Wie krank sind die Augsburger?
Es gibt viele Statistiken über den Gesundheitszustand der Menschen in der Region. Aber nicht jeder Kranke geht zum Arzt. Medizinforscher nehmen die Bevölkerung nun genau unter die Lupe
Rückenschmerzen, Atemwegsprobleme und Depressionen. Unter diesen Krankheiten leiden die Menschen in Augsburg besonders häufig. Zu diesem Ergebnis kommt ein neuer Gesundheitsreport für die Region. Krankenkassen ermitteln regelmäßig, wie viele Menschen sich pro Jahr medizinisch behandeln lassen. Doch diese Zahlen seien nur die halbe Wahrheit, sagen Wissenschaftler. Wie krank sind die Augsburger wirklich? Mediziner und Forscher liefern dazu neue Antworten.
Zunächst ein Blick auf die Zahlen der Krankenkassen: Die DAK vermeldete kürzlich Trends. Danach ist der Krankenstand in der Region im vergangenen Jahr leicht angestiegen. Er lag bei 3,4 Prozent. Anders gesagt: An jedem Tag des Jahres waren von 1000 Arbeitnehmern 34 krankgeschrieben. Die häufigste Ursache waren Rückenleiden (fast 21 Prozent). Atemwegserkrankungen wie beispielsweise Bronchitis belegten Platz zwei und haben besonders stark zugenommen. Auf Platz drei standen psychische Leiden, etwa Depressionen oder Angstzustände. Dort gingen die Ausfalltage von Arbeitnehmern allerdings zurück.
Folgt man dem DAK-Gesundheitsreport, sind die Ergebnisse für Augsburg insgesamt nicht beunruhigend. Der Krankenstand in der Region war etwas niedriger als im Landesdurchschnitt. Mediziner betonen jedoch etwas anderes: Die genannten Zahlen sagen zwar einiges darüber aus, wie viele Arbeitnehmer sich pro Jahr im deutschen Gesundheitssystem behandeln lassen oder krankgeschrieben werden. Doch längst nicht alle Kranken sind in solchen Berichten erfasst.
Beispiel Psyche: Professor Max Schmauß ist ärztlicher Direktor des Bezirkskrankenhauses Augsburg (BKH). Er sieht bei Behandlungszahlen in der Klinik einen klaren Trend. Zwar sei die Zahl der Patienten insgesamt über die Jahre hinweg relativ konstant. „Die psychischen Erkrankungen im Alter werden aber deutlich mehr“, sagt er. Das liege daran, dass es heute mehr ältere Menschen gibt als früher. Mit dem Lebensalter steige aber auch das Risiko, eine Krankheit wie Demenz oder Altersdepression zu bekommen, sagt Schmauß. Die Folge: In der Region brauchen mehr alte psychisch kranke Menschen Hilfe. Im BKH hat man auf diese Entwicklung reagiert. In der Alterspsychiatrie wurde die Zahl der Stationen aufgestockt. „Aber trotz Ausbau sind wir überbelegt“, sagt Schmauß.
Zum nächsten Beispiel, den Atemwegserkrankungen: Die Krankschreibungen in der Region haben in diesem Bereich besonders stark zugenommen (16 Prozent). Eine Frage beantwortet die Statistik allerdings nicht: Was sind die möglichen Ursachen dieser Entwicklung? Stecken nur die üblichen Grippewellen und Infekte dahinter? Oder trägt auch die Luftqualität in Großstädten dazu bei, dass Menschen anfälliger werden?
Eine Medizinforscherin, die sich in Augsburg intensiv mit diesem befasst, ist Professorin Claudia Traidl-Hoffmann. Sie sagt, die Frage sei mit einem klaren „Ja“zu beantworten. In unterschiedlichen Studien europaweit und weltweit sei zu sehen, dass die Nähe zu einer befahrenen Straße ein Risikofaktor für die Entwicklung von Allergien und auch Asthma sei. „Allerdings haben wir bis heute nur zum Teil verstanden, warum das so ist“, sagt TraidlHoffmann. Dies habe mit komplexen Zusammenhängen zu tun. Vereinfacht gesagt, bilden Atemwege und Haut eine hochkomplexe Barriere, die wie ein Schutzschild gegenüber Umweltstoffen wirkt.
Im Zusammenhang mit Luftschadstoffen, insbesondere mit zunehmenden Feinstaubpartikeln und Stickoxiden in der Großstadtluft, werde diese natürliche Schutzbarriere „durchlässig wie ein Sieb und damit anfälliger für Krankheiten und Entzündungen“, sagt die Medizinforscherin. Dies begünstige auch eine allergische Reaktion. TraidlHoffmann vom Institut für Umweltmedizin des Forschungsverbundes UNIKA-T am Klinikum Augsburg hat noch etwas anderes herausgefunden: „Wir konnten insbesondere zeigen, dass Umweltschadstoffe nicht nur auf den Menschen direkt wirken.“Vielmehr könnten sie Allergien wie etwa Asthma und Heuschnupfen in einer komplizierten Dreiecksbeziehung zwischen Schadstoffen, Pflanzen und Menschen verstärken.
Um welche Krankheit es sich auch handelt, grundsätzlich geht es um die große Frage: Wie gesund oder krank sind die Menschen in Augsburg? Und da kommt schon das nächste Problem auf die Statistiker zu: „Nicht alle Menschen, die krank sind, gehen auch zum Arzt“, sagt Professor Klaus Berger. Er ist Vorstandsvorsitzender der bundesweiten NAKO-Studie. Die derzeit größte deutschlandweite LangzeitThema untersuchung mit 200000 Teilnehmern aus der Bevölkerung hat die Entstehung und Vorstufen von „Volkskrankheiten“im Blick, darunter Krebs, Diabetes, Herzkrankheiten oder auch Rückenleiden. In Augsburg ist eines der großen Untersuchungszentren.
Eine NAKO-Sprecherin sagt: „Die Augsburger machen sehr engagiert mit, sie nehmen ihre gesellschaftliche Verantwortung wahr.“Schließlich gehe es darum, die Vorsorge, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten zu verbessern.“NAKO beschäftigt sich unter anderem damit, welche Volkskrankheiten neu hinzukommen und welche Zusammenhänge mit dem Lebensstil bestehen. Bis Ende 2019/Anfang 2020 verspricht Berger eine Zwischenbilanz. Mithilfe dieser Daten wollen die Forscher dann wissenschaftlich exakt beantworten, wie es um die Gesundheit der Augsburger steht. »Kommentar