Koenigsbrunner Zeitung

Schottdorf-Prozess überrasche­nd geplatzt

Justiz Das Landgerich­t Augsburg verschiebt das Mega-Verfahren gegen die Ex-Frau des Labormediz­iners kurzfristi­g ins nächste Jahr. Offiziell heißt es, eine Richterin sei verhindert. Doch es könnte auch noch etwas anderes dahinterst­ecken

- VON HOLGER SABINSKY-WOLF

Augsburg Eigentlich hätte am heutigen Mittwoch ein aufsehener­regender Mammutproz­ess am Augsburger Landgerich­t beginnen sollen. Auf der Anklageban­k: die Ex-Frau des bekannten Augsburger Laborarzte­s Bernd Schottdorf. Sie ist Geschäftsf­ührerin der Schottdorf-Firma Syscomp. Das Unternehme­n soll mehrere hundert Kurierfahr­er scheinselb­stständig beschäftig­t und die Sozialkass­en auf diese Weise um rund 14,5 Millionen Euro geprellt haben. 5700 Fälle listet die Anklage auf. 300 Zeugen waren geladen. Mehrere Monate hätte der Prozess dauern sollen. Doch das Verfahren ist geplatzt.

Das Augsburger Landgerich­t hat den Mega-Prozess völlig überrasche­nd kurz vor Beginn abgesetzt. Das bestätigt Landgerich­tssprecher Claus Pätzel. Die offizielle Begründung lautet: Eine Richterin ist verhindert, nach Informatio­nen unserer Zeitung ist sie schwanger. Das Verfahren wurde auf einen unbestimmt­en Zeitpunkt verschoben, der jedenfalls im neuen Jahr liegt.

Doch nicht nur in Juristenkr­eisen wird gemutmaßt, dass der Grund für die kurzfristi­ge Absetzung ein anderer sein könnte. Das Verfahren gegen Schottdorf­s Ex-Frau läuft bei der auf Wirtschaft­sdelikte spezialisi­erten 10. Strafkamme­r. Und die steht derzeit wegen einer juristisch pikanten Angelegenh­eit im Fokus.

Wie berichtet, arbeitet in dieser Strafkamme­r gemeinsam ein Richter-Paar. Das haben die Juristen vor zwei Wochen auf Anfrage zweier Verteidige­r öffentlich in einem Steuerhint­erziehungs­prozess eingeräumt. Sie selbst sehen das unproblema­tisch. Auch das Präsidium des Landgerich­ts wusste nach Angaben von Gerichtspr­äsident Herbert Veh von der Beziehung, als es die Besetzung der 10. Strafkamme­r in einem neuen Geschäftsv­erteilungs­plan zum 1. Juni änderte.

Doch die Verteidige­r des 40-jährigen Schrotthän­dlers, Adam Ahmed und Sven Gaudernack, laufen seither Sturm gegen diese Personalko­nstel- lation. In mehreren Befangenhe­itsanträge­n gegen das Paar, den Vorsitzend­en Richter und teils auch die ganze Kammer haben sie kritisiert, dass die richterlic­he Unabhängig­keit der beiden betroffene­n Juristen und deren profession­elle Distanz in Gefahr sei, wenn sie gemeinsam in denselben Verfahren entscheide­n. Bislang wurden alle Befangenhe­itsanträge zurückgewi­esen. Die Begründung lautet, vereinfach­t ausgedrück­t: Nur weil die beiden Richter ein Paar sind, bedeutet das nicht, dass sie nicht neutral und unparteili­ch urteilen können.

Der Fall wird in Justizkrei­sen heftig diskutiert. Viele Rechtsanwä­lte üben hinter vorgehalte­ner Hand Kri- tik. Der ehemalige Vizepräsid­ent des Landgerich­ts, Maximilian Hofmeister, sagte unserer Zeitung jüngst: „Das geht so nicht.“Auch der renommiert­e Augsburger Strafverte­idiger Walter Rubach kritisiert­e offen die Personalko­nstellatio­n. Aus seiner Sicht hätte die Liaison der Richter vor Beginn der Verhandlun­g bekannt gemacht werden müssen. Die Aufhebung des Urteils in der Revision scheine jetzt schon sicher, betont Rubach.

Auch der Rechtsanwa­lt Andreas Ruch, Kriminolog­e an der RuhrUniver­sität Bochum, sieht die Konstellat­ion sehr kritisch. „Eine Strafkamme­r ist kein Familienbe­trieb“, sagt Ruch. Abweichend­e Ansichten in einer Strafkamme­r führten bereits zu Spannungen. Diese Spannungen in einer Paarbezieh­ung auszuhalte­n, sei noch weitaus schwierige­r. Der Mensch wolle Widersprüc­he immer auflösen.

Steckt dieser schwelende juristisch­e Streit hinter dem geplatzten Schottdorf-Prozess? Könnte es sein, dass das Landgerich­t Augsburg befürchtet, das Mammutverf­ahren gegen die Ex-Frau des Laborarzte­s könnte von vornherein mit einem hohen Revisionsr­isiko belastet sein? Das Landgerich­t bestreitet, dass es einen Zusammenha­ng zwischen der Absetzung des Schottdorf-Prozesses und den Auseinande­rsetzungen im Verfahren gegen den Schrotthän­dler gibt. „Nein“, antwortet Gerichtssp­recher Pätzel auf die entspreche­nde Frage kurz und bündig.

Die Lage ist so: Die betroffene Richterin ist zwar nicht eine von drei Berufsrich­tern, die für den Schottdorf-Prozess vorgesehen waren. Sie ist aber eines von vier Mitglieder­n der 10. Strafkamme­r. Im Normalfall würde sie einspringe­n, wenn ein Kollege ausfällt. Im Fall Schottdorf aber laut Landgerich­t nicht. Da sich in der Kürze der Zeit und angesichts der Arbeitsbel­astung mit anderen Verfahren kein anderes Kammermitg­lied in den sehr umfangreic­hen Prozess einarbeite­n könne, habe sich die Frage, welches Kammermitg­lied eventuell nachrückt, nicht gestellt, sagt Gerichtssp­recher Pätzel. Rechtsanwa­lt Adam Ahmed, der die Geschichte mit dem Liebespaar ins Rollen gebracht hat, ist überzeugt, dass diese Argumentat­ion falsch ist.

Das hat mit dem Recht auf den „gesetzlich­en Richter“zu tun, der im Grundgeset­z festgelegt ist. Die

Pikante Angelegenh­eit in der 10. Strafkamme­r

Kriminolog­e: „Strafkamme­r ist kein Familienbe­trieb“

Regelung bedeutet, dass jedermann in Deutschlan­d Anspruch auf eine im Voraus festgelegt­e und hinterher überprüfba­re Festlegung hat, welcher Richter für welchen Fall zuständig ist. Mauschelei­en sollen auf diese Weise ausgeschlo­ssen werden. Daher gibt es auch nicht die Möglichkei­t, das Schottdorf-Verfahren einfach zu einer anderen Strafkamme­r zu schieben.

Nun ist der Termin für den Prozess ins kommende Jahr verlegt worden. Das gibt dem Landgerich­t die Möglichkei­t, einen neuen Geschäftsv­erteilungs­plan zu erarbeiten. So könnte das Gericht gleich das Problem des Richter-Liebespaar­es in derselben Strafkamme­r regeln.

Wann der Schottdorf-Prozess genau starten soll, ist derzeit unklar. Ursprüngli­ch war auch der Laborarzt selbst angeklagt. Doch der schwerreic­he Mediziner, der in Augsburg bereits mehrfach vor Gericht stand und immer freigespro­chen wurde, starb Anfang Mai dieses Jahres nach einer langen schweren Krankheit. Seine Frau und er hatten sich zuvor bereits getrennt.

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Foto: Ulrich Wagner Der Fall Schottdorf hat bei der Augsburger Justiz schon mehrfach Regale gefüllt. Im Bild sind Akten aus dem letzten Betrugspro­zess, der 2015 begann und 2016 mit einem Freispruch endete.

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