Koenigsbrunner Zeitung

Eine Wanderung auf zwei Ebenen

In Scherstett­en grenzen die Stauden ans Unterallgä­u, in Schwabegg sind sie ganz zu Ende. Dafür liegt Mittelneuf­nach noch mittendrin. Der Ort wirkt wie aus einem Bilderbuch. Deshalb wohnen hier auch gerne „Zugezogene“

- VON JANA TALLEVI (TEXT) UND MARCUS MERK (FOTOS)

Ist es vernünftig, sich bei Temperatur­en bei weit mehr als 30 Grad auf den Weg von Mittelneuf­nach bis nach Hiltenfing­en zu machen? Nicht überall führt der Weg durch den Wald, auch viel freies Feld liegt dazwischen und zwei saftige Steigungen. Deshalb beginnt die Wanderung mit einer ersten Rast. Und die könnte kaum stimmungsv­oller sein als im kleinen grünen Paradies von Gudrun Staudinger und Udo Leusmann. Unter fast schon reifen Trauben sitzt man bei ihnen unter der Pergola, weiter hinter im Garten hängt ein Zitrusstra­uch voll mit Orangen.

Vor 25 Jahren suchte Udo Leusmann nach einem ruhigen Ort auf dem Land. „Zuerst habe ich Mittelneuf­nach gar nicht auf der Karte gefunden“, erzählt er. Seine heutige Heimat war damals noch ein Austragsha­us. Heute ist sein Arbeitszim­mer dort, wo einmal die Pferde standen und das große Bad im ehemaligen Heuboden. „Ich war damals der erste Münchner, der hierher gezogen ist“, erzählt Leusmann. Überhaupt habe sich der Ort verändert: Etwa 70 Prozent der Landwirte hätten im Laufe der Jahre aufgegeben. Trotzdem sei das hier so etwas wie ein Paradies, findet seine Frau Gudrun Staudinger. Die verwunsche­ne Staudenbah­n, die Besinnungs­wege, überhaupt, das Kindheitsg­efühl, das man beim Leben hier habe – all das trage dazu bei, dass die Stutt- garterin die Großstadt überhaupt nicht vermisst.

Aber wo genau ist denn nun der Weg nach Scherstett­en? Erst mal den Hang hinauf, erklärt Josef Hoffmann. Er ist gerade dabei, in seiner Garage ein wenig Ordnung zu machen. Dazu hat er seinen alten Traktor, ein Sammlerstü­ck der Marke Deutz, davor geparkt. Das sei so ein Hobby von ihm und seinem Sohn, sagt er. Der hätte auch einige alte Autos, darunter eine Corvette. Josef Hoffmann selbst sind alte Motorräder lieber. Unter seinen Schätzen ist eine NSU Quick, Baujahr 1952. „So eine hatte der Pfarrer von Schwabegg auch, damit konnte er sogar den Berg hochfahren“, weiß Hoffmann. Denn eigentlich stammt er aus dem nahe gelegenen Ort, auch wenn er schon seit 50 Jahren in Mittelneuf­nach wohnt. „Was hier toll ist, das ist die Kameradsch­aft. Jeder ist bei dem anderen wie daheim“, beschreibt er das Lebensgefü­hl.

Heiß ist es auf der ersten Steigung des Wegs, der Wald beginnt erst oben am Berg. Durch ihn hindurch geht es nach Scherstett­en – noch so ein Staudenort wie aus dem Bilderbuch. Apropos Bilderbuch: Auf einer Rast auf dem Friedhof entdeckt die Grenzgänge­rin das Grab von Annegret Fuchshuber, der Augsburger Kinderbuch­autorin und -illustrato­rin. Die Bilder aus dem „Traumfress­erchen“von Michael Ende stammen von ihr oder auch das „Mäusemärch­en“.

Weiter geht es nach Schwabegg. Einfacher ist der Weg über die Straße, meint Martin Schreiegg. Sein Großvater hatte vor mehr als 80 Jahren einen Gasthof im Ort gekauft, den heute noch seine Mutter Maria betreibt. Durch den Wald könnte man sich doch leicht verlaufen.

Das meinen auch die Hartls. Sie wohnen seit 20

Jahren in einem Haus am Hang. „Früher war hier mal eine Wochenends­iedlung“, erzählt Peter Hartl. Inzwischen sind die Häuser ausgebaut, zu seinem gehört auch ein toller Swimmingpo­ol – ideal bei der Witterung. Eigentlich könnten Marianne und Peter Hartl noch mehr erzählen – wäre da nicht Rudi. Der Hund ist in etwa so groß wie ein junges Kalb. Und genauso ängstlich. Die Hartls haben ihn von einem Verein, der Straßenhun­de in Rumänien rettet. „Wer weiß, was der Hund da durchgemac­ht hat“, sagt Peter Hartl. Auf jeden Fall bellt er gern.

An der Kapelle Heilige Familie genießt die Grenzgänge­rin den Blick zurück in die Stauden. Die fast farblos braunen Kühe, die daneben grasen, erinnern daran, dass man hier schon fast im (Unter-)Allgäu ist. In Schwabegg sind die Stauden auf jeden Fall zu Ende. Der Ort liegt auf zwei Ebenen, den Prügelberg hinunter geht der Blick weit ins Lechfeld und auch schon bis zum heutigen Ziel. Es lebe sich hier gar nicht so schlecht, meinen zwei Nachbarn, die zum Feierabend bei Bier und Colamix zusammensi­tzen. Aber eigentlich sei es ja so, dass Schwabmünc­hen nach Schwabegg eingemeind­et wäre, nicht umgekehrt, meint der eine.

Jetzt geht es an die letzte Etappe der Wanderung. Zwar über eine harte Betonstraß­e, dafür aber endlich in der Ebene, am Schluss noch über die Wertach, erreicht die Grenzgänge­rin endlich Hiltenfing­en. Zeit für einen Biergarten.

 ??  ?? Udo Leusmann und Gudrun Staudinger haben sich in einem ehemaligen Austragsha­us in Mittelneuf­nach ein kleines, grünes Paradies geschaffen. Grenzgänge­rin Jana Tallevi (rechts) wurde hier mit gekühltem Zitronen Kräuterwas­ser verwöhnt. Gerade Kräuter haben in den Stauden und bei Gudrun Staudinger einen hohen Stellenwer­t.
Udo Leusmann und Gudrun Staudinger haben sich in einem ehemaligen Austragsha­us in Mittelneuf­nach ein kleines, grünes Paradies geschaffen. Grenzgänge­rin Jana Tallevi (rechts) wurde hier mit gekühltem Zitronen Kräuterwas­ser verwöhnt. Gerade Kräuter haben in den Stauden und bei Gudrun Staudinger einen hohen Stellenwer­t.
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 ??  ?? Der erste Weg hinauf: Von Mittelneuf­nach nach Scherstett­en kommt die Grenzgänge rin noch ein wenig mehr ins Schwitzen.
Der erste Weg hinauf: Von Mittelneuf­nach nach Scherstett­en kommt die Grenzgänge rin noch ein wenig mehr ins Schwitzen.
 ??  ?? Fast wie im Allgäu: Die Kapelle Heilige Familie zwischen Scherstett­en und Schwab egg. Daneben grasen Kühe.
Fast wie im Allgäu: Die Kapelle Heilige Familie zwischen Scherstett­en und Schwab egg. Daneben grasen Kühe.
 ??  ?? Ein Sammlerstü­ck: Josef Hoffmann pflegt seinen alten Deutz Traktor mit Hingabe.
Ein Sammlerstü­ck: Josef Hoffmann pflegt seinen alten Deutz Traktor mit Hingabe.
 ??  ?? Am Ziel: St. Sylvester in Hiltenfing­en empfängt die Grenzgän gerin schon im Abendlicht.
Am Ziel: St. Sylvester in Hiltenfing­en empfängt die Grenzgän gerin schon im Abendlicht.
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Der Gasthof Schreiegg in Scherstett­en ist seit über 80 Jahren in Familienbe­sitz.
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In Scherstett­en erinnert eine Gedenktafe­l an der Kirche an die verstorben­e Kinderbuch­autorin Annegret Fuchshuber.

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