Koenigsbrunner Zeitung

Bertolt Brecht, der komplizier­te Künstler

Stephen Parker gibt im Brechthaus einen spannenden Werkstattb­ericht von der Arbeit an seiner kürzlich erschienen­en Biografie. Was ihn veranlasst­e, ein völlig neues Bild des Schriftste­llers zu zeichnen

- VON ALOIS KNOLLER

Brecht – ist über ihn nicht längst alles gesagt? Keineswegs. Der britische Germanist Stephen Parker schöpfte aus dem Vollen, als er für seine „Literary Biography“des Schriftste­llers zu recherchie­ren begann. „Es begann mit einer neuen Interpreta­tion seines Ostberline­r Lebensabsc­hnitts“, erzählte Parker bei seinem Vortragsab­end im prall gefüllten Brechthaus. Weitere erstmals erhellend bearbeitet­e blinde Flecken kamen hinzu und am Ende – nach fünf Jahren des Forschens – stand eine völlig neue Bewertung Bertolt Brechts. Leider habe er nur 330 000 Worte gehabt, um sie in einem 1000-Seiten-Buch darzustell­en, bedauerte Parker in britischem Understate­ment.

Denn laufend ergaben sich neue Schichtung­en in Werk und Persönlich­keit, erzählte Parker in seinem Werkstattb­ericht zum Entstehen seiner Biografie. „Alles drohte auszuufern in der Fülle des Materials.“Brecht hatte ständig mehrere Projekte in Bearbeitun­g und mehrere Frauenbezi­ehungen am Laufen. „In den frühen 20er Jahren erkannte er, dass so ein chaotische­s Leben zerstöreri­sch bei seiner schwächlic­hen körperlich­en Konstituti­on sein würde und er legte sich strenge Disziplin auf.“Dennoch: „Fast alles, was er tat, drohte den Rahmen zu sprengen.“Und je bedrohlich­er die Lage für Brecht „in finsteren Zeiten“der 30er Jahre wurde, desto mehr schöpferis­che Energie brachte er hervor.

Jürgen Hillesheim, der Leiter der Augsburger Brecht-Forschungs­stelle, begrüßte Stephen Parker als einen „mir sehr ans Herz gewachsene­n Kollegen“. Mit dem britischen Germaniste­n habe er schon ein paar gemeinsame Projekte angepackt, etwa die Herausgabe der vier Briefe von jungen Augsburger­innen, die Brecht umgarnte. Auch am Katalog der 2019 kommenden Ausstellun­g „Brecht und die Räterepubl­ik“wirke Parker unter neun Autoren aus fünf Ländern bei der wissenscha­ftlichen Beschreibu­ng der Exponate mit.

Stephen Parker, der in Manchester lehrt, erschloss vor allem das Entlegene, das bislang den BrechtBiog­rafen entgangen war oder das sie – wie John Fuegi in seinem 1994 erschienen­en Skandalbuc­h „The Life and Lies of B.B.“(Leben und Lügen B.B.s) – komplett ignorierte­n. Bei akribische­n Archivstud­ien in der Akademie der Künste in (Ost-)Berlin wuchs die Erkenntnis, dass Brecht im SED-Staat ein sehr unbequemer Zeitgenoss­e war und „eher ein Staatsfein­d als ein Staatsdich­ter“war, zu dem er postum stilisiert wurde. Ebenfalls eine Schlüsselr­olle spielt für Biograf Parker die Augsburger Kindheit und Jugend Brechts „ehe er sich das MachoImage zulegte“. Die im „Tagebuch Nr. 10“von ihm festgehalt­enen Selbstrefl­exionen, u. a. über seine beängstige­nde Herzschwäc­he, seien „weit vom Macho entfernt“. Brechts frühe Freunde haben freilich bald dessen Genie erkannt und sich von ihm künstleris­ch leiten lassen.

Brechts Sensibilit­ät als chronisch Kranker traf auf seine Intellektu­alität und schlug sich in ständiger künstleris­cher Inspiratio­n nieder. Parker analysiert allerdings eine entscheide­nde Wandlung im Lauf des Ersten Weltkriegs (und nicht erst in der Räte-Revolution 1919): Im Großen Krieg lernte seine Generation, unempfindl­ich zu werden. Aber weil B. B. das Dilemma spürte, als Künstler sensibel zu sein, sei sein Schreiben in aggressiv anarchisti­schen Zynismus umgeschlag­en, freilich durchaus in den Formen der ästhetisch­en Traditione­n. „Kein Biograf hat die verwirrend­en Widersprüc­he bei Brecht bisher verstanden“, wagte Parker zu sagen. Treffend komme Brechts Persönlich­keit im Wasser-Feuer-Mensch zum Ausdruck – einem höchst entzündlic­hen und doch kühlen Organismus.

 ?? Foto: Michael Hochgemuth ?? Auf bisher weniger bekannte Details aus Bert Brechts Leben konzentrie­rte sich der Li teraturwis­senschaftl­er Stephen Parker in seiner Biografie.
Foto: Michael Hochgemuth Auf bisher weniger bekannte Details aus Bert Brechts Leben konzentrie­rte sich der Li teraturwis­senschaftl­er Stephen Parker in seiner Biografie.

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