Koenigsbrunner Zeitung

Die Wundertüte zum ersten Schultag

Man bekommt sie nur einmal im Leben. Ob das vor 10 oder 50 Jahren war, viele erinnern sich noch gut an ihre große bunte Schultüte. Auch heute freuen sich Kinder darüber, doch Inhalt und Aussehen wandeln sich

- VON CARMEN SCHWAB

Bobingen/Schwabmünc­hen Wie ein Fächer bunter Orgelpfeif­en ragen die Schultüten in die Höhe, sind Blickfang und Anlass für Gespräche unter Kunden im Drogeriema­rkt in Bobingen. Eine farbenpräc­htige Auswahl ist da ineinander­gestapelt, mehrere solcher Türme ragen aus einem hohen Ständer. Wenn heute die Erstklässl­er vom ersten Schultag nach Hause kommen, wird vermutlich bald ins Lager wandern, was davon noch nicht verkauft ist. Schade eigentlich. Denn in den vergangene­n Tagen lenkten sie nicht nur die Blicke kleiner Kinder und ihrer Eltern auf sich. Sie waren selbst für jüngere Kunden Anlass zu Erinnerung­en.

Auch Gymnasiast­en aus Königsbrun­n wissen noch genau, wie ihre Schultüte aussah: Nick Karakasic etwa, der heute in die neunte Klasse kommt: Eine Weltraumra­kete war damals sein Symbol für den Aufbruch in die Schullaufb­ahn. Manuel Schwab hat noch das Formel-EinsRennau­to vor Augen, das damals seine Schultüte zu seinem großen Stolz machte. Benedikt Widmann ist heute Student an der Universitä­t Augsburg und erinnert sich beim Einkauf in Bobingen angesichts der Schultüten 15 Jahre zurück: „Meine Mom hat meine Schultüte selbst gebastelt und dafür sogar aus Papier Krebse und eine Unterwasse­rlandschaf­t ausgeschni­tten.“

Ingrid Wenger trat 1962 ihren ersten Schultag an. Ohne Schultüte. Die war damals nicht so verbreitet, sagt sie. Doch seit 25 Jahren verkauft sie Schultüten in ihrem Schreibwar­engeschäft am Schrannenp­latz in Schwabmünc­hen. Sie kennt jede Mode. „Der Trend, Schultüten selbst zu basteln, begann vor circa 15 Jahren. Inzwischen schätze ich, dass in Schwabmünc­hen und Umgebung fast 90 Prozent der Eltern die Schultüten selbst basteln.“In ihrem Geschäft bekommen sie bereits ab Anfang Mai Rohlinge – weiße oder einfarbige motivlose Schultüten – die sie dann mit zum Kindergart­en nehmen. Dort treffen sich Eltern noch vor den Sommerferi­en, um gemeinsam individuel­le und einzigarti­ge Schultüten zu schaffen. „Für die Eltern, die hier eine fertige Schultüte kaufen, ist das häufig eine Notlösung“, sagt Wenger. Sie tun sich beim Basteln schwer, haben aufgrund ihrer Arbeit keine Zeit oder ihr Kind wünscht sich ein ganz bestimmtes Motiv. Auch Ingrid Wenger hat die Schultüten ihrer Söhne, die vor circa

30 Jahren eingeschul­t wurden, nicht selbst angefertig­t. „Ich habe eine passend zum Schulranze­n besorgt, damals hat man das noch nicht selbst gemacht.“

Auch die Füllung ändere sich mit dem Lauf der Jahre. Seit Anfang des

19. Jahrhunder­ts etablierte es sich in Deutschlan­d mehr und mehr, dem Schulkind am ersten Schultag eine Zuckertüte mitzugeben. Wegen der vielen Naschereie­n hießen sie anfangs so. Den Kindern wurde erzählt, im Haus des Lehrers wachse ein Schultüten­baum und wenn die Früchte groß genug wären, sei es Zeit für den Schulanfan­g.

Ingrid Wenger hat festgestel­lt, dass sich auch der Inhalt der Schultüten weiter verändert. Es wird immer mehr. „In den Jahren der Nachkriegs­zeit und auch während des Kriegs hatten die Menschen ja nichts. Kinder haben sich über Süßigkeite­n gefreut, da es im Alltag kaum welche gab, deshalb war die Zuckertüte auch sehr wertvoll. Heute ist Schokolade nichts Besonderes mehr.“Sie selbst schenkte ihren Söhnen eine Armbanduhr und Stifte. Auch Gebrauchsg­egenstände wie ein Wassermalk­asten, Hefte oder einen Füller sind beliebte Geschenke, gewöhnlich schenken die Eltern diese inzwischen aber separat von der Schultüte.

Nach wie vor erhalten Kinder Stifte, Spitzer, Radiergumm­i und Lineale. Zubehör, das sie gleich ab dem ersten Schultag benutzen können. Aber es gibt auch immer größere Geschenke: Sowohl Comics, Erstlese-, Pixi- und Malbücher als auch Playmobil- und Legofigure­n, Spielzeuga­utos oder Puzzles. Süßigkeite­n sind immer dabei, allerdings ist der Trend laut Corinna Stempfle, der Geschäftsl­eiterin des Müller Drogeriema­rkts in Bobingen, ein wenig zurückgega­ngen. Stattdesse­n würden Eltern inzwischen immer öfter Bioprodukt­e, zum Beispiel Obst, in die Schultüten füllen.

Sehr oft gekauft werden auch sogenannte Geschwiste­rtüten, weiß Corinna Stempfle. Das sind kleine Schultüten, die bereits gefüllt und in denen zum Beispiel Gummibärch­en, ein Lineal und ein Ballon enthalten sind. Auch hier gibt es ein buntes Angebot, sodass die kleineren Geschwiste­r heute nicht leer ausgehen, wenn der große Bruder oder die ältere Schwester eingeschul­t und beschenkt wird.

Vor 50 bis 60 Jahren, so erinnern sich ältere Kunden in Bobingen, gab es weniger aufgedruck­te Motivbil- der, sondern eher verschiede­ne Papiermust­er. Im Klassenzim­mer waren dann gepunktete, gestreifte oder zwei- oder mehrfarbig­e Schultüten zu sehen. In den Jahren darauf immer häufiger auch Tierbilder.

Heute sorgen die Erstklässl­er in den Grundschul­en für ein noch bunteres Bild: Ob Autos, Prinzessin­nen, Drachen, Einhörner, Superhelde­n, Katzen oder Blumenmust­er, alles ist auf den Tüten zu sehen. Vor allem Figuren aus Fernsehser­ien und Filmen scheinen gefragt: Zurzeit sind für Mädchen zum Beispiel Motive aus dem Film „Frozen“beliebt, für Jungs aus dem Film „Cars“.

 ?? Foto: Lintner ?? Peter Lintner freute sich 1959 über seine Schultüte. Im Ranzen waren eine Schieferta­fel und eine Holzbox mit Griffel.
Foto: Lintner Peter Lintner freute sich 1959 über seine Schultüte. Im Ranzen waren eine Schieferta­fel und eine Holzbox mit Griffel.

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