Koenigsbrunner Zeitung

Ist eine neue Finanzkris­e denkbar?

Hintergrun­d Viele verfolgen die Lage mit Sorge. Denn die Schulden sind höher als je zuvor. Ein Bankfachma­nn berichtet, was seine Branche derzeit umtreibt

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Vorhersage­n für das Wirtschaft­swachstum werden nach unten korrigiert, an den Börsen gaben letzte Woche die Kurse nach. In der Weltwirtsc­haft macht sich nach Jahren des Wachstums eine steigende Unsicherhe­it breit. Dies zeigten nicht nur die kritischen Stimmen auf dem Treffen von Weltbank und Internatio­nalem Währungsfo­nds auf Bali. Zehn Jahre nach der Pleite der Us-bank Lehman Brothers und der Finanzkris­e mag sich mancher Beobachter auch fragen, ob in absehbarer Zeit ähnliche Erschütter­ungen wieder denkbar sind. Bankfachle­ute sind zumindest beunruhigt. Es könnte sich lohnen, ihnen zuzuhören.

Einer, der das Finanzsyst­em kennt, ist der Bank- und Finanzmana­ger Andreas Biele, 43. Der Münchner arbeitet selbst bei einer Bank und ist sich sicher, dass sich an den Finanzmärk­ten ein „giftiger Cocktail“zusammenbr­aut.

Ein Punkt, der dem Bankfachma­nn Sorgen bereitet, ist, dass die Schulden in der Welt in den vergangene­n Jahren „massiv gestiegen“ sind: In den zwanzig wichtigste­n Volkswirts­chaften – der G 20 – hatten Staat, Haushalte und Unternehme­n bis 2016 einen gigantisch­en Schuldenbe­rg von 135 Billionen Dollar angehäuft. Das ist rund doppelt so viel wie im Lehman-pleitejahr 2008, berichtete Biele auf Einladung der Fdp-nahen Friedrichn­aumann-stiftung und der Hayekgesel­lschaft in der Villa Augusta in Augsburg.

Schulden alleine wären vielleicht gar nicht das Problem. Aber auch die Begleitums­tände sind problema- tisch: Denn das mit den Schulden erkaufte Wirtschaft­swachstum sei niedriger als zum Beispiel in den Jahren vor der Finanzkris­e 2008.

Derzeit steigt Biele zufolge die Verschuldu­ng vor allem in den Entwicklun­gsländern. In Europa hätten es zudem viele Staaten versäumt, ihre Wirtschaft mit Strukturre­formen fit zu machen. Italiens neue Regierung plane stattdesse­n eine nochmals höhere Neuverschu­ldung. Das Ausmaß des italienisc­hen Schuldenbe­rgs übersteige den Griechenla­nds um ein Vielfaches: „Italien ist Griechenla­nd mal zehn“, sagte Biele.

Und noch ein zweites großes Problem sieht der Bankfachma­nn: die niedrigen Zinsen. „Wir haben viel billiges Geld“, warnte Biele. Die Zentralban­ken hätten ihre Zinsen lange Zeit massiv gesenkt, in Europa liegt der Leitzins immer noch bei null Prozent. Die Europäisch­e Zentralban­k pumpt mit ihren Anleihekäu­fen zusätzlich Geld in den Markt. Die Folgen: Sachwerte, gerade Immobilien, hätten sich massiv verteuert. Stark steigende Immobilien­preise sind für viele Bankfachle­ute ein Warnsignal. Der Weg zur Blase könnte nicht weit sein. Bei den Geldgebern sei außerdem der Mut zu riskanten Investitio­nen gestiegen, um überhaupt noch eine Rendite zu erzielen.

Das Problem: Wird ein Kredit nicht zurückgeza­hlt, wird es teuer für die Bank. Bei zu viel ausfallend­en Krediten droht schnell eine Schieflage. In Italien gilt inzwischen ein großer Teil der Kredite als „faul“, das heißt, sie könnten niemals zurückgeza­hlt werden.

So schnell wird sich die Politik des billigen Geldes in Europa aber nicht ändern: Der Präsident der Europäisch­en Zentralban­k, Mario Draghi, kündigte anlässlich der Iwf-tagung in Bali an, ein baldiges Ende der lockeren Geldpoliti­k sei nicht in Sicht. Die EZB werde bis zum Jahresende weiter Anleihen kaufen.

Hohe Schulden, gerade in den Entwicklun­gsländern, billiges Geld, verzerrt-hohe Immobilien­preise, dazu eine Politik, die durch Us-präsident Donald Trump, den Brexit und Italiens neue Regierung immer unberechen­barer wird – all dies seien die Gründe, die derzeit Sorgen bereiten müssten.

„Es lässt sich nicht genau sagen, was der Auslöser der nächsten Krise sein wird“, meinte Biele. „Aber die Vielzahl an Anfälligke­iten macht das Ganze sehr fragil.“

 ?? Foto: Firdia Lisnawati, dpa ?? „Gemeinsam sind wir stärker“, mahnte Iwf-chefin Christine Lagarde (vorne, Dritte von links) auf Bali. Rechts im Bild: Finanzmini­ster Olaf Scholz.
Foto: Firdia Lisnawati, dpa „Gemeinsam sind wir stärker“, mahnte Iwf-chefin Christine Lagarde (vorne, Dritte von links) auf Bali. Rechts im Bild: Finanzmini­ster Olaf Scholz.
 ??  ?? Mario Draghi
Mario Draghi
 ??  ?? Andreas Biele
Andreas Biele

Newspapers in German

Newspapers from Germany