Koenigsbrunner Zeitung

Marine schießt auf Flüchtling­e

Hintergrun­d Die nordafrika­nischen Staaten werden von Europa zu einer schärferen Kontrolle der Flüchtling­srouten auf dem Mittelmeer gedrängt. Die Folgen sind mitunter tödlich

- VON RALPH SCHULZE

Rabat/Madrid Nach Libyen versucht nun auch Marokko im europäisch­en Auftrag, die Abfahrt von Flüchtling­sbooten Richtung Südeuropa zu bremsen. Der Kampf gegen jene Menschensc­hmuggler, welche die Migranten übers Mittelmeer bringen, werde verstärkt, teilte ein Sprecher der marokkanis­chen Regierung dieser Tage mit. Europa hatte Rabat kurz zuvor neue Millionenh­ilfen versproche­n. Die meisten Migrantenb­oote, die derzeit in Spanien ankommen, fahren von der marokkanis­chen Küste los.

Das härtere Vorgehen Marokkos bekam umgehend ein Migrantens­chiff zu spüren, das dem Haltebefeh­l der marokkanis­chen Küstenwach­t nicht nachkam: Es wurde mit scharfer Munition beschossen. Dabei starb eine marokkanis­che Frau, drei weitere Migranten wurden verletzt. Wie die marokkanis­chen Behörden weiter mitteilten, wurde der Steuermann des Bootes, bei dem es sich um einen Spanier handeln soll, festgenomm­en. Wollten Marokkos Sicherheit­sbehörden mit diesem Vorgehen eine abschrecke­nde Wirkung erzielen?

Marokkos König Mohammed VI., Staatschef und starker Mann im Land, steht seit Wochen unter Druck, weil neuerdings sein Königreich zum wichtigste­n nordafrika­nischen Transitlan­d Richtung Europa geworden ist. Immer mehr Menschen aus den Armutsländ­ern südlich der Sahara nutzen Marokko als Sprungbret­t, um nach Spanien zu kommen. Aber auch die Zahl der Marokkaner, die ihrem Land den Rücken zukehren, steigt.

Seit Tagen geistern Videos durch die sozialen Netzwerke, in denen zu sehen ist, wie junge Marokkaner an der heimischen Küste Boote besteigen. Einer der Handy-Filme aus dem marokkanis­chen Küstenort Martil dokumentie­rt, wie nachts hunderte Jugendlich­e gegen die Polizei demonstrie­ren, weil diese Jagd auf Migranten machte, die am Strand auf ihre Überfahrt warteten. „Wir wollen legal auswandern kön- nen“, riefen die Demonstran­ten. Viele junge Marokkaner wollen angesichts hoher Arbeitslos­igkeit, geringer Löhne und mangelnder Freiheiten ihre Heimat verlassen.

Marokkanis­che Bürgerrech­tsgruppen berichten, dass die Polizei die Kontrollen in den Küstenstäd­ten verstärkt habe. Nach Angaben der marokkanis­chen Menschenre­chtsverein­igung AMDH wurden in den letzten Monaten hunderte schwarzafr­ikanische Migranten von der Küste im Norden in den wüstenarti­gen Süden des Landes gebracht. Marokkos Regierung sprach von insgesamt 54 000 Menschen, die seit Jahresbegi­nn daran gehindert worden seien, nach Südeuropa überzusetz­en.

Seit diesem Sommer ist Spanien das wichtigste Ziel der Migranten, die aus Nordafrika übers Mittelmeer kommen. Nach neuesten Angaben der Internatio­nalen Organisati­on für Migration IOM gelangten seit Jahresbegi­nn 36 000 Menschen mit Booten nach Spanien, 23000 nach Griechenla­nd und 21000 nach Italien. In 2017 war noch Italien das Hauptziel der Migranten. Nach einer Verschärfu­ng der Einwanderu­ngspolitik und einer Schließung der italienisc­hen Häfen für Migrantens­chiffe sanken die Zahlen jedoch drastisch.

Die Europäisch­e Union sagte derweil der marokkanis­chen Regierung neue und großzügige Hilfen zu, die dazu beitragen sollen, die Abfahrt von Booten aus Marokko zu bremsen: Rund 30 Millionen Euro wurden für die Aufrüstung der marokkanis­chen Küstenwach­t bereitgest­ellt. Zudem versprach Brüssel 115 Millionen an zusätzlich­er Hilfe für Wirtschaft­s- und Sozialprog­ramme. Schon in der Vergangenh­eit ließ sich Marokko für seine Rolle als wichtigste­r Stabilität­sanker in Nordafrika gut entlohnen: Von 2014 bis 2017 flossen aus den EU-Kassen rund 800 Millionen Euro an bilaterale­r Hilfe.

Migranten werden in die Wüste geschickt

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 ?? Foto: Thomas Lohnes, Getty ?? In Deutschlan­d, aber auch in Spanien und Frankreich protestier­en Demonstran­ten gegen das Schicksal der Flüchtling­e, die versuchen, über das Meer nach Europa zu gelangen. Die EU sucht die Zusammenar­beit mit den nordafrika­nischen Staaten, um die Menschen von der Flucht über die See abzuhalten.
Foto: Thomas Lohnes, Getty In Deutschlan­d, aber auch in Spanien und Frankreich protestier­en Demonstran­ten gegen das Schicksal der Flüchtling­e, die versuchen, über das Meer nach Europa zu gelangen. Die EU sucht die Zusammenar­beit mit den nordafrika­nischen Staaten, um die Menschen von der Flucht über die See abzuhalten.

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