 Geburten) kommen im Augsburger Land Jahr für Jahr mehr Kinder auf die Welt. Derzeit liegen die Zahlen in etwa wieder auf dem Niveau der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre.
Landrat Martin Sailer spricht von einer „überaus erfreulichen Entwicklung, denn es zeigt, dass der Landkreis Augsburg eine attraktive und lebenswerte Region für Familien ist“. Dazu tragen nach Ansicht des Landkreischefs der Ausbau der Kindertagesbetreuung ebenso bei wie die Investitionen in Bildung und Schulen.
Günter Katheder-Göllner, der im Landratsamt für die Planung im Bereich der Jugendhilfe verantwortlich ist, sagt: „Es gibt Anzeichen, dass familienpolitische Maßnahmen wie Elterngeld und der Ausbau der Kindertagesbetreuung den Trend zu mehr Kindern befördern.“Darauf deute der Anstieg der Geburtenrate hin. Sie lag im Landkreis Augsburg im Jahr 2016 bei 1,7 Kindern pro Frau und damit deutlich höher als in den Vorjahren. Für eine abschließende Bewertung sei es aber jetzt noch zu früh, so Katheder-Göllner. Diese sei frühestens nach zehn Jahren möglich.
Festzuhalten sei zunächst einmal, dass es derzeit einfach mehr Frauen im gebärfähigen Alter gebe – die in
Flüchtlinge sind nicht der Grund für den Babyboom
den 80er-Jahren geborenen Kinder der Baby-Boomer-Generation, deren Angehörige jetzt Omas und Opas werden. Ein weiterer Grund für steigende Geburtenzahlen: Die Städte und Gemeinden im Kreis sind bei jungen Familien ein beliebtes Zuzugsgebiet. Das zeigen langfristige Analysen zur Bevölkerungsentwicklung. Als dritter Punkt komme die gute wirtschaftliche Lage hinzu, heißt es in einer Erklärung des Landratsamtes. Kaum eine Rolle spielten beim derzeitigen Babyboom die Kinder von Flüchtlingen: „Dafür ist der Anteil von geflüchteten Familien zu gering.“
Sehr unterschiedlich verläuft die Geburtenentwicklung in den 46 Städten und Gemeinden des Land- kreises (siehe Tabelle). In absoluten Zahlen ist Gersthofen die „Geburtshauptstadt“, den größten Zuwachs unter den Städten verzeichnete Neusäß. Dort steigt die Zahl der Neugeborenen von 2016 auf 2017 um 33 Prozent. Einzelne kleinere Gemeinden weisen 2017 sogar um zwei Drittel mehr Geburten aus als im Vorjahr.
Mehr Geburten bedeutet in den Folgejahren auch mehr Nachfrage nach Krippen- und Kindergartenplätzen. In diesem Bereich ist das Angebot jetzt schon knapp. Bei einer Blitzumfrage des Jugendamtes unter den Städten und Gemeinden im Juni zeigte sich, dass in fast der Hälfte der Städte und Gemeinden in Krippen, Kindergärten oder Horten Plätze fehlen. Und wenn die Schülerzahlen nicht sinken – wie vor einigen Jahren noch prognostiziert – wird für Bildung doch mehr Geld fällig werden, als bisher angenommen. Die Hoffnung auf eine „demografische Rendite“im Schulsystem scheint dahin zu sein.
Landrat Martin Sailer sieht die Sache dennoch ziemlich gelassen. „Wir sind gut aufgestellt, aber es gibt auch noch genügend zu tun“, kommentiert er die aktuelle Situation. Und überhaupt: „Kinder sind etwas Schönes. Allein deswegen dürfen es auch zukünftig ruhig etwas mehr sein.“
»Welche Gedanken machen sich junge Eltern, die ihr erstes Kind erwarten? Lesen Sie dazu zwei Meinungsbeiträge auf
Zwei Fragen bekommen meine Frau und ich im Moment häufig gestellt. Bei ihr ist es: „Wie machst du es zukünftig mit der Arbeit?“Bei mir: „Nimmst du auch Elternzeit?“Nun ließe sich ein langer Diskurs anstrengen, ob es nicht antiquiert ist, automatisch anzunehmen, dass die Frau erst einmal daheim beim Nachwuchs bleibt. Aber das würde zu weit führen. Denn uns und vermutlich viele andere Familien in derselben Situation beschäftigen deutlich praktischere Fragen.
Mit einem Gehalt eine Immobilie abzuzahlen und die laufenden Kosten zu decken, das ist für uns dauerhaft nicht drin. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass meine Frau nach einer Pause wieder arbeiten wird. Und hier stellt sich schon jetzt eine durchaus entscheidende Frage: Wie gut sind Beruf und Familie tatsächlich vereinbar?
Hier hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. Das Elterngeld und die zugehörigen Regelungen verhindern in Deutschland amerikanische Verhältnisse: In den USA stehen junge Menschen oft vor der Frage, ob sie sich Kinder überhaupt leisten können. Denn finanzielle Hilfen oder ein Rückkehrrecht in den Job gibt es schlicht nicht. In Deutschland konnten frühere Generationen nur davon träumen, dass beide Elternteile eine Auszeit nehmen können, um sich ihren Kindern zu widmen. Daher ist meine Antwort auf die Frage nach der Elternzeit: „Natürlich nehme ich die.“Das eigene Kind intensiv aufwachsen zu sehen und meine Frau zu entlasten, das will ich mir um nichts in der Welt entgehen lassen.
Engagiert haben sich viele Kommunen und andere Träger in den vergangenen Jahren beim Aufbau der frühkindlichen Betreuung. In den letzten zehn Jahren ist so ein flächendeckendes Netz von Krippen entstanden, auch wenn immer noch nicht alle einen Platz bekommen. Die meisten Eltern aber wissen ihre Kinder in guten Händen, während sie arbeiten gehen – eine enorme Erleichterung für alle, die es sich nicht leisten können oder wollen, dauerhaft daheim zu bleiben.
Doch bei allen Errungenschaften bleiben auch für uns Fragezeichen: Wie passen unsere Arbeitszeiten und die Betreuungszeiten zusammen? In der Stadt schließen die meisten Kitas um 17 Uhr, auf dem Land noch früher. Sehr früh für Redakteure, aber auch für Verkäuferinnen, Polizisten, Krankenpfleger und viele andere Menschen, die im Schichtdienst arbeiten. So ist man oft abhängig von verständnisvollen Chefs und Kollegen. Denn dass die Großeltern in der Nähe wohnen und einspringen können, ist nicht selbstverständlich in einer Gesellschaft, in der viele für den Job ihre Heimat verlassen mussten.
Über die Lösung für dieses Problem wird seit Jahren diskutiert. Viel geschehen ist bisher aber nicht Mehr Erzieherinnen sind gewünscht, bessere Rahmenbedingungen und Verdienste für qualifizierte Arbeitskräfte konnte man nicht durchsetzen. Die gestiegene Wertschätzung, von der überall zu lesen ist, schlägt sich nicht wirklich zählbar nieder. Ähnlichkeiten zur Kranken- oder Altenpflege sind leider nicht zufällig. Ohne zusätzliche Kräfte wird es auch keine längeren Öffnungszeiten geben.
Und so bleibt als Antwort auf die Vereinbarkeitsfrage nur: Es ist besser als früher, aber einige Sorgen bleiben. Unserer Vorfreude tut das keinen Abbruch. Wir werden das Kind schon schaukeln.
Adrian Bauer (37) ist Re dakteur in Schwabmün chen, mit Manuela Bauer verheiratet. Die beiden leben in Königsbrunn.