Flucht in der großen Luftblase
Ballon Michael „Bully“Herbig hat einen ernsthaften, zeitgeschichtlichen Stoff verarbeitet. Eine Familie will der DDR in einem selbst gebauten Heißluftballon entkommen. Doch der Zuschauer fragt sich: Warum eigentlich?
Mit „Der Schuh des Manitu“(2001) und „(T)Raumschiff Surprise – Periode 1“(2004) hat Michael „Bully“Herbig Filmgeschichte geschrieben. Die Westernkomödie und die Science-Fiction-Persiflage avancierten bis heute unangefochten zu den erfolgreichsten deutschen Filmen aller Zeiten. Nun will Herbig mit seinem Image als nationaler Oberbespaßer brechen und versucht sich mit seinem neuen Film „Ballon“ganz ohne Verballhornung und mit dramatischem Ernst im Genre des Thrillers.
Dafür hat er eine deutsch-deutsche Fluchtgeschichte aus den späten siebziger Jahren ausgegraben. Am 16. September 1979 gelang zwei thüringischen Familien mit einem selbst gebauten Heißluftballon die Flucht aus der DDR. Das waghalsige Unternehmen gilt als eines der spektakulärsten seiner Art und wurde 1982 schon unter dem schönen Titel „Mit dem Wind nach Westen“in Hollywood von Disney verfilmt. Ausdauernd und vergeblich versuchte Herbig die Erlaubnis für eine Neuverfilmung bei den amerikanischen Rechteinhabern einzuholen, bis Freund Roland Emmerich die Sache klärte.
Mit dem Wind, der in die richtige Richtung weht, beginnt auch Herbigs „Ballon“. Lange haben Peter Strelzyk (Friedrich Mücke) und seine Frau Doris (Karoline Schuch) darauf gewartet und in dieser Nacht scheint es endlich so weit. Auch wenn die Komplizen Günter und Petra Wetzel (David Kross, Alicia von Rittberg) es sich anders überlegt haben, besteigt die vierköpfige Familie nachts den Heißluftballon. Aber der verwendete Baumwollstoff saugt sich mit Feuchtigkeit voll und der Ballon geht früher als geplant wenige Kilometer vor den Grenzanlagen nieder. Hektisch tritt die Familie den Rückzug an und kehrt in das Heim zurück, das sie glaubte, für immer verlassen zu haben. Aber natürlich fällt der Fluchtversuch auf. Die Staatssicherheit übernimmt unter Leitung von Oberstleutnant Seidel (Thomas Kretschmann) die Ermittlungen.
Die Strelzyks wissen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie auffliegen und wegen versuchter Republikflucht ins Gefängnis kommen. Es bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als einen weiteren Fluchtversuch zu wagen. Die Bemühungen, bei der amerikanischen Botschaft in Ostberlin Hilfe zu finden, bleiben fruchtlos und so starten sie ein zweites Ballon-Projekt. Herbig baut seinen Flucht-Thriller mit einer klassischen PingPong-Dramaturgie auf. Mit zunehmender Dynamik schneidet er zwischen beiden Familien, die den Taftstoff für den Ballon in der ganzen Republik zusammenkaufen müssen und in Nachtschichten im Keller vernähen, sowie den StasiHäschern hin und her, die den Fluchtwilligen immer dichter auf die Fersen kommen. Das produziert eine solide Oberflächenspannung, weil Herbig sich mit den Genregesetzen auskennt und keine Scheu vor großen Kinobildern hat.
Aber bei allem Thriller-Tamtam, dramatischen Schnittgewittern und omnipräsenter Musikuntermalung herrscht in „Ballon“eine riesengroße, innere Leere. Die Charakterisierung der Figuren bleibt flüchtig. Ihre Motivationen für die Flucht und die damit verbunden Konflikte werden nur oberflächlich behandelt. Wie ihr Leben in der DDR, dem sie mit einem lebensgefährlichen Vorhaben entfliehen wollen, aussieht, wird jenseits üblicher Stereotypen Jugendweihe, Stasi-Nachbar und graue Fassaden nicht wirklich gezeigt. Ausstattung und Kostüm haben zwar fleißig Zeithistorisches zusammengetragen, aber dem Film fehlt jegliches Gespür für die Nuancen des alltäglichen DDR-Lebens.
» Ein Interview mit Schauspieler Thomas Kretschmann lesen Sie übermorgen im Wochenend-Journal. Ballon (2 Std. 5 Min.), Thriller/Drama, Deutschland 2018 Regie Michael „Bully“Herbig
Mit Friedrich Mücke, David Kross, Karoline Schuch, Thomas Kretschmann, Alicia von Rittberg Wertung ★★✩✩✩