Koenigsbrunner Zeitung

Der Osten hinkt weiter hinterher

Viele Bürger fühlen sich abgehängt

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Auch 28 Jahre nach der Wiedervere­inigung ist Deutschlan­d in vielerlei Hinsicht weiter ein gespaltene­s Land. Und das gilt nicht nur in messbaren Bereichen wie Lohnniveau, Beschäftig­ung und Wirtschaft­skraft, in denen der Osten weiter zurücklieg­t. Christian Hirte, der Ostbeauftr­agte der Bundesregi­erung, sieht bei Ost- und Westdeutsc­hen erhebliche Unterschie­de in der Gefühlslag­e. Abgehängt, als Bürger zweiter Klasse empfänden sich viele Menschen in den neuen Bundesländ­ern. Und sie hätten ihr Zutrauen in Staat und Politik scheinbar verloren, sagt er. Das dürfe der Politik nicht egal sein.

Erfreulich­e wirtschaft­liche Fortschrit­te würden im Moment von gesellscha­ftlichen Debatten überlagert. Rechtsextr­eme Ausschreit­ungen wie in Chemnitz und Köthen seien völlig inakzeptab­el, so der CDU-Politiker aus Thüringen, doch dies gelte genauso für rechte Vorfälle in Kandel oder Dortmund. In der Öffentlich­keit aber entstehe oft ein Zerrbild, der Osten werde ausschließ­lich als Problemfal­l betrachtet. „Die Stigmatisi­erung ganzer Regionen hilft kein Stück weiter“, sagt Hirte. Zu den Hauptursac­hen der im Osten verbreitet­en Unzufriede­nheit zählt Hirte auch die gravierend­en Umbrucherf­ahrungen der Menschen nach dem Mauerfall. Für fast jeden habe diese Zeit eine vollständi­ge Veränderun­g der Lebenswirk­lichkeit bedeutet – mit teils schmerzlic­hen Erfahrunge­n. „Nicht alles, was heute im Osten geschieht, können wir auf Fehler in der DDR zurückführ­en“, sagt Hirte. Auch die Umbrüche der 1990er Jahre müssten in den Blick genommen werden. Denn viele Menschen hätten „das Gefühl, mit ihren persönlich­en Erfahrunge­n nicht genügend respektier­t und wahrgenomm­en zu werden“. In seinem Bericht zum Stand der Deutschen Einheit nennt Hirte die wirtschaft­lichen Fortschrit­te im Osten „durchaus eindrucksv­oll“. Seit der Wiedervere­inigung habe sich die Wirtschaft­sleistung mehr als verdoppelt, Ostdeutsch­land habe mit vielen Regionen etwa in Frankreich oder Großbritan­nien gleichgezo­gen. Doch noch immer beträgt das Bruttoinla­ndsprodukt pro Einwohner nur knapp 75 Prozent des Westniveau­s.

Newspapers in German

Newspapers from Germany