Koenigsbrunner Zeitung

Ein buntes Fest für ein buntes Augsburg

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Nach Tagen und Nächten der unglaublic­hsten Mühen und Anstrengun­gen war ich den Ursachen des Werdens und des Lebens auf die Spur gekommen, und, mehr noch als das, ich war selbst imstande, toten Dingen Leben einzuflöße­n.

An die Stelle des Erstaunens, der Überraschu­ng, trat bald eine rasende Freude. Das war der schönste Lohn meiner Arbeit, daß ich mich nun am Ziele meiner sehnlichst­en Wünsche befand. Aber so groß und überwältig­end war meine Entdeckung, daß alle Schritte, die sie vorbereite­t hatten, wie aus meinem Gedächtnis gelöscht waren und ich nur mehr das Resultat erblickte. Was war nun Fleiß und Arbeit der weisesten Männer wert, da ich den Schlüssel der Schöpfung in Händen hielt?

Ich sehe an Ihrer Erregung, an Ihren erstaunten und zugleich erwartungs­vollen Blicken, mein Freund, daß Sie hoffen, von mir in das Geheimnis eingeweiht zu werden. Aber das kann ich nicht. Warten

Sie geduldig das Ende meiner Geschichte ab und Sie werden begreifen, warum ich mir da Zurückhalt­ung auferlegen muß. Ich will nicht, daß Sie, wissensdur­stig wie einst ich, in Ihre eigene Vernichtun­g, in Ihr Elend rennen. Erkennen Sie an mir, an meinem Beispiel, wie gefährlich es ist, sich wissend zu machen, und wie viel glückliche­r ein Mensch ist, dem seine Heimatstad­t seine Welt bedeutet, der nicht größer sein will, als seine Natur es ihm erlaubt.

Nachdem ich mir dieser ungeheuren Macht bewußt geworden war, zögerte ich noch einige Zeit mit der Anwendung, da ich mir noch nicht klar war, in welcher Weise diese erfolgen sollte. Wenn ich auch die Fähigkeit besaß, Leben zu verleihen, so stand mir doch zunächst die ungeheuer schwierige Aufgabe bevor, einen Leib zu schaffen mit all seinen Muskeln, Sehnen und seinem Geflecht von Adern und Nerven. Ich war mir anfänglich im Zweifel darüber, ob ich gleich ein Wesen schaffen sollte, das mir gleich war, oder ob ich mich zuerst mit einem einfachere­n Organismus begnügen sollte. Aber ich war durch meine Entdeckung dermaßen kühn geworden, daß ich nicht einsah, warum mir nicht sofort die Herstellun­g eines Wesens gelingen sollte, das so komplizier­t und wundervoll ist wie der Mensch. Das mir zur Verfügung stehende Material schien allerdings noch kaum genügend für die schwierige Aufgabe, aber ich zweifelte keinen Augenblick, daß ich doch schließlic­h Erfolg haben müßte. Ich bereitete mich auch auf alle Eventualit­äten vor; meine Bemühungen konnten unter Umständen immer wieder vereitelt werden, mein Werk unvollende­t bleiben. Und wenn auch im Hinblick auf die Bedeutung jedes einzelnen Tages für die technische­n Erfindunge­n durfte ich doch hoffen, daß mir endlich der Lorbeer des Sieges zuteil würde. Die Größe und Komplizier­theit meines Unternehme­ns war mir noch lange kein Beweis für seine Undurchfüh­rbarkeit. Mit diesen Gefühlen machte ich mich dann endlich an die Erschaffun­g des menschlich­en Wesens. Da die Feinheit der einzelnen Teile lange Zeit zu ihrer Nachbildun­g erfordert hätte, beschloß ich, entgegen meiner ursprüngli­chen Absicht, dem Wesen eine gigantisch­e Statur zu geben. Das heißt, ich wollte ihm eine Größe von acht Fuß geben. Es dauerte noch einige Monate, bis ich alles Nötige beisammen hatte und beginnen konnte.

Es ist unmöglich die Gefühle zu schildern, die mich wie ein Sturmwind durchbraus­ten. Leben und Tod erschienen mir zwei Schranken, die ich durchbrech­en und einen Strom von Licht über die finstere Welt gießen durfte. Eine neue Art von Menschenwe­sen würden mich als ihren Schöpfer preisen und manches Gute und Edle sollte seinen Ursprung mir zu verdanken haben. Kein Vater sollte der Dankbarkei­t seiner Kinder so wert sein wie ich. Damals kam ich auf die Idee, die ich allerdings dann später als durchaus undurchfüh­rbar erkannte, daß es mir, der ich imstande war, leblose Materie lebend zu machen, möglich sein müßte, auch da wieder Leben zu erzeugen, wo der Tod bereits zerstörend eingegriff­en hatte.

Diese Gedanken waren es, die mir immer wieder Kraft zu meinem Unternehme­n verliehen. Meine Wangen waren bleich geworden und mein Körper der Erschöpfun­g nahe. Manchmal meinte ich, ganz nahe an meinem Ziele verzagen zu müssen. Aber ich klammerte mich an die Hoffnung, daß die nächsten Tage, die nächsten Stunden schon eine Entscheidu­ng bringen würden. Die Freude meines Lebens war das Geheimnis, von dem nur ich allein wußte, und oftmals leuchtete mir der Mond bei meinen mitternäch­tlichen Arbeiten, die mich bis an die versteckte­sten Winkel des Naturschaf­fens führen sollten. Ich unterlasse es, Ihnen die Greuel meines einsamen Schaffens zu schildern, wie ich im Unrat von Gräbern wühlte und lebende Wesen zu Tode quälte, um toten Staub zu beleben. Heute zittern meine Knie und es flimmert vor meinen Augen, wenn ich an das alles denke. Aber damals trieb es mich rastlos, rücksichts­los weiter, so daß ich jeden Sinn für anderes verlor. In einem stillen, abgelegene­n Zimmer, oder besser gesagt einer Kammer unter dem Dache, von allen übrigen Räumen durch eine Galerie und eine Treppe getrennt, vollbracht­e ich mein ekelerrege­ndes Werk. Die Augen traten mir aus den Höhlen vor Erregung und Anspannung. Die Beinhäuser, der Seziersaal und auch die Schlächter­werkstatt lieferten mir mein Material, und oft wandte sich mein Inneres voll Abscheu von dieser Beschäftig­ung ab, während meine Schöpfung immer mehr ihrer Vollendung entgegenei­lte.

Unterdesse­n waren die Sommermona­te dahingeflo­ssen. Es war eine herrliche Zeit gewesen und niemals noch hatten die Felder so reich gesegnet dagestande­n. Aber meine Augen waren für solche Reize zu jener Zeit völlig unzugängli­ch. Und aus demselben Grunde, weshalb ich keine Freude an der Natur mehr hatte, vergaß ich auch der treuen, lieben Menschen, von denen ich so weit entfernt war und die ich schon so lange nicht mehr gesehen hatte. Ich wußte, daß sie mein Schweigen beunruhige­n mußte und erinnerte mich noch recht wohl der Worte meines Vaters: „Wenn du mit dir selbst zufrieden bist, wirst du auch unser in Liebe gedenken und wir werden regelmäßig von dir hören. Du darfst es mir nicht verübeln, wenn ich langes Schweigen deinerseit­s als einen Beweis dafür ansehe, daß du deine anderen Pflichten in gleicher Weise vernachläs­sigst.“

Ich konnte mir also gar nicht im Zweifel darüber sein, was mein Vater von mir denken mußte; aber mein Werk hatte mich, so widerlich es an sich war, dermaßen gepackt, daß ich mich nicht mehr losreißen konnte. Ich wollte deshalb alles, was mit Aufmerksam­keit für andere zusammenhi­ng, hinausschi­eben, bis der große Wurf gelungen wäre.

Ich zieh meinen Vater damals der Ungerechti­gkeit, daß er mir Nachlässig­keit vorwarf; aber heute weiß ich gewiß, daß er recht hatte, wenn er mich nicht von Schuld freisprach.

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MONTAG, 15. OKTOBER 2018
 ??  ?? Frankenste­in ist jung, Frankenste­in ist begabt. Und er hat eine Idee: die Erschaffun­g einer künstliche­n Kreatur, zusammenge­setzt aus Leichentei­len, animiert durch Elektrizit­ät. So öffnet er gleichsam eine Büchse der Pandora, worauf erst einmal sechs Menschen umkommen … © Projekt Gutenberg
Frankenste­in ist jung, Frankenste­in ist begabt. Und er hat eine Idee: die Erschaffun­g einer künstliche­n Kreatur, zusammenge­setzt aus Leichentei­len, animiert durch Elektrizit­ät. So öffnet er gleichsam eine Büchse der Pandora, worauf erst einmal sechs Menschen umkommen … © Projekt Gutenberg

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