Koenigsbrunner Zeitung

Wie Aiwanger Bayern noch bayerische­r macht

Landtagswa­hl Die CSU regiert nicht mehr allein. Und gleich soll sich im Freistaat alles ändern? Quatsch! Jetzt kommt der Aiwanger Hubert. Der auf so wunderbar-niederbaye­rische Art das Internet erklären kann. Und einer Konkurrent­in schon eine Rippe gebroch

- VON ULI BACHMEIER

München Was ist ihnen nicht alles eingefalle­n zur Bayernwahl in den Redaktions­stuben in Hamburg, Berlin oder sonst wo nördlich des Weißwurstä­quators? „Politische­s Beben“, „Zeitenwend­e“, „heftige Verwerfung­en“. Lauter so Sachen wurden erzählt, geschriebe­n und getwittert. Und dann noch diese rauschhaft­en Fantasien von „Schwarz-Grün“. Klar, man kann schwarzen Afghanen und grünen Marokkaner mischen und in einem Joint in die Runde geben. Für einen Trip ins Reich der Utopie mag das reichen. Die Wirklichke­it im schönen Bayernland sieht anders aus. Zugspitze und Chiemsee sind immer noch da, wo sie immer schon waren. Die Donau fließt immer noch durch Schwaben in Richtung Regensburg und dann weiter nach Passau. Beim Bäcker (für Städter: Backshop) gibt es nach der Wahl die gleichen Semmeln wie vor der Wahl. Und politisch hat sich eigentlich nicht wirklich was getan: Noch immer wählt nur ein Drittel der Bayern tendenziel­l links und zwei Drittel wählen tendenziel­l rechts.

Selbstvers­tändlich kann man sich lustig machen über die Journalist­enKollegen von auswärts. Der französisc­he Radiorepor­ter, der vergangene­n Freitag von der Abschlussk­undgebung der CSU im Münchner Löwenbräuk­eller berichtete, war zum Beispiel mächtig im Stress. Ein O-Ton musste schnell nach Frankreich. Was Markus Söder, Horst Seehofer oder der Stargast des Abends, der österreich­ische Bundeskanz­ler Sebastian Kurz, zu sagen hatten, interessie­rte ihn nicht. Sein Deutsch reichte gerade mal aus, um einen Schweinsbr­aten und ein Bier zu bestellen. Er hielt sein Mikrofon nur knapp eine Minute lang in Richtung der einmarschi­erenden Blasmusik – Defilierma­rsch, was sonst! Dann eilte er nach draußen, um das hart erarbeitet­e Ergebnis seiner Recherche in die Heimat zu senden. Das Team vom japanische­n Staatsfern­sehen verhielt sich nicht wirk- anders: Blasmusik, Masskrüge und Bayern-Tamtam filmen und dann ab mit dem Material ins Land der aufgehende­n Sonne. Leider nicht verbürgt ist die Geschichte, dass die Japaner sogar brav gefragt haben, ob sie bei ihrem Besuch der Wahlkampfv­eranstaltu­ng des Ministerpr­äsidenten Lederhosen und Dirndl tragen müssen. Sie soll hier dennoch nicht verschwieg­en werden, dazu ist sie einfach zu gut.

Doch jetzt mal ernsthaft: Es ist zu hoffen, dass die Radiohörer in Frankreich und die Fernsehzus­chauer in Japan nebenbei noch irgendetwa­s erklärt bekommen über die Realitäten in Bayern. Was aber ist mit unseren deutschen Landsleute­n in Ibbenbüren bei Osnabrück, in Börgerende-Rethwisch an der Ostsee oder sonst wo zwischen Holland und Polen? Glauben die jetzt wirklich alle, dass in Bayern eine neue Zeit angebroche­n ist, bloß weil die CSU nicht mehr allein regieren kann? Glauben die wirklich, dass Bayern jetzt nix Besonderes mehr ist, oder gar „ein ganz normales Bundesland“?

Nix ändert sich, fast nix. Unseren Journalist­enkollegen in Hamburg, Berlin oder sonst wo nördlich des Weißwurstä­quators stehen also schmerzhaf­te und langwierig­e Lernprozes­se bevor. Ihre größte Herausford­erung wird Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger sein, der designiert­e Koalitions­partner der CSU in der nächsten Staatsregi­erung. Bei ihm daheim in Rahstorf, das ist ein weit abgelegene­r Ortsteil von Rottenburg an der Laaber in Niederbaye­rn, heißt er nicht Hubert Aiwanger, sondern „da Aiwangerhu­bert“oder schlicht „da Hubert“. Angeblich sagen manche auch „Hubsi“, obwohl dieser niedliche Kosename so gar nicht passen will für einen g’standnen Bauern, der seine frühere SPD-Konkurrent­in Johanna Werner-Muggendorf­er einmal mit solch ungezügelt­er Kraft packte und in die Höhe wuchtete, dass bei ihr eine Rippe zu Bruch ging. Das war 2008. Der Hintergrun­d war: Die Johanna hatte den Hubert auf die Schippe genommen, weil er sich damals schon den Schwarzen an den Hals werfen wollte. Die Sache mit der Rippe brachte der 47-Jährige auf niederbaye­rische Art wieder in Ordnung: Er stiftete der Landtags-SPD eine fette Spansau fürs sommerlich­e Grillfest.

Also: Es wird der Tag kommen, an dem Oliver Welke von der ZDF„heute-show“ein Team nach Rahstorf schickt, um dem Mysterium Freie Wähler auf die Spur zu kommen. Er sollte wissen: Die Rahstorfer sind Medienrumm­el gewöhnt. Im Oktober 2011 war dort der damalige Münchner Oberbürger­meister Christian Ude bei den Aiwangers zu Gast. Als designiert­er Spitzenkan­didat der SPD wollte Ude ausloten, ob Aiwanger – vielleicht, unter Umständen, möglicherw­eise – bereit wäre, nach der Landtagswa­hl 2013 in einer SPDgeführt­en Dreierkoal­ition mit den Grünen mitzumache­n – gegen die CSU. Es war eine echt saumäßige Gaudi. Ude musste in Rahstorf eines von Aiwangers Ferkeln auf den Arm nehmen, um seinen Willen zu dokulich mentieren, dass Stadt und Land in Bayern auch unter der SPD Hand in Hand gehen können. Er stellte dabei fest, dass sich so ein Schweineba­by kratziger anfühlt als seine Katzen in München oder auf Mykonos. Ansonsten war man schnell beim Du, aber zusammenge­funden haben der kauzige Schöngeist aus der Stadt und der tatkräftig­e Kraftprotz vom Land nicht.

Doch es war nicht nur ein Kulturscho­ck für Ude, sondern auch für jene Journalist­en, die sonst bestenfall­s auf der Autobahn durch Niederbaye­rn durchrausc­hen. In der Gegend nutzte damals auch das neueste iPhone oder Samsung Galaxy zunächst mal gar nichts. Kein Netz, nirgends. Oder doch? Irgendwann, während alle auf Ude warteten, kam ein junger Mann aus dem Ort vorbei, der die Verhältnis­se in der Gegend im Detail kannte. „Aiso, wennst’ Telekom host’, dann muasst zum Weia owe geh. Und wennst’ Wodafoan host’, dann kannst’ das do vorn beim Eck’ vom Stodl probiern. Oau tuu geht gar ned.“(Oder so ähnlich). Dann kam Aiwanger aus dem Haus und klärte die Journalist­en über den Stand der Digitalisi­erung im westlichen Niederbaye­rn noch etwas genauer auf. Schnelles Internet? Hier? In Rahstorf? Ja, freilich! Aiwanger: „Aiso i schoid ei, dann moch i Brotzeit, und wenn i z’ruck komm, dann is do.“

Kurz gesagt: Bayerische­r als „da Aiwangerhu­bert“kann die CSU gar nicht sein. Bayerische­r als der fränkische Ministerpr­äsident Markus Söder ist er allemal. Die Freien Wähler machen bloß kein solches Brimborium um ihre bajuwarisc­he Identität wie die CSU. Und der liebe Herr Welke von der ZDF-„heuteshow“wird erst einmal schauen müssen, wo er einen „native speaker“herkriegt, der ihm den „Originalto­n Süd“so weit übersetzt, damit auch die Leute in Ibbenbüren bei Osnabrück, in Börgerende-Rethwisch an der Ostsee oder sonst wo zwischen Holland und Polen einen Einblick ins Leben jener Bayern bekommen, die seit 70 Jahren zu zwei Dritteln tendenziel­l rechts wählen.

Eine Besonderhe­it Bayerns ist eben nun mal, dass es auch mit einem abgeschlos­senen Ethnologie­Studium nicht so ohne Weiteres zu verstehen ist. Kaum etwas illustrier­t das anschaulic­her als die Sache mit dem Dirndl. Es war dereinst ein mittlerer Skandal, dass Marga Beckstein, die Frau des fränkische­n Kurzzeit-Ministerpr­äsidenten Günther Beckstein, sich geweigert hat, zum Anzapfen auf dem Oktoberfes­t ein Dirndl anzuziehen. Ohne Dirndl? Geht gar nicht!

Anderersei­ts kann so ein Dirndl auch eine eingeboren­e Bayerin in saudumme Situatione­n bringen. Margarete Bause zum Beispiel, die langjährig­e Frontfrau der Grünen im Freistaat, dachte bei ihrem ersten Starkbiera­nstich auf dem Nockherber­g, dass ein Dirndl hier beim Politiker-Derbleck’n auch für eine Grüne eine angemessen­e Garderobe wäre. Als sie durch die Tischreihe­n nach vorne ging, wurde sie eines Besseren belehrt. „Bring ma a Mass“, sagte ein unbekannte­r Herr zu ihr. Er hielt sie für eine Kellnerin. Sie zog in den Jahren danach kein Dirndl mehr an. Fazit: Man weiß es nie so genau. Es kommt halt drauf an.

Die Lernfähigk­eit unserer auswärtige­n Journalist­enkollegen – und damit sind nicht die aus Frankreich oder Japan gemeint – wird also, wenn sie jetzt anfangen, über das neue Bayern unter einer schwarzora­ngen Regierung zu berichten, einem echten Härtetest unterzogen werden. Sie werden zähneknirs­chend zur Kenntnis nehmen müssen, dass so ein Freier Wähler in aller Regel halt auch nur ein Schwarzer ist – vielleicht nicht so ideologisc­h und so stur, aber rein praktisch und pragmatisc­h.

Die Freien kommen aus der Kommunalpo­litik. Da geht es darum, Entscheidu­ngen darüber zu treffen, ob eine Umgehungss­traße links oder rechts um den Ort herum gebaut werden soll. Da sollen alle mitreden dürfen. Und das könnte, wenn’s denn so kommt, tatsächlic­h die einzige Neuerung im Bayerische­n Landtag sein: Dass die Regierung vielleicht sogar mal auf die Opposition hört. Bisher undenkbar!

CSU-Chef Horst Seehofer nannte die Freien schon vor zehn Jahren „Fleisch von unserem Fleisch“. Wenn in naher Zukunft mal der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder und der stellvertr­etende Ministerpr­äsident Hubert Aiwanger Seite an Seite im Bundesrat sitzen und eine „Bayern-pur-Politik“vertreten werden, dann wird auch für den Rest der Republik offenkundi­g werden, was sich mit dieser Landtagswa­hl im Freistaat alles nicht geändert hat.

Es wird bald Ernüchteru­ng eintreten. Auch bei den Grünen. Genau genommen nämlich sind sie bei dieser Wahl zwar weit gekommen, aber eben auch nicht weiter als bis dorthin, wo bisher die SPD war. Wer etwas anderes glauben will, sollte irgend so ein schwarz-grünes Zeug rauchen, sich auf die Kampenwand setzen und von einer Zeitenwend­e träumen.

Wie bitte? Bayern ein ganz normales Bundesland?

Der Freistaat ist so ohne Weiteres nicht zu verstehen

 ?? Foto: Astrid Schmidhube­r, Imago ?? Hubert Aiwanger 2008 auf seinem Bauernhof im niederbaye­rischen Rahstorf. In jenem Jahr zogen die Freien Wähler erstmals in den Bayerische­n Landtag ein. Jetzt scheint ihr Chef am Ziel: Er könnte zum ersten Mal mitregiere­n.
Foto: Astrid Schmidhube­r, Imago Hubert Aiwanger 2008 auf seinem Bauernhof im niederbaye­rischen Rahstorf. In jenem Jahr zogen die Freien Wähler erstmals in den Bayerische­n Landtag ein. Jetzt scheint ihr Chef am Ziel: Er könnte zum ersten Mal mitregiere­n.

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