Können die Freien Wähler Wirtschaft?
Hintergrund Autoindustrie oder Luftfahrt haben Bayerns Aufschwung gefördert. Genau in den Bereichen bremst aber die Partei von Hubert Aiwanger
Augsburg Viel deutet in Bayern auf eine Koalition zwischen CSU und Freien Wählern hin. Unternehmen und Verbände dürfte derzeit deshalb die Frage umtreiben, was dies für die Wirtschaft im Freistaat bedeutet. Viele Wirtschaftsvertreter sehen in der CSU ihren natürlichen Verbündeten. Wie aber ist es um die Wirtschaftskompetenz der Freien Wähler bestellt? Hört man sich um, gibt es einige Skepsis. „Wirtschaftspolitik ist nicht die Stärke der Partei“, sagt zum Beispiel der Parteienfachmann Professor Heinrich Oberreuter. Das gilt insbesondere für den Bereich der Industrie.
Jahrelang ging es für Bayern bergauf. Jetzt, da die Konjunktur einen Gang herunterschaltet, kommt es darauf an, die richtigen politischen Weichen in der Technologieförderung, der Verkehrs- oder Energiepolitik zu stellen. Gerade bei Kernanliegen der Industrie sind die Freien Wähler im Wahlkampf aber auf die Bremse getreten.
Erstes Beispiel: Seit Jahren kämpft die Industrie für eine dritte Startbahn in München. Der Flughafen München befürchtet ohne die Startbahn Engpässe und Nachteile im Wettbewerb. „Wir sind ein großer Befürworter der dritten Startbahn“, sagt auch Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft. Der Ausbau des Flughafens habe Bedeutung für den gesamten süddeutschen Wirtschaftsraum. Nur: Die Freien Wähler lehnen die dritte Startbahn kategorisch ab. „Keine dritte Startbahn am Flughafen München“, heißt es im Wahlprogramm. Die Forderung könnte ein Knackpunkt der Koalitionsverhandlungen werden.
Zweites Beispiel: Mit seinem Raumfahrtprogramm „Bavaria One“will Ministerpräsident Markus Söder die Raumfahrtforschung in Bayern anschieben. Wirtschaftsvertreter Brossardt hält dies für richtig. „Die Luftfahrt ist ein wesentlicher Pfeiler unserer Industrie und eine große Zukunftstechnologie“, sagt er. „Durch Existenzgründungen können hier auch die Arbeitsplätze der Zukunft entstehen.“Das sagt auch Peter Schwarz vom Luft- und Raumfahrtverband bavAIRia. „Gott sei Dank unterstützt die bayerische Wirtschaftspolitik die Luft- und Raumfahrt“, sagt er. „Der Technologiebereich ist im Kommen, es entstehen neue Geschäftsmöglichkeiten.“Vernachlässige man die Branche, könnte das Geschäft schnell woanders hingehen, zum Beispiel in die USA oder nach China. In unserer Region sind Firmen wie Premium Aerotec oder MT Aerospace wichtige Arbeitgeber. Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger hatte für „Bavaria One“im Wahlkampf aber nur Spott übrig: Statt von „Bavaria One“sprach er von „Bavaria Größenwahn“.
Drittes Beispiel: Die Industrie sorgt sich mit der Abschaltung der Atomkraftwerke um die Energieversorgung im Freistaat. „Auch die Energiepreise müssen stimmen“, betont Wirtschaftsvertreter Brossardt. „Nach unserem heutigen Wissen sind Versorgungssicherheit und wettbewerbsfähige Strompreise für Bayern nur mit den geplanten Gleichstromtrassen aus Norddeutschland machbar“, sagt er. Die Freien Wähler lehnen beide Trassen aber klar ab. „Nein zu Südlink, Südostlink“, heißt es im Wahlprogramm. Stattdessen setzen sie zum Beispiel auf Stromspeicher. Techniken wie Power-to-Gas gelten aber im Großmaßstab als noch nicht marktreif.
Und ein viertes Beispiel: Die Freien Wähler fordern die DieselNachrüstung auf Kosten der Hersteller. „Wir sind nicht die Partei der großen Stromtrassen und der Autolobby“, sagte Freie-WählerChef Aiwanger unserer Zeitung ganz offen. Nur: Die Autoindustrie ist „von überragender Bedeutung für Bayern“, erklärt der Wirtschaftsforscher Karl Lichtblau von IW Consult. In Bayern arbeiten, verglichen mit anderen Bundesländern, auch mehr Beschäftigte in Großbetrieben. Das weiß auch die Wirtschaft. „Wir wollen, dass die Autoindustrie die leitende Industrie im Freistaat bleibt“, sagt Brossardt. „Viele jetzt in der Kritik stehende Fahrzeuge sind legal zugelassen worden“, fügt er zudem an.
Was die künftige Landesregierung betrifft, wünscht sich die bayerische Wirtschaft Stabilität und Klarheit in Berlin. „Dass es mit den Parteien in bestimmten Punkten Übereinstimmung gibt und in anderen nicht, ist ganz normal“, sagt Brossardt. In der Bildungspolitik, der Digitalisierung oder Fachkräftesicherung begrüßt er auch viele Anliegen der Freien Wähler.
Der Politologe Heinrich Oberreuter sieht die Stärke der Freien Wähler statt in der Industriepolitik in einem anderen Bereich. „Die Freien Wähler haben einen guten Draht zum bürgerlichen Mittelstand“, sagt er. Durch ihre kommunalpolitische Ausrichtung stelle die Partei flächendeckend Bürgermeister und Mandatsträger. Auf diesem Weg gebe es eine starke Verbindung in die mittelständische Wirtschaft.
Große Stromtrassen lehnen die Freien Wähler ab