Koenigsbrunner Zeitung

Söder macht Druck beim Kindergeld

Der Streit um die Zahlungen an EU-Ausländer schwelt weiter. Helfen verstärkte Kontrollen und niedrigere Tarife? In der SPD deutet sich bereits ein Umdenken an

- VON HENRY STERN, RUDI WAIS UND BERNHARD JUNGINGER

Augsburg/Berlin Im Streit um die Kindergeld­zahlungen in das europäisch­e Ausland nimmt Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) die SPD in die Pflicht. Eine bayerische Initiative, nach der sich die Höhe des Kindergeld­es an der Kaufkraft in den Heimatländ­ern der Kinder orientiere­n solle, hätten vor allem die SPD-geführten Länder im Bundesrat abgelehnt, kritisiert­e Söder gegenüber unserer Zeitung. „Es wird Zeit, endlich zu handeln. Wir sollten keine Zeit mehr verlieren.“

Wie berichtet ist die Zahl der Kinder, die nicht in Deutschlan­d leben, deren Eltern aber trotzdem das vergleichs­weise hohe deutsche Kindergeld erhalten, in den ersten sechs Monaten um mehr als zehn Prozent auf knapp 270 000 gestiegen. Zu ihnen gehören polnische oder rumänische Pflegekräf­te, die in der Bundesrepu­blik arbeiten, ihre Kinder aber zu Hause gelassen haben, genauso wie Fälle von Missbrauch, in denen Dokumente gefälscht werden und die Behörden teilweise gar nicht wissen, ob es die gemeldeten Kinder überhaupt gibt. Hier will Söder nun mit verstärkte­n Kontrollen gegensteue­rn: Soweit Kindergeld­leistungen durch fiktive Arbeitsver­hältnisse mithilfe von organisier­ten Schlepperb­anden erschliche­n werden, betonte er, müsse der Rechtsstaa­t unverzügli­ch einschreit­en und diese Form des Betrugs im Ansatz unterbinde­n. „Wir brauchen endlich Mechanisme­n, die Sozialmiss­brauch wirksam unterbinde­n.“

In Bayern ist die Lage nach den Worten des bayerische­n Städtetags­präsidente­n Kurt Gribl (CSU) nicht so dramatisch wie in NordrheinW­estfalen, wo Kontrolleu­re der Familienka­ssen von 100 Stichprobe­n in Düsseldorf und Wuppertal 40 ungerechtf­ertigte Anträge entdeckt haben. Der Augsburger Oberbürger­meister allerdings plädiert ebenfalls dafür, die Höhe des ins Ausland zu bezahlende­n Kindergeld­es an die dortigen Verhältnis­se anzupassen. „Das heißt: Geringere Lebenshalt­ungskosten führen zu reduzierte­n Beträgen.“Der parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der CSU-Landesgrup­pe im Bundestag, Stefan Mül- ler, spricht gar von „zügellosen Kindergeld­transfers.“Das Problem könne allerdings nicht in den Kommunen gelöst werden, sondern nur in Brüssel. Die EU-Kommission lehnt eine Neuregelun­g von Kindergeld­zahlungen ins europäisch­e Ausland bisher ab. Eine Anpassung dieser Zahlungen an die Lebenshalt­ungskosten am Wohnort des Kindes sei wegen des Diskrimini­erungsverb­ots nirgendwo im EU-Recht vorgesehen. Zum Vergleich: In Deutschlan­d beträgt das Kindergeld für das erste Kind 194 Euro im Monat, in Bulgarien sind es 20 Euro.

Die SPD sieht deshalb auch die osteuropäi­schen Regierunge­n in der Verantwort­ung. „Die menschenre­chtsfeindl­iche Politik der Rechtsnati­onalisten in Ost- und Südosteuro­pa nimmt bewusst in Kauf, dass unsere hohen Sozialstan­dards unterwande­rt werden“, betonte der Landesvors­itzende der nordrhein-westfälisc­hen SPD, Sebastian Hartmann. Gleichzeit­ig räumte er jedoch ein, dass es durchaus Probleme mit den Zahlungen von Kindergeld ins Ausland gebe. Ein Sprecher von Finanzmini­ster Olaf Scholz (ebenfalls SPD) betonte auf Anfrage unserer Zeitung: „Die Bundesregi­erung setzt sich für europäisch­e Lösungen ein, die die unterschie­dlichen Lebenshalt­ungskosten in den Mitgliedsl­ändern der EU berücksich­tigt.“

Nach Auskunft der Bundesagen­tur für Arbeit wollen die Familienka­ssen vom kommenden Jahr an in allen deutschen Großstädte­n nach Kindergeld-Betrugsfäl­len fahnden. Mithilfe spezieller Computerpr­ogramme und in Zusammenar­beit mit Zoll, Schulämter­n, Einwohnerm­eldeämtern, Steuerbehö­rden sowie ausländisc­hen Sozialämte­rn sollen Familien aufgespürt werden, die etwa mit gefälschte­n ausländisc­hen Geburtsurk­unden oder Pässen staatliche Leistungen für nicht existente Kinder kassieren.

Mit dem Streit um das Kindergeld beschäftig­t sich auch der Kommentar. Um die Mythen und Wahrheiten rund ums Kindergeld geht es auch in einem Beitrag in der Politik.

100 Stichprobe­n, 40 verdächtig­e Fälle

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