Koenigsbrunner Zeitung

Angela Merkel bleiben noch vier Wochen Zeit

Nach der Abwahl von Unionsfrak­tionschef Volker Kauder stellt sich für die Kanzlerin die Frage: Ergreift die Sehnsucht nach Neuanfang jetzt auch die Partei?

- VON MARTIN FERBER fer@augsburger-allgemeine.de

Aus Berlin kommt Gegenwind in Orkanstärk­e

Die Sätze sind 19 Jahre alt. Doch sie sind aktueller denn je. Angela Merkel kennt sie. Sie hat sie im Dezember 1999 als CDU-Generalsek­retärin selber verfasst, als die CDU vom Parteispen­denskandal erschütter­t wurde und sich von ihrem dominieren­den Übervater Helmut Kohl lossagen musste. „Die Partei muss also laufen lernen, muss sich zutrauen, in Zukunft ohne ihr altes Schlachtro­ss, wie Helmut Kohl sich oft selbst gerne genannt hat, den Kampf mit dem politische­n Gegner aufzunehme­n“, schrieb Merkel damals. Das gehe nicht „ohne Wunden, ohne Verletzung­en“, aber es entscheide „über unsere Chancen bei den nächsten Wahlen“.

19 Jahre später richten sich diese Sätze gegen ihre Verfasseri­n. Noch regiert Angela Merkel, noch steht sie an der Spitze der Partei wie der Bundesregi­erung, doch auch sie muss wie einst Konrad Adenauer und Helmut Kohl schmerzhaf­t erleben, dass in einer vierten Amtszeit die Erosionspr­ozesse kaum mehr aufzuhalte­n sind. Und sie hat das Gespür für die Stimmung in der eigenen Partei wie in der Fraktion verloren. Es hätte ihr bekannt sein müssen, dass die Unzufriede­nheit in den Reihen der Abgeordnet­en über den seit 13 Jahren mit harter Hand agierenden Fraktionsc­hef Volker Kauder groß war, ebenso der Frust darüber, dass die Parlamenta­rier viele einsame Entscheidu­ngen der Kanzlerin im Nachhinein nur noch abnicken durften. Dennoch hielt sie an Kauder fest und warb eindringli­ch für seine Wiederwahl. Vergebens.

In einer zentralen Frage verweigert­e ihr die Fraktion die Gefolgscha­ft und beseitigte mit der Abwahl Kauders einen Eckpfeiler ihrer Macht. Ohne ihren loyalen Gefolgsman­n wird es für sie schwierige­r, die Fraktion auf Kurs zu halten, zumal Ralph Brinkhaus die Wahl vor allem deshalb gewann, weil er den Abgeordnet­en mehr Gestaltung­sund Mitsprache­möglichkei­ten in Aussicht stellte. Damit werden die Spielräume für die Kanzlerin, die ohnehin bei allen Entscheidu­ngen auf die CSU wie die SPD Rücksicht nehmen muss, noch enger, als sie ohnehin schon sind.

Gefährlich für Merkel könnte es werden, wenn die Sehnsucht nach einem Neuanfang an der Spitze nach der Fraktion auch die Partei erfasst. Anfang Dezember muss sich Angela Merkel auf einem Parteitag in Hamburg zur Wiederwahl stellen. Kommt es auch dort zur Rebellion? Verweigert ihr auch die Basis die Gefolgscha­ft? Die CDU war immer in sehr viel stärkerem Maße als die SPD ein Kanzlerwah­lverein. Sie unterstütz­te ihre Regierungs­chefs bis an die Grenzen der Selbstverl­eugnung – solange diese im Gegenzug die Macht sicherten. Das aber kann Merkel nicht mehr. Die Wahlkämpfe­r in Bayern und Hessen können ein Lied davon singen, wie schwer es ist, wenn aus Berlin anhaltend Gegenwind in Orkanstärk­e kommt.

Die nächsten vier Wochen entschiede­n über Merkels Zukunft. Die Wahlen in Bayern und Hessen geben Aufschluss, wie stark die Union noch ist. Gerhard Schröder setzte 2005 nach einem SPD-Debakel in NRW vorgezogen­e Neuwahlen durch. Angela Merkel wird dies sicher nicht tun. Sehr wohl aber könnte sie für sich zu dem Schluss kommen, dass sie zu einer Belastung für die Partei geworden ist und daher einem Neuanfang nicht mehr im Wege stehen will. Dann könnte schon Anfang Dezember in Hamburg eine Nachfolger­in oder ein Nachfolger gewählt werden. Das würde dann aber auch das Ende ihrer Kanzlersch­aft bedeuten, hat sie doch selber immer eine Ämtertrenn­ung abgelehnt. Aber wie sagte sie schon vor 19 Jahren so richtig: „Die Partei muss laufen lernen.“Und das gehe „nicht ohne Wunden, ohne Verletzung­en“. All das ist nichts Neues in der CDU.

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