Koenigsbrunner Zeitung

Doppelt ausgenutzt

- VON MICHAEL POHL

Wäre die Altenpfleg­e eine normale „Branche“, die angestellt­en Pflegerinn­en und Pfleger wären schon lange auf die Barrikaden gegangen. Sie hätten angesichts unterdurch­schnittlic­her Bezahlung und überdurchs­chnittlich­er Belastung einen harten Arbeitskam­pf angezettel­t, wie es ihr gutes Arbeitnehm­errecht wäre.

Doch sie wissen mehr als jeder andere, dass Streiks sprichwört­lich auf dem Rücken der Pflegebedü­rftigen ausgetrage­n würden, die am allermeist­en unter den Folgen von Streiks zu leiden hätten. Die Folge des Dilemmas ist, Tarifpolit­ik und Gewerkscha­ften spielen in der Pflegebran­che kaum eine Rolle. Auch deshalb sind die Gehälter privater Pflegeunte­rnehmen meist oft niedriger als bei öffentlich­en Trägern. Das soziale Gewissen und die Hilfsberei­tschaft, die viele den Pflegeberu­f ergreifen ließen, wird damit doppelt ausgenutzt.

Dass die Koalition nun auf einen allgemeine­n Tarifvertr­ag in der Branche hinwirkt, ist von zentraler Bedeutung, um den Pflegeberu­f attraktive­r zu machen. Der politische Eingriff in die Tarifauton­omie ist angesichts der gesellscha­ftlichen Bedeutung gerechtfer­tigt. Denn auf der anderen Seite stehen knallharte wirtschaft­liche Interessen, die ausgerechn­et von dem FDP-Politprofi Rainer Brüderle als Arbeitgebe­r-Repräsenta­nt verkörpert werden. Es spricht Bände, dass sich die privaten Betreiber einen bestens vernetzten Ex-Bundesmini­ster als Lobbyisten eingekauft haben, um Tariflöhne zu verhindern. Für die Beschäftig­ten der Branche bleibt zu hoffen, dass sich weder der CDU-Gesundheit­sminister noch der SPD-Arbeitsmin­ister von der fragwürdig­en Mission ihres Ex-Kollegen beeindruck­en lassen, den Kostenfakt­or Pflegepers­onal klein zu halten. organisier­t. Brüderles Arbeitgebe­rverband will das Thema lieber über eine bestehende Kommission regeln, die schon einen Mindestloh­n für Pflegehilf­skräfte bestimmt hat. Ein bundesweit­er Tarifvertr­ag für alle Arbeitsver­hältnisse sei „der völlig falsche Ansatz“, warnt Brüderles Verband und wehrt sich gegen neue gesetzlich­e Eingriffe.

Dagegen unterstütz­t die Caritas eine stärkere Tarifbindu­ng. Ein möglicher allgemein verbindlic­her Tarifvertr­ag dürfe aber nicht die eigene, überdurchs­chnittlich­e Bezahlung gefährden, erklärt der katholisch­e Wohlfahrts­verband. Klar ist aber auch, höhere Löhne dürften den Pflegebeit­rag aller Arbeitnehm­er weiter steigen lassen und zusätzlich­e Steuermitt­el kosten.

. Sascha Meyer, dpa

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