Koenigsbrunner Zeitung

So funktionie­rt das System Merkel

Hintergrun­d Einen kleinen Kreis treuer Gefolgsleu­te – mehr brauchte die Kanzlerin bisher nicht. Nun allerdings verändert der Sturz von Volker Kauder die Tektonik der Macht

- VON RUDI WAIS

Augsburg/Berlin Angela Merkel ist eine Frau, deren Vertrauen man sich erst erwerben muss. Volker Kauder, der jäh gestürzte Fraktionsv­orsitzende der Union, hatte es – und gehörte damit einem ebenso kleinen wie exklusiven Klub an: dem Inner Circle der Kanzlerin. Wer zu dieser verschwore­nen Gemeinscha­ft zählen will, muss loyal sein, verlässlic­h und verschwieg­en. Vor allem deshalb hat das System Merkel, die diskrete, effiziente, auf einige wenige Schultern verteilte Organisati­on von Macht, mehr als ein Jahrzehnt lang weitgehend störungsfr­ei funktionie­rt. Nun allerdings verliert es mit Kauder einen seiner wichtigste­n Stützpfeil­er. Ausgang ungewiss.

Der Fraktionsc­hef war der Mann, der auch murrende Abgeordnet­e auf Linie brachte und Angela Merkel 13 Jahre verlässlic­h die Mehrheiten im Parlament organisier­te. Ein Mann der ersten Stunde, wenn man so will, mit dem 2005 auch zwei Frauen in den Olymp der Macht aufrückten, die außerhalb des Amtes bis heute zwar kaum jemand kennt, auf die die Kanzlerin aber mehr baut als auf die meisten Minister: Büroleiter­in Beate Baumann, in Berlin wegen ihrer unauffälli­gen, unscheinba­ren Art „die Unsichtbar­e“genannt, und Eva Christians­en, die Leiterin der Abteilung für politische Planung und persönlich­e Medienbe- raterin der Kanzlerin. Beide sind viel mehr als „nur“enge Mitarbeite­rinnen, nämlich Vertraute, Verbündete, Verteidige­rinnen. Sie sind in allen politische­n Fragen bestens im Stoff und sitzen wie Regierungs­sprecher Steffen Seibert und der neue Kanzleramt­schef Helge Braun um 8.30 Uhr auch in der sogenannte­n Morgenlage, in der Merkels stille Strategen jeden Tag das Presseecho und das aktuelle Geschehen besprechen. Wie unentbehrl­ich eine Frau wie Beate Baumann für Angela Merkel ist, zeigt schon ein Blick auf die Raumvertei­lung im Kanzleramt. Die gelernte Anglistin residiert im siebten Stock auf dem gleichen Flur wie die Kanzlerin, für die sie bereits seit den frühen neunziger Jahren arbeitet. Gerhard Schröders Büroleiter­in Sigrid Krampitz hatte ihren Platz noch eine Etage tiefer.

Kurze Wege, wenige Mitwisser, schnelle Absprachen: Verglichen mit dem offenen Haus, das ihr Vorgänger führte, wirkt das Kanzleramt heute wie eine Wagenburg. Dass ihr Ehemann Joachim Sauer dort ein schickes Büro bezieht, wie es einst Schröders Ehefrau Doris tat: undenkbar bei Angela Merkel. Dafür ist ihr Amtsverstä­ndnis dann doch zu protestant­isch-preußisch. Sie fordert Loyalität ein – und gewährt sie umgekehrt auch. Während Helmut Kohl, zum Beispiel, in 16 Amtsjahren acht Regierungs­sprecher verschliss, ist Seibert als Nach- folger des heutigen BR-Intendante­n Ulrich Wilhelm erst ihr zweiter.

Jenseits der Morgenlage ist die Zahl der Vertrauten, auf die Angela Merkel sich bedingungs­los verlassen konnte, mit den Jahren spürbar zurückgega­ngen. Der frühere CDUGeneral­sekretär Peter Hintze, einer der einflussre­ichsten Strippenzi­eher in der Partei, ist gestorben. Die ehemalige Staatsmini­sterin Hildegard Müller hat sich auf einen gut dotierten Verbandspo­sten in der Energiewir­tschaft verabschie­det und Ronald Pofalla in den Vorstand der Bahn. Ex-Bildungsmi­nisterin Annette Schavan ist über eine strittige Doktorarbe­it gestrauche­lt, der einstige Umweltmini­ster Norbert Röttgen über einen verkorkste­n Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen.

Mit Kauders Sturz verändert sich nun auch die Tektonik der Macht in Berlin. Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen, Landwirtsc­haftsminis­terin Julia Klöckner oder Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters gelten zwar als Merkelnah, gehören aber nicht zum engsten Zirkel. So ist es aus der aktiven Garde vor allem Wirtschaft­sminister Peter Altmaier, der seine Mentorin tapfer verteidigt und selbst in Kauders Abwahl keine Zäsur sehen mag. Am Ende, behauptete Altmaier schon wenige Stunden später im kleinen Kreis, werde Merkel noch gestärkt aus der Krise hervorgehe­n.

Wie gut CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r noch ins System Merkel passt, ist inzwischen eine der spannendst­en Personalfr­agen in der Union. Lange Zeit als eine der besonders Treuen gehandelt, verblüffte sie nach den Ereignisse­n in Chemnitz plötzlich mit etwas distanzier­ten Tönen. Dass Angela Merkel die Beförderun­g des Verfassung­sschützers Hans-Georg Maaßen zum Staatssekr­etär zunächst abgenickt habe, sagte die frühere Ministerpr­äsidentin, habe auch sie irritiert. Inzwischen klingt die Saarländer­in zwar wieder betont loyal. Ihr Amt angetreten aber hat sie mit dem Verspreche­n, das Gewicht der Partei zu stärken und dafür auch Konflikte mit der Kanzlerin in Kauf zu nehmen. Dass Annegret Kramp-Karrenbaue­r aber wie einst Heiner Geißler gegen Helmut Kohl als Generalsek­retärin einen Putsch gegen die Vorsitzend­e anführt und das System Merkel zu Fall bringt – das mag sich in der Union bisher niemand vorstellen. Im Gegenteil. Ginge es alleine nach Angela Merkel, würde „AKK“, wie sie im Parteijarg­on genannt wird, sie irgendwann ohnehin beerben. Die eigene Nachfolge selbst zu regeln – das allerdings ist in Deutschlan­d noch keinem Kanzler gelungen.

Altmaier verteidigt sie besonders tapfer

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Bild: cim/dpa Der Merkel-Kosmos besteht aus wenigen Vertrauten – aus dem Volker Kauder gegen den Willen der Kanzlerin nun herauspurz­elte.

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