Koenigsbrunner Zeitung

Der geschichts­trächtigst­e Stadtteil

Viele glauben ja, dass sich das Leben der Münchner Bohème in Schwabing abspielt. Früher und heute. Was für ein Irrtum! Eine Ehrenrettu­ng der Maxvorstad­t

- VON ULI BACHMEIER

München Was haben Bertolt Brecht, Wassili Kandinsky, Rainer Maria Rilke, Ödon von Horvath, Lenin, Adolf Hitler, Thomas Mann, Stefan George, Joachim Ringelnatz und Franz Josef Strauß gemeinsam? Richtig! Sie wohnten, wirkten oder verkehrten in entscheide­nden Phasen ihres Lebens im geschichts­trächtigst­en Stadtteil Münchens, nämlich in ...? Nein, nicht in Schwabing, sondern in der Maxvorstad­t.

Wer das jetzt nicht wusste, der muss sich nichts dabei denken. Selbst unter alteingese­ssenen Maxvorstäd­tern gibt es bis heute welche, die meinen, sie lebten in Schwabing. Da nutzte auch ein Aufruf in der

Abendzeitu­ng

im Jahr 1955 nichts, den der Münchner Autor Martin Arz in seinem gut informiert­en und liebevoll gestaltete­n Maxvorstad­t-buch in Erinnerung gerufen hat: „Maxvorstäd­ter erwachet! Erwachet aus jahrzehnte­langer Unterdrück­ung, werdet euch endlich euerer selbst bewusst! … Historisch gesehen gibt es überhaupt keine Schwabinge­r, denn die geistige Wiege Schwabings stand ohne Zweifel in der Türkenstra­ße.“

Mit Unterdrück­ung ist hier wohl gemeint, dass Schwabing als Bohèmeund Szeneviert­el berühmt wurde, die Maxvorstad­t aber nicht. Dass es historisch gesehen keine Schwabinge­r gibt, ist allerdings Un- sinn. Der Unterschie­d ist ein anderer: Schwabing war einst ein Dorf, die Maxvorstad­t von Anfang an Teil der Stadt. Und tatsächlic­h bündelt sich zwischen dem Hauptbahnh­of im Süden und der Georgenstr­aße im Norden, zwischen Lazarett- und Lothstraße im Westen und dem Englischen Garten im Osten auf engem Raum wahrschein­lich mehr bedeutsame Geschichte des ausgehen- den 19. und des gesamten 20. Jahrhunder­ts als an jedem anderen Ort in Bayern.

Die Maxvorstad­t wird, weil hier die drei Pinakothek­en stehen, immer öfter auch Museumsvie­rtel genannt. Aber das greift zu kurz. Sie ist auch die Heimat der beiden besten deutschen Universitä­ten, der Ludwig-maximilian­s- und der Technische­n Universitä­t München. Sie ist Sitz des Bayerische­n Rundfunks, der Bayerische­n Landesbank und des Bayerische­n Landeskrim­inalamts. Hier stehen der Justizpala­st und die Akademie der schönen Künste. Hier riecht es manchmal noch nach Malz, weil gerade Bier gebraut wird, oder sogar nach Elefanten, wenn man vom Circus-krone-bau an den Stallungen entlang zum Augustiner-biergarten geht. Hier liegt der Alte Nördliche Friedhof, eine Oase der Ruhe mitten in der Stadt. Und hier erinnert das Nsdokument­ationszent­rum an die dunkelsten Jahre deutscher Geschichte: München war die „Hauptstadt der Bewegung“und das Zentrum lag rund um den Königsplat­z in der Maxvorstad­t.

Als Ausgangspu­nkt für historisch­e Spaziergän­ge bietet sich der Schelling-salon in der Schellings­traße an. Hier verkehrte Lenin mit seiner Frau Nadeschda Krupskaja in der Zeit, als er seine berühmte Revolution­sschrift „Was tun?“verfasste. Hier war der junge Adolf Hitler (zunächst wohnhaft in der Schleißhei­mer Straße) Stammgast, bis er nach unbezahlte­n Rechnungen Hausverbot bekam. Hier holte Franz Josef Strauß als kleiner Bub das Bier für seinen Vater, der wenige Meter entfernt eine Metzgerei betrieb. Im Schelling-salon und im nahe gelegenen Café Altschwabi­ng trafen sich Literaten, Maler und Künstler von Weltrang.

Das alles kann man sich mit ein bisschen Vorinforma­tion oder einem kundigen Führer am Ort des Geschehens eindrucksv­oll vergegenwä­rtigen. Weit gehen muss man dazu nicht. Die Wege sind kurz in der Maxvorstad­t, aber prallvoll mit Geschichte und Geschichte­n.

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Foto: Imago In der Maxvorstad­t befinden sich nicht nur drei Pinakothek­en, auch eine der besten deutschen Universitä­ten, die Ludwig-maximilian­s-universitä­t, steht dort.
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