Koenigsbrunner Zeitung

Erste Lektion: Pusten statt Schlucken

Schwimmkur­s Immer weniger Kinder in Bayern können schwimmen. Zu wenig Lehrer an den Schulen, Platzmange­l in den Bädern – die Gründe dafür sind vielfältig. Doch es geht auch anders, wie ein Beispiel aus Augsburg zeigt

- VON FELICITAS LACHMAYR

Augsburg Mit dem Schwimmbre­tt im Nacken strampeln die Drittkläss­ler der Sankt-Anna-Grundschul­e die Bahn auf und ab. „Ihr macht das super“, ruft Lehrerin Lisa Janßen vom Beckenrand aus. „Und denkt daran: Bauchnabel raus und Blick an die Decke, dann geht es leichter.“Noch zwei Bahnen, dann steigen die acht Schüler aus dem Wasser – bereit für die nächste Übung: vom Startblock springen.

Dass die Kinder im Augsburger Plärrerbad Schwimmunt­erricht bekommen, ist keine Selbstvers­tändlichke­it. Eine Forsa-Umfrage aus dem vergangene­n Jahr ergab, dass nur 36 Prozent der jetzt 14- bis 29-Jährigen in der Grundschul­e Schwimmen lernten. Zum Vergleich: Bei den über 60-Jährigen waren es noch 56 Prozent. Die Folge: 60 Prozent der zehnjährig­en Kinder in Deutschlan­d können nicht sicher schwimmen. Zwar ist der Schwimmunt­erricht im bayeri- schen Lehrplan fest verankert. Doch in der Praxis fällt er oft ins Wasser. Nicht alle Lehrer haben die nötige Zusatzqual­ifikation – das Rettungssc­hwimmerabz­eichen in Bronze. Dem Gesetz nach geht eine Lehrkraft alleine mit einer Klasse zum Schwimmunt­erricht. Aber viele Lehrer scheuen sich davor. Zu hoch ist die Verantwort­ung.

Lisa Janßen von der Sankt-AnnaGrunds­chule in Augsburg kann das verstehen. „28 Kinder gleichzeit­ig im Wasser zu beaufsicht­igen geht einfach nicht“, sagt sie. „Wenn ich alleine wäre, würde ich immer einen Teil der Klasse draußen lassen.“Denn wie soll man Nichtschwi­mmer und Schwimmer gleichzeit­ig unterricht­en? Doch Janßen hat Glück. Sie ist nicht allein im Schwimmbad.

Die Lehrerin bekommt Unterstütz­ung von Schwimmtra­inerin Doris Lippmann von der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellscha­ft (DLRG). Denn die Sankt-AnnaGrunds­chule ist eine von 21 Grundschul­en in der Region, die am Pro- jekt „Augsburger Kids auf Schwimmkur­s“teilnehmen. Die Grundschul­en bekommen Übungsleit­er der DLRG zur Seite gestellt, um einen effektiven Schwimmunt­erricht gewährleis­ten zu können.

Während Janßen vom Beckenrand aus mit den Kindern übt, die schon sicherer im Wasser sind, kümmert sich Lippmann um die Nichtschwi­mmer. Und springt dafür auch selbst ins Wasser. „So kann ich den Kindern viel einfacher Übungen vormachen“, sagt sie. Ein Grundschul­lehrer dürfe das schon wegen der Aufsichtsp­flicht nicht.

Schritt für Schritt bringt Lippmann den Schülern bei, sich über Wasser zu halten. Das fängt mit den einfachste­n Übungen an: im Wasser laufen, sich mit Körperspan­nung treiben lassen, den Kopf unter Wasser stecken und dabei pusten, anstatt zu schlucken. „Es gibt Kinder, die waren noch nie in ihrem Leben im Schwimmbad“, erzählt Lippmann. Die Situation an den Schulen sei eine Sache. Aber es sei auch Pflicht der Eltern, mit ihren Kindern regelmäßig ins Schwimmbad zu gehen. Nicht, um zu planschen, sondern um zu schwimmen. „Einmal Sommerferi­en ohne Schwimmen reicht, dass das Niveau zu Schulbegin­n wieder abgenommen hat“, weiß Lippmann. Oft schätzten Eltern die Schwimmfäh­igkeit ihrer Kinder auch falsch ein. „Wenn ein Kind das Seepferdch­en hat, ist es noch kein sicherer Schwimmer“, sagt Lippmann. Erst mit dem Jugendschw­immabzeich­en in Bronze stuft die DLRG Kinder als sichere Schwimmer ein.

Ein weiteres Problem ist der Mangel an Bädern. „Die Nachfrage nach Schwimmunt­erricht ist sehr hoch, aber uns fehlt der Platz“, sagt Lippmann. Ein Blick auf den Belegungsp­lan zeigt: Die Bäder in Augsburg sind voll. Teilweise schwimmen fünf Schulklass­en gleichzeit­ig in einem Becken. Manchmal sind noch Bahnen für die Öffentlich­keit gesperrt. Da bleibt nicht viel Platz zum Trainieren. Das Problem kennt auch Lehrerin Janßen. „Ich musste schon mit einer Klasse auf einer halben Bahn üben“, erinnert sie sich. Entspreche­nd hoch sei der Lärmpegel im vollen Schwimmbad. Ohne klare Regeln und Disziplin geht da nichts. „Ich muss mich auf die Kinder verlassen können, dass niemand einfach ins Wasser springt. Und wenn ich sage, duschen und danach auf der Bank warten, muss das funktionie­ren.“Lehrerin Janßen ist froh über die Unterstütz­ung der DLRG. „Die Übungsleit­er sind sehr routiniert, ich lerne einiges von ihnen.“Und das Wichtigste: Die Kinder machen schnell Fortschrit­te.

Die achtjährig­e Amelie hat Spaß am Schwimmunt­erricht. Mit dem Brett in der Hand die Bahn entlang zu schwimmen, ist zwar nicht ihre liebste Übung. „Da tun die Arme schnell weh“, sagt die Drittkläss­lerin. Umso mehr freut sie sich aufs Tauchen und Springen. „Ich bin schon vom 3-Meter-Brett gehüpft.“Das kann nicht jedes Grundschul­kind von sich behaupten.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Schwimmtra­inerin Doris Lippmann (rechts) bringt den Drittkläss­lern der Sankt-Anna-Grundschul­e in Augsburg das Schwimmen bei. Am Ende des Kurses wissen die Schüler, wie man brustschwi­mmt, taucht und vom Einmeterbr­ett springt. Das ist nicht selbstvers­tändlich. Denn immer weniger Kinder in Bayern können schwimmen.
Foto: Ulrich Wagner Schwimmtra­inerin Doris Lippmann (rechts) bringt den Drittkläss­lern der Sankt-Anna-Grundschul­e in Augsburg das Schwimmen bei. Am Ende des Kurses wissen die Schüler, wie man brustschwi­mmt, taucht und vom Einmeterbr­ett springt. Das ist nicht selbstvers­tändlich. Denn immer weniger Kinder in Bayern können schwimmen.

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