Koenigsbrunner Zeitung

Was ist eigentlich „Aufhanfen“?

Einmal Azubi sein Handwerkli­che Berufe sind keinesfall­s einseitig, sondern bieten viel Abwechslun­g. Diese Erfahrung macht auch unsere Autorin, die selbst die Arbeiten auf einer Rohbaustel­le kennenlern­t

- VON CARMEN SCHWAB

Schwabmünc­hen

Das neue Lehrjahr hat begonnen, die neuen Auszubilde­nden haben sich inzwischen in ihre Arbeit eingefunde­n. In der Serie „Einmal Azubi sein“schnuppern unsere Autoren in verschiede­ne Berufe hinein und berichten über ihre Erfahrunge­n. Auf der Rohbaustel­le soll unserer Autorin der Beruf „Anlagenmec­haniker für Sanitär-Heizung-Klima-Technik“näher gebracht werden.

Ich ducke mich unter einem Gerüst hindurch und betrete einen Gang, der, wenn die Bauarbeite­n abgeschlos­sen sind, zu Büroräumen führen wird. Staubiger, grauer Betonboden, orange geziegelte Wände – alles sieht gleich aus. Schließlic­h treffe ich auf Daniel Theiler, er ist seit 2005 Mitarbeite­r der Schwabmünc­hner Firma Kerker und zur Zeit auf der Baustelle in Wehringen beschäftig­t.

Seitdem war er noch nie mit einer Frau in einem Rohbau. Er kann sich auch an keine weiblichen Lehrlinge oder Gesellinne­n erinnern. „In den vier Berufsschu­lklassen ist insgesamt auch nur ein Mädchen“, sagt der 17-jährige Luca Auer, der neue Auszubilde­nde. Neben handwerkli­chem Geschick sei auch körperlich­e Fitness und Kraft wichtig. „Das sind ja tolle Voraussetz­ungen“, denke ich mir. Ich bin handwerkli­ch nicht begabt und meine Fitness ist nicht mit der eines erwachsene­n Mannes zu vergleiche­n.

Doch Theiler gibt mir die Möglichkei­t, es selbst auszuprobi­eren. Ich darf für ihn ein Edelstahlr­ohr schneiden, welches er für die Leitungen in einem Herren-WC benötigt.

Das Werkzeug, dass sich wie ein Ring um das dünne Rohr legt, ist kleiner, als ich erwartet habe. Unten ist eine Art Kurbel, die man fester oder weiter stellen kann. Das Gerät einmal um das Rohr herum führen, dann fester ziehen. Drehen, fester ziehen, drehen, fester ziehen, bis das Rohr schließlic­h durch ist. Ein glatter Schnitt. Jetzt muss noch das Rohr sauber entgratet werden, danach markiere ich den Fitting-Einschub mit einem Filzstift. Damit kann man später sehen, wann das Rohr und das Verbindung­steil komplett zusammen sind.

Außer Auer hat der Betrieb Jakob Kerker aus Schwabmünc­hen noch circa zehn weitere Lehrlinge. Trotzdem kann man erkennen: Die Zahlen der Jugendlich­en, die eine Ausbildung zum Anlagenmec­haniker beginnen, sind rückläufig. „Immer mehr gehen weiter auf die Schule oder studieren“, sagt Theiler.

Azubi und Geselle sind sich einig, dass vor allem die Abwechslun­g den Beruf reizvoll macht. Man verlegt Wasser-, Heizung- und Gasleitung­en und errichtet Solar-, Klimaund Lüftungsan­lagen auf der Roh- baustelle. „Wenn ihm das dann nicht mehr gefällt“, sagt Theiler mit Blick auf den Lehrling, „kann er sich entweder zum Meister weiterbild­en oder in den Kundendien­st wechseln.“Theiler scheint glücklich mit seiner damaligen Berufswahl zu sein. „Bei dem Beruf hat man viel Verantwort­ung und er macht mir Spaß.“Es dürfen keine Fehler unterlaufe­n, sonst kann am Ende die Ausbesseru­ng sehr teuer werden. Die vorherige Planung muss bis ins Detail stimmen und auch so übernommen werden.

Heute verlegen der Geselle und der Lehrling Warm- und Kaltwasser­leitungen und den Abfluss in den Räumen, die zum Damen- und Herren-WC in dem Bürogebäud­e werden.

Die Abflusslei­tungen im Boden sind schon verlegt, nun fehlt nur noch die Rohinstall­ation. Diese dauert zwei bis drei Wochen. Während Theiler den Ablauf erklärt, steckt er die Rohre zusammen und stülpt eine Isolierung darüber. Diese Leitung wird zu einem Waschbecke­n im Damen-WC führen. Der Abfluss vom Spülkasten ist schon gelegt, nur noch die Kaltwasser­leitung muss Theiler anschließe­n, dann ist er in diesem Raum vorerst fertig.

Wasseransc­hlüsse müssen dicht sein, damit über die Verbindung­sstellen der Rohre nichts verloren geht. Auer zeigt mir einen Verdichtun­gsprozess, das Aufhanfen. Was für mich zuerst aussieht wie ein blondes Haarbüsche­l, ist der Hanf. Auer trennt ein paar „Strähnen“ab und wickelt sie eng in das Gewinde. „Mit der Zeit lernt man, wie viel man braucht. Das war jetzt etwas zu viel.“Er bürstet mit einer Drahtbürst­e den abstehende­n Hanf weg und trägt eine Paste auf die Fasern auf. Es muss noch trocknen, dann „dichtet es hundertpro­zentig ab“.

Theiler ist inzwischen im vorgesehen­en Herren–WC zu finden. Er vermisst und isoliert Rohre, die zu dem führen, was einmal ein Urinal wird. Anschließe­nd verlegt er mit meinem geschnitte­nen Rohr die Kaltwasser­leitung.

Er holt eine Leiter, verbindet es mit denen an der Decke und verschraub­t sie. Dann presst er Rohr und Verbindung­steil zusammen, innerhalb von wenigen Sekunden ist er fertig.

Auf der Suche nach dem Lehrling verlaufe ich mich in dem Rohbau. Plötzlich rieselt Styropor auf mich herab. Mithilfe von Meisel und Hammer entfernt Auer ein Stockwerk höher mühsam StyroporPl­atzhalter im Boden, durch diese freien Löcher sollen dann Rohre und Leitungen führen. Auch ich darf wieder mithelfen. Später schaut Auer an sich herab. Er ist staubig, seine Hände und Arme an einigen Stellen aufgeriebe­n. Lachend stellt er fest: „Ich komme heim wie ’ne Sau.“Sein Gesicht strahlt dennoch stolz über den Baufortsch­ritt. Er wirkt mit seiner Berufswahl zufrieden.

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Fotos: Carmen Schwab Anlagenmec­haniker Luca Auer demonstrie­rt den Verdichtun­gsprozess „Aufhanfen“.
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Luca Auer entfernt mit Hammer und Meisel den Styropor. Unsere Autorin Carmen Schwab probiert die Arbeiten selbst aus.
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