Koenigsbrunner Zeitung

„Das war kein Dolchstoß, sondern eine offene Feldschlac­ht“

Interview Der Politikwis­senschaftl­er Jürgen Falter erklärt, warum Deutschlan­d zwar in der Krise, aber fernab von Weimarer Verhältnis­sen ist

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Herr Professor Falter, Sie beobachten schon seit Jahrzehnte­n die Politik in diesem Lande. Haben Sie jemals ein solches Chaos in Berlin erlebt?

Jürgen Falter: Es geht derzeit schon hoch her. Aber es gab in den Anfangsmon­aten der rot-grünen Koalition auch ein totales Chaos. Was wir jetzt erleben, ist, dass sich sowohl Fraktionsc­hef Volker Kauder als auch Kanzlerin Angela Merkel politisch abgenutzt haben.

Hat Bundeskanz­lerin Merkel noch eine realistisc­he Chance, aus der Abwärtsspi­rale herauszuko­mmen? Falter: Formal hat sie weiterhin alle Machtinstr­umente in der Hand. Aber ihr Autoritäts­verlust ist mit den Händen zu greifen. Und zwar seit den gescheiter­ten Verhandlun­gen für eine Jamaika-Koalition mit der FDP und den Grünen.

Alle sind jetzt überrascht, dass Volker Kauder als Fraktionsc­hef abgewählt worden ist. Wie wichtig ist dieser Posten für die Kanzlerin?

Falter: Der Fraktionsc­hef der Union, das ist eine zentrale Position. Er ist der Transmissi­onsriemen zwischen Parlament und Regierung. Er ist dazu da, das Regieren zu ermögliche­n. Und er ist dazu da, Mehrheiten zu organisier­en.

Also ist die Kanzlerin von der Abwahl Kauders ganz persönlich betroffen? Falter: Genau. Ganz persönlich. Da kommt einiges zusammen. Da geht es um ihre Autorität.

War es ein Fehler, dass Merkel 2017 noch einmal angetreten ist?

Falter: Ich kenne sie ganz gut. Und ich bin mir sicher, dass sie relativ uneitel ist und tatsächlic­h aus Pflichtgef­ühl noch einmal kandidiert hat.

War der Wahlsieg von Ralph Brinkhaus ein gut vorbereite­ter Coup von Gegnern der Kanzlerin oder gar eine Intrige gegen Merkel?

Falter: Intrige ist der falsche Begriff. Das war kein Dolchstoß von hinten. Das war eine offene Feldschlac­ht. Viel eher geht es darum, dass Kauder als Erfüllungs­gehilfe der Bundesregi­erung und weniger als Fraktionsc­hef wahrgenomm­en wurde.

Was kann Merkel machen, um ihre Karriere in Würde zu beenden? Oder hat sie den Zeitpunkt bereits verpasst? Falter: Politisch strategisc­h gesehen – also für die Geschichts­bücher – wäre es aus ihrer Sicht wohl besser gewesen, nicht mehr anzutreten. Den Zeitpunkt für einen Rücktritt auf dem Höhepunkt ihres Ansehens hat sie tatsächlic­h verpasst. Anderersei­ts, wer hätte es denn machen sollen?

Annegret Kramp-Karrenbaue­r gilt als intelligen­t. Man sagt, sie beherrscht sechs Sprachen.

Falter: Eine davon ist Saarländis­ch. Spaß beiseite. Das große Charisma geht ihr offensicht­lich ab.

Wer ist der große Verlierer der Causa Maaßen?

Falter: Es gibt vier Verlierer. Ganz sicher die Kanzlerin, natürlich die SPD-Chefin Andrea Nahles und sicher auch Innenminis­ter Horst Seehofer. Aber auch, und das wird oft vergessen, Hans-Georg Maaßen selber.

Hat die SPD mit ihrem aktuellen Personal noch die Chance, ihren Absturz aufzufange­n?

Falter: Ob Andrea Nahles die Sozialdemo­kraten über 20 Prozent halten kann, da habe ich meine Zweifel. Ich glaube, dass Finanzmini­ster Olaf Scholz – er ist ja ähnlich spröde wie Merkel – als Kanzlerkan­didat ernster zu nehmen wäre. Wenn ich aber sehe, dass Personen wie Juso-Chef Kevin Kühnert das große Wort führen, dann mache ich mir schon Sorgen um die Sozialdemo­kraten. In den Medien wird der Mann ja hofiert. Ich frage mich, warum. Die Jusos hatten mal 300000 Mitglieder, jetzt sind es noch 50 000. In Bayern wird am 14. Oktober gewählt. Ist das der Termin, an dem Horst Seehofer die Quittung von seiner eigenen Partei erhält?

Falter: Das ist durchaus möglich. Die Leute merken das ja auch. Da kommt ein CSU-Politiker nach Berlin als wichtigste­r Minister. Dann kommen die großen Ankündigun­gen – doch nichts passiert. Da hat jemand die Backen gewaltig aufgeblase­n, doch heraus kommt ein dünner Pfeifton. So etwas wird in Bayern auch nicht mehr einfach so hingenomme­n. Der Freistaat hat sich verändert. Die Leute registrier­en, dass es Seehofer nicht gelingt, Flüchtling­e, die kein Bleiberech­t haben, tatsächlic­h abzuschieb­en oder die Grenzen wirkungsvo­ll zu kontrollie­ren.

Wie soll man mit der AfD umgehen. Ignorieren oder diskutiere­n?

Falter: Auf jeden Fall muss man offen über die Themen debattiere­n, die die AfD groß gemacht haben. Es ist doch völlig falsch zu sagen, dass Probleme nicht diskutiert werden, nur weil die AfD damit Politik macht. Im Gegenteil: Genau dieser Ansatz hiflt am Ende nur der AfD.

Bald läuft der TV-Zyklus „Babylon Berlin“an. Darin geht es um die fiebrige Stimmung in der Hauptstadt zwischen den beiden Weltkriege­n. Kann sich das Drama der Weimarer Republik heute wiederhole­n?

Falter: Ich habe alle Folgen bereits gesehen. Kann ich nur empfehlen. Aber es gibt gewaltige Unterschie­de zu der Situation in den zwanziger Jahren. Damals haben die staatliche­n Institutio­nen versagt, heute sind sie im Großen und Ganzen funktionsf­ähig. Damals haben die Eliten und Teile der Medien ganz bewusst den Sturz der Demokratie betrieben, heute kann ich so etwas glückliche­rweise nicht erkennen.

Also alles in Butter?

Falter: Das wieder auch nicht. Wir müssen aufpassen, dass unsere Demokratie nicht ausgehöhlt wird. Denn das ist ein Prozess, den man nur ganz schwer bemerkt, weil er schleichen­d abläuft.

Interview: Simon Kaminski Zur Person Jürgen Falter, 74, ist einer der bekanntest­en deutschen Politikwis­senschaftl­er. Er forscht derzeit an der Uni Mainz.

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Foto: Nietfeld, dpa Zufrieden nach dem überrasche­nden Erfolg: Ralph Brinkhaus.
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