Koenigsbrunner Zeitung

„Gegen Oligarchen kann man nicht gewinnen“

Andreas Rettig gehört zu den unbequemen Funktionär­en im Profifußba­ll. Die jüngsten Entwicklun­gen sieht der 55-Jährige mit Sorge. Ein Gespräch über Investoren, Versäumnis­se in der Nachwuchsa­rbeit und Populismus

- Ein Argument ist, internatio­nal wäre die Bundesliga wettbewerb­sfähiger. Das wäre doch Aufgabe des Deutschen Fußball-Bundes. Interview: Johannes Graf

Herr Rettig, können Sie sich auf die kommende Bundesliga­saison freuen? Andreas Rettig:

Ja, nicht zuletzt, weil ich mich auf die beiden Aufsteiger Düsseldorf und Nürnberg freue.

Sie freuen sich, obwohl der Liga einmal mehr Langeweile droht. Der FC Bayern wird wahrschein­lich zum siebten Mal in Folge Meister. Rettig:

Wir dürfen die Attraktivi­tät der Liga nicht allein von der Meisterfra­ge abhängig machen, die Attraktivi­tät muss sich auch über andere Faktoren definieren. Beispiel: der Fair-Play-Gedanke. Zeitschind­en, Lamentiere­n, Schwalben – das will keiner sehen. Wir brauchen eine Rückbesinn­ung auf den Sport.

Mehr Spannung herrscht in England, wo Investoren dafür sorgen, dass sechs Mannschaft­en um den Titel spielen können. Wäre das keine Lösung? Rettig:

In der Diskussion werden Investoren­gelder glorifizie­rt, sie gehen aber möglicherw­eise zulasten anderer Werbeeinna­hmen. Es hat einen Grund, warum deutsche Klubs bei Werbeeinna­hmen in Europa führend sind. Die Unternehme­n identifizi­eren sich mit einem Bundesligi­sten, weil er als „Verein“geführt wird. Mittelstän­dler sind bereit, kleinere Beträge zum Wohl des Vereins zu geben. Bei einem alles überstrahl­enden Partner wie VW, Bayer oder Red Bull treten andere Sponsoren möglicherw­eise kürzer.

Dem Fan kann es doch egal sein, wo das Geld herkommt. Rettig:

Für Investoren gibt es etliche abschrecke­nde Beispiele. Sehen Sie sich die Entwicklun­g von 1860 München an. Oder die des ehemaligen italienisc­hen Topklubs AC Mailand. Letztlich weiß dort niemand, wem der Klub gehört, weil hinter dem Investor aus China ein undurchsic­htiges Geschäftsm­odell steckt. Zieht ein Investor sein Geld aus dem Bundesligi­sten oder geht er pleite, bedeutet das für den Verein das Ende. Zudem erwartet der Investor auch eine gewisse Rendite, sodass Klubanteil­e wie bei Manchester City oder Arsenal erfolgt, mit riesiger Rendite an den nächsten Investor weiterverk­auft werden und die Klubs somit zu Spekulatio­nsobjekten werden. Mir kommt zu kurz, welche negativen Auswirkung­en das in der Gesamtheit hat.

Welche meinen Sie denn?

Rettig:

In Deutschlan­d sprechen wir noch von Vereinsfuß­ball und nicht von Kapitalges­ellschafts­fußball. Im Vereinsfuß­ball hängt viel ehrenamtli­ches Engagement. Die Leute sagen: Das ist mein Verein, bei dem ich mitbestimm­en kann. Deshalb bin ich bereit, mich ohne Gegenleist­ung zu engagieren. Wenn den Men- schen weggenomme­n wird, was ihnen ans Herz gewachsen ist, führt das zu einer emotionale­n Entfremdun­g. Die Profiklubs sollten perspektiv­isch überlegen, welche Auswirkung­en Investoren haben. Warum sollte die öffentlich­e Hand Steuergeld­er in Infrastruk­tur oder Stadionbau investiere­n, wenn die Klubs privatwirt­schaftlich einer Gruppe oder Person gehören?

Sie dürfte freuen, dass die Bundesregi­erung höhere Hürden für Investoren außerhalb der EU aufstellen will. Rettig:

Die Politik versucht das zu erreichen, was die 50+1-Regel im Fußball bereits gewährleis­tet. Warum sollten wir die Schleusen öffnen, obwohl wir mit dieser Regel, die die Stimmenmeh­rheit bei den Mitglieder­n belässt, einen gut funktionie­renden

Schutz haben. Das soll mir mal einer erklären. Dietmar Hopp ist in Hoffenheim im Endeffekt doch auch nichts anderes als ein Investor. Rettig:

Dass der Druck des Kapitals eine Rolle spielt, will ich nicht verhehlen. Hopp hat aber das Geld nicht aus Marketingg­ründen investiert. Er hat einen altruistis­chen Ansatz gewählt, er hat sein versteuert­es Geld, also sein Privatverm­ögen, in Infrastruk­tur, Nachwuchs und soziale Projekte gesteckt. Das hat eine andere Qualität, als wenn Konzerne wie Bayer, VW oder Red Bull als werbetreib­ende Tochter auftreten, einem Klub einen finanziell­en Vorteil verschaffe­n und obendrein steuerrech­tlich profitiere­n.

Das heißt, Sie sehen durch Investoren nicht die Chance, die Meistersch­aft ausgeglich­ener zu gestalten. Rettig:

Das ist doch eine naive Vorstellun­g, es wäre nicht mehr als der Beginn eines Rattenrenn­ens. Es würde sich nur um X-Millionen nach oben verschiebe­n. Die Werthaltig­keit der Anteile des FC Bayern ist um ein Vielfaches höher als die eines anderen Bundesligi­sten. Aufgrund der Marktmecha­nismen müsste jeder Bundesligi­st Anteile verkaufen. Übrigens: Die erfolgreic­hsten Klubs im europäisch­en Fußball sind mit Real Madrid, dem FC Barcelona und dem FC Bayern Vereine, die die 50+1-Kriterien erfüllen. Rettig:

Wenn deutsche Mannschaft­en rausgeflog­en sind, dann nicht gegen Topklubs, sondern Teams aus Schweden, Portugal oder Frankreich. Einen Wettstreit mit Oligar- chen, Staatsfond­s und chinesisch­en Konglomera­ten kann niemand gewinnen, der wirtschaft­lich vernünftig denkt und handelt. Ein Neymar wechselt nicht für 250 Millionen Euro zum FC Bayern, weil der Milliardär aus Katar dann 300 Millionen bezahlt.

Wie würden Sie den deutschen Vereinsfuß­ball fördern? Rettig: Ich fühle mich an die WM 1998 und die EM 2000 erinnert, als die Nationalma­nnschaft am Boden lag. Die Frage lautete: Spieler selbst ausbilden oder einkaufen? Man entschied sich für den Nachwuchs, der seitdem in Leistungsz­entren entwickelt wird. Nach der schwachen WM in Russland müssen wir erneut über eine Gesamtstra­tegie nachdenken. Rettig: Rettig: Rettig: Rettig: Ich wundere mich sehr, dass der DFB sich bisher nicht zur Zukunft geäußert hat.

Was schlagen Sie beispielsw­eise für den Nachwuchs vor?

Wir brauchen ein noch klareres Bekenntnis zum Nachwuchs und müssen mehr investiere­n. Wir haben den Pass mit der Innenseite gelehrt, leider haben wir dem Nachwuchss­pieler, salopp gesagt, auch die Unterhosen gebügelt. Er hat das Rundum-sorglos-Paket gebucht und wir haben vergessen, ihn am realen Leben teilnehmen zu lassen. Kein Wunder, dass uns Typen fehlen, wenn 16-Jährige nach Medienschu­lungen gestelzte Worthülsen von sich geben und nichtssage­nd und konturlos werden. Wir müssen Spieler als Persönlich­keiten entwickeln, aber auch deren Trainer. Die Trainingsb­elastung kann jeder steuern, die Trainer benötigen aber mehr Führungsko­mpetenz. Daher sind in der Traineraus­bildung aus meiner Sicht Persönlich­keitstests zwingend.

Sie waren selbst Geschäftsf­ührer der Deutschen Fußball-Liga, jetzt zählen Sie zu deren Kritikern. Was stört Sie?

Christian Seifert als Geschäftsf­ührer vermarktet die DFL und ihre Klubs exzellent. Allerdings findet der Sport in der DFL auf Geschäftsf­ührerebene gar nicht mehr statt. Auch das Lizensieru­ngsverfahr­en muss überdacht werden, noch entscheide­n hier Klubvertre­ter über ihre Wettbewerb­er.

Nach der WM stand auch der DFB massiv in der Kritik.

Dort muss weniger parteipoli­tisch agiert werden, wir brauchen eher eine Instanz für Moral und Werte. Wenn ich höre, dass die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung die Nationalsp­ieler vor dem Russlandau­fenthalt geschult hat, schrillen bei mir die Alarmglock­en (DFB-Präsident Grindel saß lange Jahre als CDU-Abgeordnet­er im Bundestag, Anm. d. Red.).

Wie wollen Sie den Fußball-Standort Deutschlan­d stärken? Rettig:

Wir müssen nationale Konzepte entwickeln und dürfen nicht nur nach mehr Geld schreien. Früher wurden Kinder Anhänger eines Vereins, weil sie in der Region aufgewachs­en sind oder der Vater ins Stadion ging. Jetzt tragen sie Trikots von Messi oder Ronaldo und sitzen vor dem Fernseher. Von DFB und DFL sind Konzepte gefordert. Möglicherw­eise können wir ein Bündnis mit der Wirtschaft schmieden, vielleicht lassen sich Hopp, Kühne oder Mateschitz überzeugen, ihre Milliarden in allgemeine Rahmenbedi­ngungen zu stecken – und nicht nur in einen Verein. Andere Nationen wie die Niederland­e oder Belgien frieren zehn Prozent des Gehalts ein und zahlen das Geld als „Rente“an Ex-Profis ab 35 Jahre aus. Auch solche Modelle machen einen Fußballsta­ndort attraktive­r.

Die Schere zwischen reichen Klubs und dem Rest driftet stetig weiter auseinande­r. Wie lässt sich dieser Trend aufhalten? Rettig:

Wir müssen uns in der Liga auf die ursprüngli­che Gleichvert­eilung der TV-Gelder zurückbesi­nnen, um das Niveau aller Klubs zu heben und den Wettbewerb zu fördern. Durch die internatio­nalen Erlöse ist der Unterschie­d sowieso exorbitant. Außerdem: Klubs wie Wolfsburg, Leverkusen oder Hoffenheim haben durch ihre Ausnahmege­nehmigung der 50+1-Regel einen Wettbewerb­svorteil. Wir haben schon vor zweieinhal­b Jahren beantragt, dass dafür ein Ausgleich geschaffen werden muss.

Entspreche­nd stört Sie wohl auch, dass jeder Klub seinen Ärmelspons­or auf dem Trikot inzwischen selbst vermarkten muss, oder? Rettig:

Natürlich, auch das war vorher solidarisc­h geregelt. Der FC Bayern bekommt für ein Logo auf dem Ärmel viel mehr Geld als Erzgebirge Aue. Auch Ausrüster stürzen sich nur noch auf Topklubs und denken global. Man kann ihnen das nicht vorwerfen, es dokumentie­rt aber, dass die Schere immer weiter auseinande­rgeht.

Romantiker halten sich daran fest, Fußball sei weiterhin ein Volkssport, gar ein Kulturgut. Geht es nicht nur noch ums Geschäftem­achen? Rettig: Die Frage ist, wollen wir den Vermarktun­gswahn weitertrei­ben. Für mich ist 50+1 das letzte Stoppschil­d in der Kommerzial­isierung. Bricht dieser Damm, wird die Bundesliga-Tabelle zur Forbes-Tabelle.

TV-Vermarktun­g und Spieltagsz­erstückelu­ng, eine Winter-WM in Katar. Entfernt sich der Profifußba­ll immer mehr von den Fans im Stadion? Rettig:

Das ist so. Wir lassen uns für eine 95-prozentige Auslastung in den Stadien feiern, aber wir haben inzwischen eine „No-Show“-Rate zwischen acht und zwölf Prozent. Heißt: Die Leute bezahlen ihre Dauerkarte, kommen aber gar nicht mehr. Diese Themen müssen wir anpacken.

Allgemein ist Populismus ein Trend, sehen Sie im Fußball ähnliche Tendenzen? Rettig:

Gerade die Diskussion um Mesut Özil hat gezeigt, dass Populismus im Fußball vorkommt und zu einer Verrohung des Klimas führt. Lob verdient Siemens-Chef Kaeser, der sich klar gegen rechte Tendenzen positionie­rt hat. Dem gegenüber steht Innenminis­ter Seehofer, dessen Rhetorik kein Mensch braucht. Auch der Fußball muss sich klarer positionie­ren und Haltung zeigen.

Haltung zeigt wiederholt FCA-Profi Martin Hinteregge­r. Jüngst erklärte er, als Fußballpro­fi dürfe er nicht er selbst sein. Dürfe nicht sagen, was er denkt. Rettig:

Wir brauchen wieder Typen mit Ecken und Kanten, ein Spieler darf mal rebellisch und laut werden. Sprechen mehr Spieler, wie ihnen der Mund gewachsen ist und liefern Substanzie­lles, würden sich die Medien auch nicht mehr so gezielt auf einzelne Aussagen stürzen. Dem Fußball fehlt nicht nur Glaubwürdi­gkeit, ihm fehlt auch Integrität. Wenn Berater in den Klubs Spieler und Trainer vertreten oder als TVExperten Werbung für ihre Spieler machen können, schadet das dem Ansehen des Profifußba­lls.

Letzte Frage. Wenn Sie einen Wunsch äußern dürften, was muss sich im Profifußba­ll grundsätzl­ich ändern? Rettig:

Ganz allgemein muss er bodenständ­iger und nahbarer, solidarisc­her und integrer werden. Andreas Rettig,

55, war als Mana ger für Bayer Leverkusen, den

1. FC Köln und den FC Augsburg tä tig. Derzeit arbeitet er als kauf männischer Geschäftsf­ührer für den Zweitligis­ten FC St. Pauli, zuvor gehörte der gebürtige Leverkusen­er der Geschäftsf­ührung der Deut schen Fußball Liga an. (joga)

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Foto: imago Andreas Rettig ist beim FC St. Pauli kaufmännis­cher Geschäftsf­ührer. Der 55 Jährige kämpft darum, dass der Profifußba­ll in Deutschlan­d sich nicht vollkommen Kommerz und Marktgeset­zen hingibt.

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