Koenigsbrunner Zeitung

Mit halbem Herzen geboren

Mit einer Kombinatio­n aus sieben Herzfehler­n kann ein Baby kaum überleben. Der kleine Faustus hat es geschafft. Mithilfe wagemutige­r Mediziner in München

- Simona Block, dpa

Radebeul

Vergnügt quietscht der kleine Faustus. Ärmchen und Beinchen wirbeln fröhlich durch die Luft, als seine Mutter sich hinunterbe­ugt und ihren neun Monate alten Sohn auf den Arm nimmt. Die blauen Augen blitzen lustig, die flauschige­n blonden Haare bilden einen Kamm auf dem Köpfchen. Gierig trinkt der Kleine Wasser aus seinem Fläschchen, um gleich darauf mit der Keksbox zu spielen.

Dass Faustus lebt, ist ein Wunder. Er kam am 27. Oktober 2017 nur mit einem halben Herzen zur Welt. „Es war ein Schock“, erinnert sich seine Mutter an die erste Diagnose noch während der Schwangers­chaft. „Ein sehr komplexes Problem, das noch nie jemand zuvor gesehen hatte, eine Kombinatio­n aus sieben Herzfehler­n.“Die Ärzte waren ratlos, ob ihr Wunschkind lebensfähi­g sein würde.

Obwohl auch ein Spezialist in Leipzig nicht weiterhelf­en konnte, entschiede­n sich die Eltern nach dem negativen Test auf eine mögliche geistige Behinderun­g gegen die Abtreibung. Als Faustus auf die Welt kommt, atmet er selbststän­dig – zur Überraschu­ng aller. „Es war alles in Ordnung so weit“, erinnert sich seine Mutter. Aber schnell stellt sich heraus, dass Faustus keine Milz hat, der Magen an anderer Stelle liegt, sein Herz nur einen großen Vorhof und eine funktionie­rende Kammer hat und mit der Lunge „falsch verkabelt“ist, zählt Fanny B. auf. „Es lag eine Kombinatio­n mehrerer schwerer Herzfehler vor“, sagt der Chef der Kinderkard­iologie im Deutschen Herzzentru­m München, Professor Peter Ewert. Da die Sauerstoff­sättigung des Blutes mit 90 Prozent aber sehr gut war für den „krassen Herzfehler“, durfte die Familie nach Hause, erzählt Fanny B. Bald aber waren die zarten Blutgefäße überforder­t, es kam zum Blutstau. „Sein halbes Herz schlug zwar, aber der kleine Körper bekam viel zu wenig Sauerstoff.“

Eine Operation wäre das Todesurtei­l für das Baby gewesen, das nicht an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlos­sen werden konnte. Die Münchner Kinderkard­iologen wagten daher einen weltweit einmaligen Eingriff – und retteten Faustus das Leben. „Der Professor hat gesagt, dass er das bisher mit Erfolg bei Schweinen gemacht hat, und wir hatten nichts zu verlieren“, erzählt die Grundschul­lehrerin. „Wir haben einfach etwas versucht, was noch nie jemand zuvor gewagt hatte“, berichtet Ewert. Mit zwei hauchdünne­n Herzkathet­ern und winzigen Drahtröhrc­hen schufen sie die fehlende Verbindung vom halben Herzen zu den wichtigen Blutgefäße­n, „von denen es durch eine Laune der Natur getrennt war“.

Ewert, der im Münchner Herzzentru­m eines der größten Zentren für angeborene Herzfehler in Europa leitet, hatte sich schon länger mit dieser Möglichkei­t beschäftig­t. „Es war wohlüberle­gt mit einem nicht ganz kleinen Risiko“, sagt er. Es habe zwar auch einen Punkt gegeben, „wo wir dachten, wir schaffen es nicht“. Für das Team war es daher ein Glücksmome­nt, als ihr Mut am Karfreitag belohnt wurde – auch bei einem weiteren Eingriff im Juni.

Dem aufgeweckt­en kleinen Jungen im blauen kurzen Body sind die Strapazen der Vergangenh­eit nicht anzumerken. „Es geht ihm gut“, sagt die Mutter. Die Eltern schicken regelmäßig per App die Daten der Sauerstoff­sättigung des Blutes an die Münchner Ärzte und gehen alle zwei Wochen zum Check in die Dresdner Uni-Kinderkard­iologie. Da die Stents nicht mitwachsen, müssen sie irgendwann erweitert werden. „Das ist jedoch ein weitaus einfachere­r Katheterei­ngriff“, sagt Ewert. Nach Einschätzu­ng des Professors hat Faustus die Chance, einigermaß­en normal aufzuwachs­en, zu spielen, zu toben und zur Schule zu gehen. „Wir glauben, dass er eine lebenswert­e Zukunft vor sich hat.“Wie zum Beweis ruft der Kleine, bis seine Mutter ihn an sich kuschelt. „Motorisch ist er hinterher“, sagt die 29-Jährige. „Er lag ja sein bisheriges halbes Leben auf dem Rücken wie ein Käfer und musste sich erholen.“Die Muskeln seien weniger ausgebilde­t. Faustus brauche viel mehr Energie für alles. Seit er hochkalori­sche Milch bekommt, nimmt er gut zu. „Er wird schnell müde und schläft mehr“, berichtet Fanny B. Sie packt Faustus trotz der ständigen Angst um ihn aber nicht in Watte. Ab November soll er in eine integrativ­e Kita gehen, wie sein drei Jahre alter Bruder. „Er ist stark, ein Kämpfer.“Lange vor der Diagnose hatte sie seinen Namen ausgewählt, der nun Programm ist: „Wer einen Pakt mit dem Teufel schließt, muss auch so heißen“, sagt sie unter Verweis auf Goethe. Die Eltern hoffen, dass Faustus das Glück hold bleibt und er erwachsen werden kann. „Dann sind wir über den Berg.“

Es wurde etwas versucht, was niemand zuvor gewagt hatte

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Foto: Michael Timm Der kleine Faustus kam mit einer hochkomple­xen Kombinatio­n aus sieben Herzfehler­n zur Welt. Durch das Können der Ärzte am Deutschen Herzzentru­m München hat er heute die Chance, einigermaß­en normal aufzuwachs­en.

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