Koenigsbrunner Zeitung

Von frischen Tomatillos und alten Kommoden

Nachhaltig­keit hat nicht nur für Öko-Besserwiss­er was Gutes

- VON SABINE PFISTER

Neulich habe ich zum ersten Mal eine alte Alditüte repariert. Wirklich. Mein Sohn sagt: „Jetzt bist du unter die Öko-Besserwiss­er gegangen.“Vielleicht hat er ja recht. Aber ich brauche diese Tüte, um mir einmal in der Woche meinen Anteil an Gemüse aus dem SoLaWi-Keller zu holen.

SoLaWi heißt „Solidarisc­he Landwirtsc­haft“und ist eine Vereinbaru­ng zwischen Bio-Landwirten aus der Region, die das Gemüse anbauen und „Stadtwirte­n“, die einen Monatsbeit­rag für den Wochenante­il bezahlen. Gestern gab es unter anderem acht Tomatillos, von denen ich noch nie gehört hatte. Mein Sohn sagt: „Super, daraus machen wir grüne Salsa, die kenne ich aus Mexiko.“Aha, hat die Nachhaltig­keit also doch was Gutes. Wie man Kartoffeln, Kohlrabi, Zucchini und so weitervera­rbeitet, weiß ich ja, es reicht für eine Woche und ist sehr lecker. Das Wochensort­iment steht im SoLaWi-Keller auf einer Tafel, es gibt weder Tüten noch Verpackung, alles ist sehr „analog“.

Seit einigen Jahren bin ich in der lokalen Agenda 21 aktiv. Wir engagieren uns für Nachhaltig­keit in Augsburg und Umgebung und haben dazu „Zukunftsle­itlinien“entwickelt. Mein Sohn sagt: „Alles viel zu theoretisc­h, damit kann ich nichts anfangen.“Klar, so ein Katalog von „Leitlinien“ist sperrig, aber mir helfen sie, meinen Alltag zu verändern.

Zum Beispiel zum Thema „Kreislaufw­irtschaft und Wiederverw­ertbarkeit stärken (Zukunftsle­itlinie A2.2)“: Mein frisch bezogener Sessel aus dem Sozialkauf­haus Contact und meine renovierte Kommode von der Großmutter sind sicher schöner als Billig-Wegwerfmöb­el und halten auch dem Vergleich zu so manchem teuren Designerst­ück stand. Wussten Sie, dass die Kunst der Möbelresta­uratoren ausstirbt, weil es keine Nachfrage mehr gibt? Außerdem Die reno vierte Kommode der Großmutter ist si cher schöner als Billig Wegwerfmöb­el und hält auch dem Vergleich zu so manchem teuren Designerst­ück stand. gibt es da ja den „Werkraum“im Martinipar­k, wo man unter Anleitung selber Hand anlegen kann.

Oder zum Thema „Wohnumfeld stärken“(Zukunftsle­itlinie B3.2): Im Schwabence­nter in Augsburg treffen wir uns zu verschiede­nen Veranstalt­ungen im „externen Wohnzimmer“nach dem Motto „Gemeinsam ist besser als einsam“. Einsamkeit ist ein großes Problem – das wissen wir nicht erst, seitdem Tracey Crouch die erste Einsamkeit­sministeri­n in England ist. Mal die Nachbarn zum Tee einladen (oder zur Kartoffels­uppe aus den SoLaWi-Kartoffeln)? Die meisten Nachbarn freuen sich. Mein Sohn sagt: „Und das ist Nachhaltig­keit? Das ist doch ganz normal!“Ja, genau! Nächstes Jahr wird es ja vielleicht auch was mit den eigenen Birnen in meinem Garten. Ich habe mir vorgenomme­n, jedes Jahr eine neue essbare Pflanze zu pflanzen. Wahrschein­lich muss dafür auch mal ein Zierstrauc­h weichen – aber hey, wie viel Kirschlorb­eer, Elefanteng­ras oder Buchsbaum braucht man denn wirklich?

Und wie war das jetzt noch mit der Öko-Besserwiss­erei? Da mache ich nicht mit, denn die macht keinen Spaß. Dagegen erlebe ich sehr viel Neues und Spannendes auf dem Weg zu einem nachhaltig­eren Alltag und finde viele neue Freunde, die das auch so sehen. „Na dann ist es ja gut“, sagt mein Sohn und schnippelt die Tomatillos für die grüne Salsa.

Sabine Pfister ist Architek tin und Sicherheit­singe nieurin und engagiert sich über die lokale Agenda 21 für ein nachhaltig­es Le ben in und um Augsburg. Sie wohnt und arbeitet seit 30 Jahren im Herrenbach­viertel in Augsburg.

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Fotos: Sabine Pfister Tomatillos können unter anderem zu ei ner grünen Salsa verarbeite­t werden.
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