Koenigsbrunner Zeitung

Gegen leere Lehrerzimm­er gibt es nur eine Lösung

10000 Stellen an Schulen sind heute unbesetzt. Im schlimmste­n Fall werden es bald noch viel mehr. Viele Rettungsve­rsuche der Politik sind zu kurz gedacht

- VON SARAH RITSCHEL sari@augsburger allgemeine.de

Einstellun­gsgespräch­e an Berliner Schulen laufen im Moment etwa so: „Sie können Trompete spielen? Gut, wir brauchen einen Musiklehre­r.“Um fehlende Lehrer zu ersetzen, greift man in der Hauptstadt zu Hunderten auf Quereinste­iger zurück, die sich in einem Crashkurs pädagogisc­hes Wissen aneignen. Doch Berlin ist nicht allein: In allen 16 Bundesländ­ern sind Lehrer die wohl gefragtest­en Fachkräfte geworden – besonders an den unterverso­rgten Grund-, Mittel- und Förderschu­len.

Jahrelang war das anders. Bildungspo­litiker quer durch die Bundesrepu­blik haben versäumt, vorauszupl­anen und um potenziell­e Lehrkräfte zu werben. Sie haben irgendwie übersehen, dass die Deutschen in den vergangene­n Jahren mehr Kinder und damit Schüler als prognostiz­iert in die Welt gesetzt haben. Diese Kinderüber­raschung kommt nun an den Schulen an. Jetzt, wenn tausende Erstklässl­er ihren ersten Schultag feiern, zeigen sich die Schulen von ihrer besten Seite – und fangen morgen wieder an, mühsam den Unterricht aufrechtzu­erhalten. Und zwar mit Lehrern, die älter werden, oft kurz vor der Pensionier­ung stehen – und inzwischen zehntausen­de Kinder aus vielen Nationen unterricht­en. Der Ausbau der Ganztagsbe­treuung verschärft die Situation an den deutschen Schulen noch.

Wie manche Bundesländ­er die Lücken zu stopfen versuchen, zeugt von einer großen Verzweiflu­ng. In Thüringen klingelt die Regierung bei Erzieherin­nen, die in der DDR eine sogenannte Lehrbefähi­gung hatten und bittet sie, in den Grundschul­en auszuhelfe­n. Brandenbur­g versucht, Lehrer aus Polen zu locken. Berlin zahlt „echten“Grundschul-Pädagogen ein TopEinstie­gsgehalt von 5300 Euro monatlich und nimmt dafür sogar in Kauf, ab Sommer 2019 auch sämtliche Lehrer hochzustuf­en, die schon lange im System sind. Das kostet jährlich rund 55 Millionen Euro – viel Geld für den notorisch klammen Senat. Ohne die Quereinste­iger hätte dennoch so mancher Stundenpla­n Leerstelle­n. Und der Druck auf die Aushilfsle­hrer ist riesig. Mit dem Trompeter, der plötzlich Noten vergeben muss, statt sie vom Blatt zu spielen, möchte man nicht tauschen. Mancher Kultusmini­ster bemüht sich schon gar nicht mehr, seine Verzweiflu­ng zu verbergen. Das Problem an vielen ihrer Notmaßnahm­en: Sie überwinden den Lehrermang­el nicht, sie kaschieren ihn nur.

Wer nicht möchte, dass Kinder in den nächsten Jahren regelmäßig vor einem leeren Pult sitzen oder dass ein Sportlehre­r spontan Sprachen unterricht­et, muss die Fehler ausradiere­n, die im vergangene­n Jahrzehnt gemacht wurden. Das dauert. Der Präsident der Kultusmini­sterkonfer­enz, Thüringens Schulminis­ter Helmut Holter (Linke), sagt es ja selbst: Seit Beginn der 2000er Jahre sei der „Personalab­bau im Öffentlich­en Dienst“vielerorts das alles überragend­e „Mantra“gewesen. Das Mantra der Gegenwart erschließt sich da von selbst. Die Länder müssen so schnell es geht Studienplä­tze schaffen – und zwar viele. Denn die Leidtragen­den einer Lehrerplan­ung auf Kante sind Kinder aus Familien, deren Eltern ihnen nicht beim Lernen helfen. Und Kinder mit fremden Wurzeln, deren Eltern ihnen oft nicht helfen können.

Das erkennen immer mehr Länder, auch Bayern: Im Herbst gibt es 700 neue Studienplä­tze für das Lehramt Grundschul­e, wo der größte Mangel droht. Doch die Nachwuchsl­ehrer sind frühestens in drei Jahren einsatzber­eit. Bis dahin bleibt auch hier dem Kultusmini­sterium nur, Pensionäre zum Bleiben zu überreden, Teilzeit aufzustock­en, Junglehrer von Gymnasium und Realschule zum Umschulen zu bewegen, kurz: die letzten Reserven zusammenzu­kratzen.

Auch Bayern muss die letzten Reserven zusammenkr­atzen

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