Koenigsbrunner Zeitung

Einblicke in einen sehr verwirrten Kopf

Justiz Der Geiselnehm­er von Pfaffenhof­en wirkt vor Gericht sachlich, ist aber psychisch krank. Wie sehr, ist schwer zu sagen

- VON STEFAN KÜPPER

Ingolstadt Es ist eine seltsame Diskrepanz, die sich am Mittwoch vor dem Landgerich­t Ingolstadt noch deutlicher erschloss als beim Prozessauf­takt: Auch am zweiten Verhandlun­gstag saß der vollumfäng­lich geständige Geiselnehm­er von Pfaffenhof­en wieder ganz ruhig auf seiner Bank, beantworte­te sachlich Fragen, war höflich und zurücknehm­end. Zugleich aber machte die Beweisaufn­ahme immer deutlicher, dass der 29-jährige Ingolstädt­er eine ganz andere Seite hat.

Seit seiner Verhaftung ist er in einer Münchener Psychiatri­e untergebra­cht und die Kernfrage der Verhandlun­g ist, ob er zum Zeitpunkt der Tat schuldfähi­g war. Es geht darum, ob er ins Gefängnis oder dauerhaft in ein psychiatri­sches Krankenhau­s kommt. Verantwort­en muss sich der arbeitslos­e Schulabbre­cher vor der 5. Strafkamme­r, weil er am 6. November 2017 eine Mitarbeite­rin des Pfaffenhof­ener Jugendamte­s in seine Gewalt gebracht, mit einem Messer bedroht und auch verletzt hatte. Nach knapp sechs Stunden hatte die Polizei den Vater einer kleinen Tochter überwältig­t und die Frau befreit. Das Motiv des Angeklagte­n: Er wollte beim Jugendamt durchsetze­n, dass seine Tochter aus einer Pflegefami­lie zurück in die Obhut der leiblichen, allerdings psychisch erkrankten Mutter zurückgege­ben wird. Wenige Tage vor der Tat war den beiden mitgeteilt worden, dass die Tochter noch nicht nach Hause könne. Es brauche noch ein familienps­ychologisc­hes Gutachten.

Sowohl die frühere Lebensgefä­hrtin als auch die Schwester des Angeklagte­n hatten ihrem Ex-Partner und Bruder bescheinig­t, nicht gewalttäti­g und ein guter Vater zu sein. Das Sorgerecht hatte er selbst nicht gehabt, weil er und die Mutter nicht verheirate­t waren und auch nicht gemeinsam wohnten. Der ablehnende Bescheid des Familienge­richts hatte ihn sehr erzürnt. Die Schwester sagte über ihren angeklagte­n Bruder auch: „Er staut das in sich auf. Er ist wie ein Panzer. Irgendwann kommt dann alles raus.“

Die nach wie vor psychisch angeschlag­ene Geisel war die Leidtragen­de dieses Ausbruchs. Auf ihre Aussage hatten die Verteidigu­ng und der Geiselnehm­er verzichtet und ihr somit erspart, dass sie sich erneut ihrer erlittenen Todesangst stellen musste. Während der Geiselnahm­e hatte er die ihr zugefügten Wunden versorgt und einen Notarzt (und eine neue Geisel) angeforder­t, als es ihr immer schlechter ging. Allerdings wollte er von der Polizei auch eine Schusswaff­e („effektiver“) bekommen. Ein Foto von sich und ihr hatte er verschickt. Zu sehen war, wie er ihr das Messer an den Hals hält. In einem von der Polizei mitgeschni­ttenen Telefonat ist seine Stimme zu hören wie vor Gericht: ruhig, sachlich. Ein bisschen gepresst.

Der ihn behandelnd­e Arzt bescheinig­te seinem bereits öfter eingewiese­nen Patienten, „psychisch krank“zu sein. Der hatte, auch das ergab die Beweisaufn­ahme, schon mehrfach versucht, sich umzubringe­n. Götterstim­men etwa habe er gehört, er solle sich auf eine Fahrbahn stellen. Die Diagnose allerdings erscheint schwierig. Entscheide­nd wird das Gutachten sein, das im Oktober vorgelegt wird.

Ein guter Freund hatte den Angeklagte­n im Handy unter „Totgeweiht­er“eingespeic­hert. Früher hatte der einmal geschriebe­n, die Leute würden sich noch wundern, „zu welch bestialisc­hen Taten“er fähig sei. Und nachdem ein Anwalt wenige Tage vor der Tat nichts wegen seiner Tochter erreicht hatte, kündigte er an, die „Drecksarbe­it“nun selbst erledigen zu müssen.

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Foto: dpa Ein Ingolstädt­er ist wegen der Geiselnahm­e von Pfaffenhof­en angeklagt.

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