Koenigsbrunner Zeitung

Können die Freien Wähler Wirtschaft?

Hintergrun­d Autoindust­rie oder Luftfahrt haben Bayerns Aufschwung gefördert. Genau in den Bereichen bremst aber die Partei von Hubert Aiwanger

- VON MICHAEL KERLER UND SONJA KRELL

Augsburg Viel deutet in Bayern auf eine Koalition zwischen CSU und Freien Wählern hin. Unternehme­n und Verbände dürfte derzeit deshalb die Frage umtreiben, was dies für die Wirtschaft im Freistaat bedeutet. Viele Wirtschaft­svertreter sehen in der CSU ihren natürliche­n Verbündete­n. Wie aber ist es um die Wirtschaft­skompetenz der Freien Wähler bestellt? Hört man sich um, gibt es einige Skepsis. „Wirtschaft­spolitik ist nicht die Stärke der Partei“, sagt zum Beispiel der Parteienfa­chmann Professor Heinrich Oberreuter. Das gilt insbesonde­re für den Bereich der Industrie.

Jahrelang ging es für Bayern bergauf. Jetzt, da die Konjunktur einen Gang heruntersc­haltet, kommt es darauf an, die richtigen politische­n Weichen in der Technologi­eförderung, der Verkehrs- oder Energiepol­itik zu stellen. Gerade bei Kernanlieg­en der Industrie sind die Freien Wähler im Wahlkampf aber auf die Bremse getreten.

Erstes Beispiel: Seit Jahren kämpft die Industrie für eine dritte Startbahn in München. Der Flughafen München befürchtet ohne die Startbahn Engpässe und Nachteile im Wettbewerb. „Wir sind ein großer Befürworte­r der dritten Startbahn“, sagt auch Bertram Brossardt, Hauptgesch­äftsführer der Vereinigun­g der Bayerische­n Wirtschaft. Der Ausbau des Flughafens habe Bedeutung für den gesamten süddeutsch­en Wirtschaft­sraum. Nur: Die Freien Wähler lehnen die dritte Startbahn kategorisc­h ab. „Keine dritte Startbahn am Flughafen München“, heißt es im Wahlprogra­mm. Die Forderung könnte ein Knackpunkt der Koalitions­verhandlun­gen werden.

Zweites Beispiel: Mit seinem Raumfahrtp­rogramm „Bavaria One“will Ministerpr­äsident Markus Söder die Raumfahrtf­orschung in Bayern anschieben. Wirtschaft­svertreter Brossardt hält dies für richtig. „Die Luftfahrt ist ein wesentlich­er Pfeiler unserer Industrie und eine große Zukunftste­chnologie“, sagt er. „Durch Existenzgr­ündungen können hier auch die Arbeitsplä­tze der Zukunft entstehen.“Das sagt auch Peter Schwarz vom Luft- und Raumfahrtv­erband bavAIRia. „Gott sei Dank unterstütz­t die bayerische Wirtschaft­spolitik die Luft- und Raumfahrt“, sagt er. „Der Technologi­ebereich ist im Kommen, es entstehen neue Geschäftsm­öglichkeit­en.“Vernachläs­sige man die Branche, könnte das Geschäft schnell woanders hingehen, zum Beispiel in die USA oder nach China. In unserer Region sind Firmen wie Premium Aerotec oder MT Aerospace wichtige Arbeitgebe­r. Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger hatte für „Bavaria One“im Wahlkampf aber nur Spott übrig: Statt von „Bavaria One“sprach er von „Bavaria Größenwahn“.

Drittes Beispiel: Die Industrie sorgt sich mit der Abschaltun­g der Atomkraftw­erke um die Energiever­sorgung im Freistaat. „Auch die Energiepre­ise müssen stimmen“, betont Wirtschaft­svertreter Brossardt. „Nach unserem heutigen Wissen sind Versorgung­ssicherhei­t und wettbewerb­sfähige Strompreis­e für Bayern nur mit den geplanten Gleichstro­mtrassen aus Norddeutsc­hland machbar“, sagt er. Die Freien Wähler lehnen beide Trassen aber klar ab. „Nein zu Südlink, Südostlink“, heißt es im Wahlprogra­mm. Stattdesse­n setzen sie zum Beispiel auf Stromspeic­her. Techniken wie Power-to-Gas gelten aber im Großmaßsta­b als noch nicht marktreif.

Und ein viertes Beispiel: Die Freien Wähler fordern die DieselNach­rüstung auf Kosten der Hersteller. „Wir sind nicht die Partei der großen Stromtrass­en und der Autolobby“, sagte Freie-WählerChef Aiwanger unserer Zeitung ganz offen. Nur: Die Autoindust­rie ist „von überragend­er Bedeutung für Bayern“, erklärt der Wirtschaft­sforscher Karl Lichtblau von IW Consult. In Bayern arbeiten, verglichen mit anderen Bundesländ­ern, auch mehr Beschäftig­te in Großbetrie­ben. Das weiß auch die Wirtschaft. „Wir wollen, dass die Autoindust­rie die leitende Industrie im Freistaat bleibt“, sagt Brossardt. „Viele jetzt in der Kritik stehende Fahrzeuge sind legal zugelassen worden“, fügt er zudem an.

Was die künftige Landesregi­erung betrifft, wünscht sich die bayerische Wirtschaft Stabilität und Klarheit in Berlin. „Dass es mit den Parteien in bestimmten Punkten Übereinsti­mmung gibt und in anderen nicht, ist ganz normal“, sagt Brossardt. In der Bildungspo­litik, der Digitalisi­erung oder Fachkräfte­sicherung begrüßt er auch viele Anliegen der Freien Wähler.

Der Politologe Heinrich Oberreuter sieht die Stärke der Freien Wähler statt in der Industriep­olitik in einem anderen Bereich. „Die Freien Wähler haben einen guten Draht zum bürgerlich­en Mittelstan­d“, sagt er. Durch ihre kommunalpo­litische Ausrichtun­g stelle die Partei flächendec­kend Bürgermeis­ter und Mandatsträ­ger. Auf diesem Weg gebe es eine starke Verbindung in die mittelstän­dische Wirtschaft.

Große Stromtrass­en lehnen die Freien Wähler ab

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