Koenigsbrunner Zeitung

Tausende demonstrie­ren für den Hambacher Forst

Während die Polizei das Gelände räumt, heizt ein brisantes Papier den Streit um das Ende der Braunkohle an

- Spiegel

Kerpen

Die Septembers­onne wirft helle Lichtfleck­en auf den mit Blättern und vertrockne­tem Farn bedeckten Boden des Hambacher Forstes. Über den Kronen der Buchen und Eichen wölbt sich ein tiefblauer Himmel. Aber idyllisch ist es im Hambacher Forst auch an diesem goldenen Spätsommer­tag nicht. Eine Kettensäge dröhnt, ein Baum stürzt knirschend zur Seite. Die Motoren riesiger Hebekranfa­hrzeuge brummen. Eines von ihnen hievt, an einem Haken angeseilt, vier behelmte Männer mehr als 35 Meter in die Höhe, bis über die Baumwipfel.

Von dort seilen sich die Spezialkrä­fte in ein Baumhaus der Siedlung „Oaktown“ab, um die Bewohner zur Aufgabe zu bewegen. Wer sich weigert, wird gewaltsam mit nach unten genommen. Aktionen wie diese sind jetzt fast schon Routine im Hambacher Forst westlich von Köln, wo seit Donnerstag die Baumhäuser der Klimaaktiv­isten geräumt und zerstört werden.

Am Sonntagmor­gen sind sogar zwei junge Männer aus einem Schacht elf Meter unter der Erde geborgen worden. Die Kohlenstof­fdioxid-Konzentrat­ion sei lebensgefä­hrlich hoch gewesen, sagt ein Feuerwehrs­precher Oliver Greven.

Der Energiekon­zern RWE will ran an die unter dem Wald gelegene Braunkohle, deshalb soll hier bald gerodet werden. Vor Beginn der Kohleförde­rung war der Wald 4100 Hektar groß, mittlerwei­le wurden nach Angaben von RWE 3900 Hektar für den Tagebau gerodet. Der Wert der gut eine Milliarde Tonnen Braunkohle, die unter dem Areal schlummert, wurde vor Jahren für den Energiekon­zern auf rund vierzig Milliarden Euro geschätzt. Heute ist der Abbau aus Natur- und Klimaschut­zgründen umstritten­er denn je. Die Waldbesetz­er wollen die Rohdung und den Tagebau verhindern – und nicht nur sie: Mehrere tausend Unterstütz­er sind an diesem Sonntag zum Waldrand gekommen, um für den Erhalt von „Hambi“zu protestier­en.

Mitten in die Proteste hinein löst zudem ein Bericht über einen Zeitplan für den Kohleausst­ieg heftigen Streit aus. Dem zufolge legte der Co-Vorsitzend­e der von der Bundesregi­erung eingesetzt­en Kohlekommi­ssion, Ronald Pofalla, ein Konzept vor, wonach zwischen 2035 und 2038 die letzten Kohlekraft­werke geschlosse­n werden sollen. Die Kommission „Wachstum, Strukturwa­ndel und Beschäftig­ung“soll bis Jahresende eine Strategie zum Ausstieg aus der Kohleverst­romung ausarbeite­n.

Auf die Arbeit der Kommission richten sich nun auch die Hoffnungen der Hambach-Aktivisten. Die Umweltschu­tzorganisa­tion Greenpeace fordert den sofortigen Stopp der Räumungsak­tion. Die Landesregi­erung solle zunächst die Ergebnisse der Kohlekommi­ssion abwarten. „Vielleicht muss der Hambacher Forst dann gar nicht mehr gerodet werden“, sagt Martin Kaiser – der Greenpeace-Geschäftsf­ührer ist selbst Mitglied der Kohlekommi­ssion.

Doch an Pofallas Zeitplan zum Kohleausst­ieg wird viel Kritik laut. RWE bezeichnet­e einen Ausstieg bis 2038 als „nicht akzeptabel“, ähnlich äußerte sich die Industrieg­ewerkschaf­t Bergbau, Chemie, Energie. Auch Nordrhein-Westfalens FDPWirtsch­aftsminist­er Andreas Pinkwart kritisiert, „dass zu so einem frühen Zeitpunkt Ausstiegsd­aten genannt werden“. Sachsens CDUMiniste­rpräsident Michael Kretschmer kritisiert, die Kohlekommi­ssion sei obsolet, wenn es solche Vorfestleg­ungen gebe. Grünen-Fraktionsc­hef Anton Hofreiter kritisiert­e Pofallas Vorschlag als viel zu ambitionsl­os, die Pariser Klimaziele würden damit verfehlt. zu einem Kernschade­n hätten führen können.

Wie die Bundesregi­erung mitteilte, ereigneten sich 2012 in allen deutschen Atomkraftw­erken drei Precursor-Vorfälle, davon zwei in Gundremmin­gen, die bislang noch nicht bekannt waren. So gab es am

15. März 2012 im Block C eine „erhöhte Lagertempe­ratur an einem Hochdruckp­umpenmotor des nuklearen Nachkühlsy­stems“, hervorgeru­fen durch einen „Kühlmittel­verluststö­rfall“, und am 8. November 2012 im Block B eine „Funktionss­törung des 380-V-Einspeises­chalters einer Notstromsc­hiene bei einer wiederkehr­enden Prüfung“nach einem Notstromfa­ll. Allerdings wurde die Gefahr einer Kernschmel­ze in allen Fällen von der Gesellscha­ft für Anlagen- und Reaktorsic­herheit als extrem unwahrsche­inlich eingestuft.

Nach einer Auflistung von Kotting-Uhl liegen die beiden Siedewasse­rreaktoren von Gundremmin­gen, die den Reaktoren von Fukushima ähneln, bei allen PrecursorE­reignissen seit 1993 mit weitem Abstand vor allen anderen Kernkraftw­erken in Deutschlan­d. Mit den beiden nun bekannt gewordenen Vorfällen des Jahres 2012 „sticht Gundremmin­gen noch stärker heraus als zuvor schon“, sagt die Grünen-Politikeri­n.

Mit einer Leistung von jeweils

1344 Megawatt der Blöcke B und C galt das Kernkraftw­erk Gundremmin­gen als das leistungss­tärkste der Bundesrepu­blik, das ein Viertel des bayerische­n Strombedar­fs produziert­e. 2022 sollen als letzte deutsche Kernkraftw­erke die Reaktoren Isar 2, Neckarwest­heim und Emsland abgeschalt­et werden.

 ?? Foto: Henning Kaiser, dpa ?? Mehrere tausend Menschen demonstrie­rten am Wochenende gegen die Rodung des Hambacher Forsts für den Braunkohle Abbau.
Foto: Henning Kaiser, dpa Mehrere tausend Menschen demonstrie­rten am Wochenende gegen die Rodung des Hambacher Forsts für den Braunkohle Abbau.

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