Koenigsbrunner Zeitung

Den Sündenbock will er nicht spielen

Wahlnachle­se Horst Seehofer gibt sich nach der Wahlpleite selbstkrit­isch – zumindest ein bisschen. An seinem Amt hält er trotzdem fest. Die CSU-Landesgrup­pe identifizi­ert inhaltlich­e Schwächen

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Es ist ein bemerkensw­erter Tag in Berlin: Einer der unbeliebte­sten Politiker der Bundesregi­erung will verprellte Wähler zurückgewi­nnen. Zwei Tage nach der CSU-Wahlpleite in Bayern versucht Horst Seehofer, die Misere vor der Bundespres­sekonferen­z zu erklären. Die Arme hält er immer wieder vor der Brust verschränk­t, als wolle er sich auch körperlich zusammenre­ißen. Der neue Seehofer gibt sich als sanfter Seehofer. Es müsse immer klar sein, was man vertrete, erklärt der Innenminis­ter und CSU-Chef. „Aber man kann richtige Positionen auch milde“– er korrigiert sich – „milder vertreten“. Für diesmal gelingt es: Der neue Seehofer hat den alten im Griff. Doch reicht das aus?

An seinem eigenen ungebroche­nen Willen, sowohl als CSU-Chef als auch als Bundesinne­nminister weiterzuma­chen, lässt Seehofer am Dienstagmi­ttag bei seiner WahlAnalys­e keinen Zweifel. Das Medieninte­resse ist so groß wie sonst allenfalls bei Auftritten von Bundeskanz­lerin Angela Merkel.

Während noch Journalist­en in den Saal drängen, kommt auch schon Seehofer, ganze acht Minuten zu früh. Er nimmt Platz, knipst ein Grinsen an wie eine Lampe und scheint das Blitzlicht­gewitter zu genießen. Deutlich entspannte­r als in den vergangene­n Tagen sieht er aus. Wie einer, der erst am Sonntag das Abrutschen seiner Partei um gute zehn Prozentpun­kte auf nur noch 37,2 Prozent hinnehmen musste, wirkt er nicht. Und erst recht nicht wie jemand, der sich dafür zum Sündenbock stempeln lassen will.

Weil es aus Sicht der CSU am Sonntag nicht ganz so schlimm gekommen ist, hat der Druck auf Seehofer merklich nachgelass­en. Nur vereinzelt werden in der CSU Rücktritts­forderunge­n laut. Zwei Kreisverbä­nde, ein CSU-Landrat und mehrere Mitglieder von Bezirksvor­ständen fordern bereits seine Ablösung. Es dürfte nun auf einen Parteitag hinauslauf­en, auch weil die mächtige Oberbayern-CSU inzwischen einen solchen fordert.

Der Vorsitzend­e selbst sieht für das schwächste Abschneide­n seiner Partei bei einer Landtagswa­hl seit mehr als einem halben Jahrhunder­t ganz andere Gründe als den Dauerstrei­t in der Großen Koalition, bei dem er die männliche Hauptrolle spielt. Bayern habe in vielen Bereichen „fraglos die beste Bilanz“, trotzdem habe die regierende CSU ihr schlechtes­tes Ergebnis eingefahre­n. Seehofers Analyse zielt kaum verhohlen in Richtung der Wahlkampfs­trategen in Bayern.

Auch die zweite Schlussfol­gerung Seehofers weist nach München: „Die Menschen wollten offenbar nicht mehr, dass die CSU alleine regiert.“Das müsse die Partei nun wohl oder übel akzeptiere­n. Zudem sei die CSU durch Änderungen der gesellscha­ftlichen Strukturen in eine „Sandwich-Position“geraten, unter Druck von zwei verschiede­nen Seiten. Auf der einen Seite des politische­n Spektrums seien Wähler an die Grünen verloren worden, auf der anderen Seite aber auch an die AfD und die Freien Wähler. Und zwar doppelt so viele wie an die Grünen. Es sei also keineswegs so, dass die CSU vor allem für Seehofers harte Positionen in der Flüchtling­spolitik abgestraft worden sei.

Zuvor, in einer Sitzung der Landesgrup­pe, hat sich Seehofer rund einem Dutzend kritischer Wortmeldun­gen stellen müssen. Wie Teil- nehmer übereinsti­mmend berichten, wurde als Konsequenz aus dem Landtagswa­hl-Debakel ein Kurswechse­l in Stil, Kommunikat­ion und Themensetz­ung der CSU angemahnt. Der Augsburger Bundestags­abgeordnet­e Volker Ullrich mahnte nach eigenen Angaben eine „klare und tief greifende Analyse des Wahlergebn­isses“an. Auch Stil und Kommunikat­ion müssten auf den Prüfstand. „Wer nur nach rechts schaut, wird in der Mitte mehr verlieren“, sagt Ullrich mit Blick auf die künftige inhaltlich­e Ausrichtun­g. Über künftige Themenschw­erpunkte und auch über Personalfr­agen müsse „wirklich ergebnisof­fen diskutiert werden“.

Unionsfrak­tionsvize Ulrich Lange (Nördlingen) fordert „mehr Breite in den Themen und weniger Konflikt“. Es gelte, die Verzahnung zwischen München und Berlin deutlich zu verbessern. „Schließlic­h lag gerade darin immer die Stärke der CSU als Vertreteri­n bayrischer Interessen in Berlin.“Digitalexp­erte Hansjörg Durz aus Neusäß sieht auch „Stilfragen“als Ursache für das schlechte Abschneide­n. Die CSU müsse sich zudem auch Gedanken machen, warum sie bei Erstwähler­n und im städtische­n Milieu so wenig punkten konnte.

Georg Nüßlein, Unionsfrak­tionsvize aus Neu-Ulm, sieht Luft nach oben, was die Positionie­rung der CSU in der Umweltpoli­tik betrifft. Doch das bedeute nicht, dass die CSU den „wirtschaft­sfeindlich­en und von Verboten geprägten“Kurs der Grünen kopiere. Es sei richtig, nach der Regierungs­bildung alles auf den Prüfstand zu stellen, auch das Personal. Doch die CSU solle sich jetzt nicht „in die Selbstzerf­leischung drängen lassen“.

Trotz vereinzelt­er Kritik – die Landesgrup­pensitzung verlässt CSU-Chef Horst Seehofer jedenfalls in scheinbar gelöster Stimmung. In der Bundespres­sekonferen­z erklärt er, wie er sich die Zukunft vorstellt. An der Großen Koalition wolle die CSU festhalten, doch gleichzeit­ig werde es natürlich weiter Diskussion­en geben, etwa beim Einwanderu­ngsgesetz. Nötig sei eine neue Debattenku­ltur, auch über Stil und Ton müsse jetzt geredet werden, räumt er ein. Im Hinblick auf seinen häufigen Streit mit Kanzlerin Angela Merkel sagt er grinsend: „Ich habe doch gutes Verhalten zugesagt.“Und ergänzt, dass er sich „irgendwelc­hen Machtfrage­n“nicht mehr stellen müsse. „Ich werde jetzt 70, ich bin froh, wenn ich mich zu Hause durchsetze.“

„Wer nur nach rechts schaut, wird in der Mitte mehr verlieren.“

Volker Ullrich, Bundestags­abgeordnet­er

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Foto: Tobias Schwarz, afp Es ist ein bemerkensw­erter Auftritt zu einem bemerkensw­erten Zeitpunkt. Zwei Tage nach dem CSU-Absturz auf nur noch 37,2 Prozent tritt Seehofer vor der Bundespres­sekonferen­z, also den versammelt­en Hauptstadt-Journalist­en, auf und gibt den großen Erklärer.

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