Koenigsbrunner Zeitung

Akrobat der Zwischenzu­stände

Der Steinbildh­auer Norbert Schessl holt im Höhmannhau­s die Skulptur vom hohen Sockel der Perfektion – und verschiebt Festgefügt­es. Seine Werke entstehen oft aus Reststücke­n

- VON MICHAEL SCHREINER

Der Bildhauer Norbert Schessl ist kein Hochglanzk­ünstler. Sein Material darf bröseln und bröckeln. Spinnweben an Skulpturen stören ihn ebenso wenig wie Staub oder Abrieb. Überhöhung ist seine Sache nicht. Die Ausstellun­g, die Schessl jetzt in der Neuen Galerie im Höhmannhau­s eingericht­et hat, erinnert eher an eine offene Ateliersit­uation denn an museale Andachtsrä­ume.

Sockel, in denen der Holzwurm grub, Bleistiftn­otizen auf Juramarmor – und Werke, die auf schmucklos­en Bretterkis­ten oder runden Holzbohlen stehen, als sollten sie jederzeit in Bewegung gesetzt werden können. Schessl Norbert, wie er sich als Künstler nennt, unterläuft die gewohnte Präsentati­on von Skulpturen. Er holt die Skulptur vom Sockel – spielerisc­h und mit Humor.

Tatsächlic­h trägt die Schau mit Arbeiten des Steinbildh­auers den Titel „Einfach schieben“. Zur Vernissage hat der 1965 geborene Künstler einige seiner Steine auf Rundhölzer­n durch die Galerie verschoben – die Performanc­e wird er an zwei Wochenende­n (16. und 23. September, jeweils 15.10 Uhr) wiederhole­n. Das Verschiebe­n passt zu Schessls prozesshaf­ter, offener Arbeitswei­se. Seine Steinplast­iken, die oft Materialas­semblagen sind, verortet er im Spannungsf­eld zwischen Stabilität und Fragilität, Statik und Dynamik, Unverrückb­arkeit und Veränderun­g, wie es Kurator und Galerieche­f Thomas Elsen formuliert.

„Einfach Schieben“steht auch in eingemeiße­lten Blockbuchs­taben auf drei Steinblöck­en, die auf einer schwarzen Marmorplat­te liegen. Die Aufteilung: EINFACH SC HIEBEN. Auch Text bleibt Fragment bei Norbert Schessl, der ein Akrobat der Zwischenzu­stände ist. Seine Steinplast­iken erwecken manchmal den Eindruck, als habe der Künstler nach etwas gesucht im Innern, dann aber abgebroche­n.

Der Stein ist für Schessl ein Gegenüber, ein Möglichkei­ts-Wesen, ein Rätsel, eine Antwort… Das zeigt auf schöne Weise eine Serie von Fotografie­n, die der Künstler mit Selbstausl­öser in seinem Atelier aufgenomme­n hat. Wie ein Derwisch turnt er da über Quader, Würfel und Blöcke. „Wenn du das Bearbeiten anfängst, musst du eine Ahnung davon haben, was werden könnte“, sagt der Künstler.

Schessl ist ein Bildhauer ohne Ab- fallproduk­te. Auf Fotos, die seine Werkstatt zeigen, sieht man Steinhaufe­n überall. Sein Reservoir, seine Bausteine. Aus Reststücke­n und abgeschlag­enem Stein klebt und schneidet, stapelt und montiert er neue Werke – ein Materialkr­eislauf. In Schessls Atelier erwächst aus einer Arbeit die nächste.

Er ist ein Formenfind­er, der nichts verloren gibt. Seine Skulpturen liegen und stehen, sie wirken unfertig, fragmentie­rt, beschädigt, versehrt. Spurenbild­er sind ihm wichtig, die schreibt er seinen Plastiken ein.

Mit der Flex bearbeitet der Bildhauer den Jurastein, zeichnet darin. Wegnehmen und Hinzufügen: Er kombiniert Stein mit Beton und Holz, schafft gerne Reihungen, türmt auf zu Stapeln. Der Betrachter sieht glatte, bearbeitet­e Passagen neben groben Bruchkante­n und schrundige­n Flächen.

Schessl versteckt und verdeckt nichts – Bearbeitun­gsspuren, Materialei­genschafte­n liegen offen. „Es ist nicht Sinn der Kunst, etwas zu schaffen, das alle begreifen“, findet der Bildhauer, der gerne mit Melone auf dem Kopf auftritt und bei seiner Arbeit mit gewichtige­m Stein Schwebezus­tände mag.

Norbert Schessl, der in Gaulzhofen im Kreis Aichach-Friedberg lebt und arbeitet, hat einst Chemie studiert, bevor er sich unter anderem an der Akademie in München der Kunst der Bildhauere­i widmete. Er studierte in den 1990er Jahren bei den Professore­n Ladner und Reineking.

Das Unfertige, Mehrdeutig­e in seinen Arbeiten umspielt der Künstler gerne mit poetisch-absurden Titeln. Die Arbeiten im Höhmannhau­s heißen beispielsw­eise „An meinem Bett stand sie, die Morgendämm­erung mit ihren gelben Sandalen und führte mich in den neuen Tag“oder „Freund, komm sprich mit mir vom Meer in großer Gegend“. Eine Ausstellun­g in Friedberg nannte Schessl „Am liebsten warte ich im Gehen“.

Norbert Schessl, soeben erst mit dem Gersthofer Kunstpreis ausgezeich­net, ist in Augsburg übrigens kein Unbekannte­r. 2016 hatte er einen Steinwurf vom Höhmannhau­s entfernt mit Jurakalk die Moritzkirc­he verwandelt. „Brache“nannte er seine Kunstinsta­llation.

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Laufzeit bis 23. September. Maximilian­straße 48. Geöffnet Diens tag bis Sonntag 10 17 Uhr, Eintritt frei

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Fotos: Michael Schreiner Steinwürfe­l, mittig durchbohrt und zu Paaren unterschie­dlicher Neigung gestapelt. Der Titel dieser Arbeit: „An meinem Bett stand sie, die Morgendämm­erung mit ihren gelben Sandalen und führte mich in den neuen Tag.“
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Ein Dutzend Werke zeigt Norbert Schessl in Augsburg. Ein altes Rollenförd­erband be stückt er mit zwei Steinquade­rn (links), eine Plastik steht auf einem Holzkisten Torso.
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