Die Schwäche der Türkei ist Reinhard Grindels großes Glück
Deutschland ist viel geeigneter, die EM auszutragen als der Konkurrent. Dass bei der Vergabe heute trotzdem gezittert werden muss, liegt am DFB-Präsidenten
Das Verhalten ist genauso richtig wie vorhersehbar. Nach dieser krachenden Pleite wird jedes ach so kleine Detail analysiert. Seitdem die deutsche Nationalmannschaft vorzeitig aus Russland abgereist ist, versteht sich der Deutsche Fußball-Bund (DFB) als Vereinigung der Aufklärer. Präsident Reinhard Grindel will beispielsweise wissen, wann und warum den Spielern in ihrem Domizil in der Einöde Moskaus das Internet abgedreht wurde. Hatten sich die besten Kicker des Landes doch tatsächlich nächtens mit ihren Spielkonsolen beschäftigt.
Auf höchster Ebene wird diskutiert, ob sich der arg selbstbewusste Markenname „Die Mannschaft“als Synonym für das Nationalteam noch halten lässt. Wann hat man in der Jugendarbeit nachgelassen? Hat sich die Mannschaft zu weit von den Fans entfernt? Und: Gibt es vielleicht sogar ein Rassismusproblem innerhalb des DFB? Der bis dahin nicht für allzu tief greifende Einlassungen bekannte Mesut Özil hatte Derartiges angedeutet. Diesen Fragen nachzuspüren, ist verständlich und notwendig. Mehr noch als dem Deutschen FußballBund dienen die Diskussionen aber dem türkischen Verband.
Der hat sich, wie auch der DFB, als Veranstalter für die Europameisterschaft 2024 beworben. Heute fällt der europäische Fußballverband Uefa die Entscheidung, wer den Zuschlag erhält. Ganz objektiv spricht wenig bis gar nichts für die Türkei.
Ein Autokrat regiert das Land. Oppositionelle und Journalisten werden unter fadenscheinigen Gründen inhaftiert. Wirtschaftlich zählt das vor kurzem noch florierende Land derzeit zu den großen Verlierern und steht vor einer ungewissen Zukunft. Erfahrung im Organisieren von Großereignissen fehlt komplett und auch die Infrastruktur ist mit jener hierzulande nicht zu vergleichen.
Deutschlands Fußball aber wird von dem schwächsten Präsidenten der vergangenen Jahrzehnte regiert. Das ist die einzige Chance der Türkei. Es ist eine Mini-Chance. Denn so wirr sich Grindel auch verhält, er kann nicht über die Stärken der deutschen Bewerbung hinwegtäuschen.
Es existiert schlicht kein rassistischer Flügel innerhalb des DFB. Die Liebe der Fans zur Nationalmannschaft mag abgekühlt sein, sie kann aber schnell wieder heiß und innig zutage treten. Nach dem peinlichen WM-Aus wurde der deutsche Fußball auf sämtlichen Ebenen schlechter gemacht, als er ist. Noch immer leisten ehrenamtliche und hauptberufliche Trainer in den Jugendmannschaften ausgezeichnete Arbeit. Noch immer sind sowohl die Junioren-Auswahlteams wie auch die Nationalmannschaft in der Lage, jedes Turnier zu gewinnen.
Und noch immer verfolgen Millionen gespannt, wie sich das Team präsentiert. Dass Joachim Löw und Oliver Bierhoff angekündigt haben, sich wieder verstärkt den Fans zuzuwenden, ist überfällig. Es ist enttäuschend, dass es dafür eine Schmach wie jene in Russland brauchte. Es ist aber trotzdem die richtige Schlussfolgerung. Die Begeisterung wird wieder mit dem Erfolg kommen. Das war auch das letzte Mal so, als die Deutschen ein großes Turnier organisieren durften. Im Jahr 2000 wurde dem DFB die WM 2006 zugesprochen. Die Spiele der Nationalmannschaft unter Bundestrainer Erich Ribbeck wurden nicht begeistert verfolgt.
Wenige Monate bevor die WM zum Sommermärchen werden sollte, wollten parlamentarische Hinterbänkler Jürgen Klinsmann vor den Sportausschuss zitieren. Sie fürchteten, der Coach könne die Mannschaft ins Verderben führen. Deutschland war nicht immer freudetrunkenes „Schland“. Deutschland aber ist immer ein guter Gastgeber – und wird es auch 2024 sein.
Sollten sich die Herren der Uefa aber doch für die Türkei entscheiden, ist Grindel als Präsident nicht mehr tragbar. Verantwortlich dafür, ein Turnier in ein Land zu vergeben, in dem die Menschenrechte missachtet werden, wären aber andere.