Und wenn mich keiner haben will?
Es gibt Jugendliche, die einfach keine Ausbildung finden – zum Beispiel Madalina Dambrowski. Wie sie es trotzdem geschafft hat
Augsburg Schaut man sich die reinen Zahlen an, hätte die Geschichte von Madalina Dambrowski gar nicht passieren können. Schließlich herrscht gerade Hochkonjunktur. Schließlich werden Menschen, die eine Ausbildung machen wollen, händeringend gesucht. Schließlich klagen Wirtschaftsvertreter immer: Alle wollen nur ins Büro, keiner in den Handel. Schließlich kommen im Raum Augsburg auf 100 Jugendliche, die einen Ausbildungsberuf suchen, fast 120 Ausbildungsstellen. Und doch wollte lange Zeit niemand Madalina Dambrowski einstellen.
Jetzt sitzt die 19-Jährige in einer dunkelgrauen Fleece-Jacke mit Rewe-Emblem im Pausenraum eines Supermarkts im Augsburger Stadtteil Haunstetten und lächelt. Die dunkelbraunen Haare hat sie zu einem lockeren Dutt hochgesteckt. Es ist noch nicht lange her, da dachte Dambrowski, sie müsse von Hartz IV leben. Jetzt hat sie eine abgeschlossene Ausbildung, eine eigene Wohnung und seit 1. Juli einen festen Vertrag im Markt von Florian Kunkel. Sie sagt: „Unabhängig zu sein, eigenes Geld zu verdienen und Rechnungen selbst zu bezahlen, das ist das Schönste. Darauf habe ich lange hingearbeitet.“
In der neunten Klasse schaffte Dambrowski wegen einer Lernschwäche den Hauptschulabschluss nicht. Sie hatte schlechte Noten in Mathe, verstand bei Textaufgaben nicht, was von ihr erwartet wurde und fiel durch. Dennoch bewarb sie sich um Praktika und Ausbildungsstellen und wurde überall abgelehnt. „Ohne Abschluss findet man einfach nichts“, sagt sie.
Damals habe sie sich ziemlich verzweifelt gefühlt, erzählt die 19-Jährige. Weil die junge Frau längst nicht die Einzige ist, der es so geht, bietet die Bundesagentur für Arbeit verschiedene Maßnahmen an, um Jugendliche in den Beruf zu begleiten. Wer schlechte Noten hat, kann etwa während der Ausbildung Nachhilfeunterricht bekommen – bezahlt von der Arbeitsagentur. Auch Jugendliche, die noch nicht wissen, was sie werden möchten, oder denen die nötige Ausbildungsreife fehlt, können sich helfen lassen. Etwa über eine Einstiegsqualifizierung – eine Art Langzeitpraktikum in einem Ausbildungsbetrieb. Dort arbeitet der Jugendliche mit und kann testen, ob ihm der Beruf liegt. Eine andere Möglichkeit ist eine Art Übergangsjahr – offiziell berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme genannt. Dafür entschied sich Madalina Dambrowski. Das Programm ermöglicht es Jugendlichen bei verschiedenen Trägern, ihren Schulabschluss nachzuholen, in Berufe hineinzuschnuppern und sich für eine Ausbildung zu entscheiden. Bei Dambrowski fiel die Wahl auf Verkäuferin im Einzelhandel. Eine zweijährige Lehre, die an den umfangreicheren, dreijährigen Lehrberuf Kaufmann im Einzelhandel angelehnt ist. Warum sie sich so entschieden hat: „Im Supermarkt ist ständig was zu tun. Entweder man räumt Waren ein oder man sitzt an der Kasse und bedient. Das macht Spaß. Ich bin immer in Bewegung und die Zeit vergeht wahnsinnig schnell“, sagt Dambrowski.
Einen großen Anteil an ihrer Entscheidung hatte auch Alexander Leingang. Er leitet im Berufsbildungswerk Augsburg der Katholischen Jugendfürsorge (KJF) einen Supermarkt. Ein reiner Ausbildungsbetrieb, der genau solchen Jugendlichen wie Dambrowski helfen soll. Seit 16 Jahren ist Leingang bei der KJF und kümmert sich um Auszubildende, die besondere Unterstützung brauchen. Während der Berufsvorbereitung schaut er sich die jungen Menschen an, die zu ihm kommen, und bewertet ihre Stärken und Schwächen, überlegt gemeinsam mit Kollegen, welcher Beruf der passende sein könnte. Leingang sagt: „Wenn die Jugendlichen zu uns kommen, dann wissen sie vor allem eins: Nämlich was sie alles nicht können.“Ihr bisheriges Leben ist oft von Misserfolgen geprägt. „Da kommt es darauf an, ihnen wieder Selbstvertrauen zu geben“, sagt er.
Und deshalb bietet die KJF nicht nur berufsvorbereitende Maßnahmen an, sondern auch außerbetriebliche Ausbildungen. Diese entsprechen vom Lerninhalt einer normalen Ausbildung. Sie finden nur nicht in einem herkömmlichen Betrieb statt, sondern in einer Art Lehrwerkstatt. In einem normalen Ausbildungsbetrieb fehle im Alltag die Zeit, auf die Schwächen eines Einzelnen einzugehen, sagt Leingang und nennt ein Beispiel: Viele Jugendliche, die zu ihm kommen, haben ein Problem mit der Pünktlichkeit. Sie kommen ständig zu spät. Mal eine Viertelstunde, mal eine oder zwei Stunden. „In einem normalen Betrieb schaut sich das der Ausbilder ein-, höchstens zweimal an. Dann gibt es einen gehörigen Anpfiff und eine Verwarnung. Wenn sich dann immer noch nichts ändert, fliegt der Azubi raus.“Bei ihm im Ausbildungs-Supermarkt – in den aber auch ganz normale Kunden kommen – kann er genau schauen: Wie lernen die Jugendlichen, pünktlich zu werden? Deshalb hat er eine Regel eingeführt: Kommt jemand eine Minute zu spät, muss er fünf Minuten nacharbeiten. Das heißt: Wer eine Viertelstunde später kommt, darf erst eineinviertel Stunden später Feierabend machen als die anderen. „Das schmerzt natürlich sehr“, sagt Leingang. Aber es wirkt.
Auch Dambrowski hatte zu Beginn ihrer Ausbildung bei Leingang Probleme mit der Pünktlichkeit. Heute im Supermarkt von Florian Kunkel kommt sie manchmal freiwillig früher. „Wenn ich schon 5.45 Uhr anfange, kann ich meine Aufgaben morgens entspannter erledigen“, sagt sie. Natürlich sei es immer noch ein Kampf, aber sie verstehe nun, warum Pünktlichkeit wichtig ist.
Leingang findet für seine Arbeit einen schönen Vergleich: „Das ist wie Teewasser. Bei 100 Grad kocht es. Wir erwärmen das Wasser einfach ein bisschen langsamer und nicht mit voller Kraft. Aber am Schluss kocht es.“Denn am Ende müssen alle Auszubildenden – egal, ob sie in einer außerbetrieblichen Einrichtung waren oder direkt in einem Betrieb ihre Ausbildung gemacht haben – die gleiche Prüfung ablegen. Da gibt es keine Ausnahmen. Dambrowski hat das gemacht – und gezittert. Denn gerade in Mathe war sie sich unsicher, ob es gereicht hat. Hat es.