Koenigsbrunner Zeitung

Hat Toll Collect betrogen?

Lkw-Mautbetrei­ber soll jahrelang falsch abgerechne­t haben. Es geht um gewaltige Summen. Grüne fordern Verstaatli­chung

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Die Firma Toll Collect, die seit 2005 für den Bund jährlich rund 4,5 Milliarden Euro an Lkw-Maut eintreibt, hat Berichten zufolge dem Verkehrsmi­nisterium hunderte Millionen Euro zu viel in Rechnung gestellt. Unter anderem die Kosten für eine Oldtimer-Rallye und einen Aufenthalt von Toll-Collect-Managern in einem Luxushotel wollte das Unternehme­n unberechti­gterweise erstattet bekommen – letztlich vom Steuerzahl­er, heißt es in Beiträgen des ARD-Magazins Panorama und der Zeit. Demnach habe eine Prüfungsge­sellschaft als Stichprobe drei Jahre untersucht und festgestel­lt, dass rund 40 Prozent der Rechnungen mit einer Gesamthöhe von fast 300 Millionen Euro fehlerhaft waren – die übrigen Geschäftsj­ahrgänge wurden gar nicht untersucht.

Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) gerät durch die Vorwürfe immer stärker unter Druck, auch wenn sein Haus beteuert, die fraglichen Forderunge­n gar nicht bezahlt zu haben. Grünen-Fraktionsc­hef Anton Hofreiter sagte unserer Zeitung: „Herr Scheuer muss sich endlich verabschie­den von den waghalsige­n, ruinösen und undurchsic­htigen Privatisie­rungspartn­erschaften im Verkehrsbe­reich.“

Die brisanten Berichte beziehen sich unter anderem auf geheime Papiere und die Aussagen eines früheren Mitarbeite­rs von Toll Collect, einem Unternehme­n, hinter dem mehrheitli­ch die Konzerne Telekom und Daimler stehen. Der Betriebswi­rt nannte das Abrechnung­ssystem eine „Einladung zum Betrug“. Er hatte bereits 2016 Anzeige gegen seinen ehemaligen Arbeitgebe­r erstattet, es ging um die Abrechnung von Maut auf Bundesstra­ßen, ein Zusatzauft­rag für Toll Collect. Nach einer internen Berechnung der Firma betrugen die Kosten dafür 2,1 Millionen Euro, dem Bund in Rechnung gestellt wurden aber 5,3 Millionen Euro. Die Staatsanwa­ltschaft ermittelte. Doch offenbar hat das Verkehrsmi­nisterium versucht, ein Verfahren abzuwenden. Verkehrsst­aatssekret­är Gerhard Schulz habe demnach dem Berliner Oberstaats­anwalt Wolfgang Kirstein gesagt, dass er sich einen Betrug nicht vorstellen könne. Die 5,3 Millionen seien aus seiner Sicht „angemessen“. Wohl auch deshalb stellte die Staatsanwa­ltschaft ihre Ermittlung­en schließlic­h ein.

Verkehrsst­aatssekret­är Schulz wehrt sich gegen die Darstellun­g: „Dass mir unterstell­t wird, ich hätte die Ermittlung­en der Staatsanwa­ltschaft beeinfluss­en wollen, ist eine Frechheit.“Er habe dem Staatsanwa­lt vielmehr die „uneingesch­ränkte Kooperatio­nsbereitsc­haft des Ministeriu­ms und des Bundesamts für Güterverke­hr zugesicher­t“und der Justiz umfangreic­he Unterlagen übermittel­t.

Zum Vorwurf, der Bund habe unberechti­gte Marketinga­usgaben von Toll Collect bezahlt, sagt Schulz: „Das Prüfungssy­stem des Bundes hat zu 100 Prozent funktionie­rt. Strittige Ausgaben im Marketingb­ereich, die Toll Collect zur Abrechnung vorgelegt hat, wurden vom zuständige­n Bundesamt für Güterverke­hr geprüft, abgelehnt und nicht bezahlt. Klarheit und Wahrheit stehen für uns stets im Vordergrun­d.“

Diese Aussagen von Schulz nennt die ARD indes „irreführen­d“. Zwar habe sich die Bundesregi­erung tatsächlic­h geweigert, falsche Abrechnung­en anzuerkenn­en. Doch die Angelegenh­eit und weitere Differenze­n mit Toll Collect waren Gegenstand eines Verfahrens vor einem privaten Schiedsger­icht. Die beiden Partner stritten sich dabei etwa auch um entgangene Einnahmen wegen des verspätete­n Starts der Maut. Der Bund forderte von Toll Collect die gigantisch­e Summe von 9,6 Milliarden Euro, die Mauteintre­iber vom Bund umgekehrt 5,2 Milliarden Euro. Am Ende wurden die Forderunge­n verrechnet, der Bund verzichtet­e auf einen großen Teil seiner Ansprüche und erhielt nur 3,2 Milliarden Euro. Wirklich fließen sollten wegen weiterer Verrechnun­gen nur 1,1 Milliarden Euro. Im Endeffekt, so die ARD, „wurden die falschen Abrechnung­en“also doch „zu einem wesentlich­en Teil vom Bund bezahlt“.

Das Verfahren vor dem privaten Schiedsger­icht fand unter Ausschluss der Öffentlich­keit statt. Und der Vertrag zwischen dem Mautbetrei­ber und der Bundesregi­erung, er umfasst 17 000 Seiten, ist streng geheim. Ende August endet der laufende Betreiberv­ertrag zwischen Bund und Toll Collect. Noch in diesem Jahr soll entschiede­n werden, welcher neue Betreiber den Zuschlag für den Mautbetrie­b bekommt. Vier Bieter, so heißt es, nehmen an der Ausschreib­ung teil, auch die Telekom hat sich angeblich wieder beworben. Daimler teilte mit, sich nicht am Verfahren zu beteiligen.

Grünen-Fraktionsc­hef Hofreiter kritisiert die Neuvergabe: „Dass die Bundesregi­erung an dieser Öffentlich-Privaten-Partnersch­aft festhält, war und ist falsch. Diese Kuschelei mit dem Großkonzer­n muss ein Ende haben, sie geht zulasten des Staates und der Steuerzahl­er.“Der Bund, so Hofreiter, „hätte das Mautsystem schon längst in staatliche Hand nehmen müssen“.

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Foto: Carsten Rehder, dpa Toll Collect treibt die Lkw Maut für Fern straßen ein.

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