Familie im Wandel der Zeit
Vier Generationen an einem Tisch und ein Gespräch über das, was sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat. Vom Vater als Alleinverdiener bis hin zur Elternzeit und der gewachsenen Akzeptanz für die Kinderkrippe
Drei Generationen einer Familie unterhalten sich, wie sich Familie generell verändert hat. Das Interview, das tiefe Einblicke gibt, finden Sie auf
Stadtbergen
Seit einer Woche sind es
15: So viele Urenkel hat Theresia Binder aus Stadtbergen. Mit ihren
89 Jahren steht die rüstige und gläubige Frau im Mittelpunkt der großen Familie. Aber was ist eigentlich Familie? Wie hat sich das traditionelle Verständnis im Lauf der Zeit verändert? Wie sieht Familie heute aus, was bedeutet sie den einzelnen Mitgliedern? Über die nicht einfachen Fragen diskutieren drei Generationen: Uroma Theresia Binder, ihre Tochter Irene Thoma (59) und ihre Enkelin Vanessa Lang (31), die ihre beiden Kinder Fabio und Marco mitgebracht hat.
Wie werden die Urenkel eigentlich beschenkt? Mit Schokolade? Theresia Binder:
Zehn Euro gibt es für jeden. Manchmal auch eine kleine Schokolade.
Sie können sicherlich auch die Namen Ihrer Urenkel sofort aufsagen. Binder:
Julian, Sarah, Tim, Maya, Aleyna, Viola, Max, Matilda, Melike, Luca, Fabio, Linus, Mila, Antonia und Marco.
Wann kommt so eine große Familie mit den jetzt 15 Urenkeln zusammen? Irene Thoma:
Nach Silvester trifft man sich meistens zum Anstoßen bei der Oma.
Seit einigen Jahren lade ich alle auch zum Geburtstag ein – allerdings in eine Wirtschaft, weil sonst der Platz nicht reicht.
Zum Glück ist die Familie nicht in alle Winde verstreut. Binder: Vanessa Lang:
Heute ist es nicht selbstverständlich, dass eine Familie in einer Region lebt. Wie war das eigentlich früher? Wie ist man damals aufgewachsen? Binder:
Wir waren damals sieben Kinder und sind wohlbehütet aufgewachsen. Im Krieg habe ich dann alle vier Brüder verloren. Das war eine schwere Zeit.
Wer hat die Familie ernährt?
Binder:
Das war unser Vater, der aus einer Landwirtschaft kam, aber als Jüngster nicht den Hof übernommen hatte. Er arbeitete als Maurer. Meine Mutter verdiente in der Landwirtschaft im Sommer etwas dazu. Aber sie war mit sieben Kindern rund um die Uhr beschäftigt.
Das war ein echter FulltimeJob. Damals gab es ja auch keine besonderen Haushaltshilfen wie eine Waschmaschine.
Alle halfen zusammen. Mein Vater hatte zum Beispiel am Sonntag in der Früh vorgekocht und ging dann in die Kirche. Dann übernahm meine Mutter, die schon vorher den Gottesdienst besucht hatte. Mein Vater hatte viele Aufgaben im Haushalt übernommen, was zum Beispiel bei meinen Schwiegereltern nicht der Fall war. Thoma: Binder:
Wie sieht die Rollenverteilung heute aus? Lang:
Mann und Frau gehen in die Arbeit, um Geld zu verdienen. Wenn Marco älter ist, werde ich auch wieder arbeiten. Auch in unserem Freundeskreis ist es gang und gäbe, dass es für Frauen ein oder spätestens zwei Jahre nach der Geburt wieder in die Arbeit geht.
Die ersten drei Jahre soll die Mutter aber doch daheim bleiben.
Das war früher so. Auch meine Mama hatte sich das bei mir und meiner Schwester gewünscht, dass wir länger daheim bleiben. Sie war auch skeptisch, was die Kinderkrippe betrifft. Binder: Lang:
Stimmt das?
Thoma:
Ja. Ich war skeptisch. Heute sehe ich es ganz anders: Die Kinder werden durch die Krippe viel aufgeschlossener. Sie kommen vormittags mit anderen Kindern zusammen und haben dann am Nachmittag ihre Mütter. Binder:
Die Kinder spielten daheim miteinander.
Geändert hat sich seit damals auch das Rollenverständnis. Heute ist es normal, dass sich auch die Väter viel um ihre Kinder kümmern und in Elternzeit gehen.
Es ist ganz normal, dass gewickelt und gefüttert wird.
Männer stehen auch in der Nacht auf. Bei uns war das noch anders: Mein Mann hatte damals so viel als Selbstständiger gearbeitet, dass er meistens erst spätabends nach Hause kam. Thoma: Lang: Thoma:
Welche Bedeutung hatte die Familie damals? Und heute? Binder:
Sie ist mir das Wichtigste. Ich möchte meine Kinder am liebsten jeden Tag bei mir haben. Das ist wie bei meinen Vater: Er war am glücklichsten, wenn er alle seine Kinder um sich hatte. Die Familie stand auch bei ihm immer im Mittelpunkt.
Das ist auch heute so. Familie ist das Wichtigste im Leben. Es ist etwas Schönes, wenn man ein gutes Verhältnis untereinander hat. Wir kommen alle gut miteinander aus.
Meine Schwester ist 14 Monate jünger. Wir sind ein Herz und eine Seele. Wenn es der einen nicht gut geht, dann überträgt sich das auf die andere Schwester, die dann für einen da ist. Meine kleine neue Familie ist mit Abstand das, was mich am glücklichsten macht und was das Leben am Ende auch ausmacht.
Ich bin froh, eine große Familie um mich zu haben. Denn eigentlich wollte ich ja ins Kloster. Thoma: Lang: Binder:
O
So geht’s weiter »Aufgefallen
In der morgigen Ausgabe zeigen Kinder, was ihnen Familie bedeutet.