Der Mann für einen Sommer
Jeden Tag das immer gleiche Gesicht. Jeden Tag. Friedliebende Arbeitnehmer entwickeln sich zu geifernden Gefährdern. Zwischen Frühstück und Abendessen sind sie ihm ausgeliefert: dem Chef. Er schafft an. Er weiß es besser. Er bestimmt über den Tagesrhythmus. Weil: Er ist der Chef. Den vernünftigen Boss zeichnet aus, dass er (oder sie) den Angestellten Freiräume lässt. Sowohl gestalterische als auch räumliche. Das eine dient der Selbstverwirklichung, das andere Lästereien über den Vorgesetzten. Das befreit.
Sportler führen sich gerne auf wie eine Ich-AG, sind aber doch auch einem Arbeitgeber dazu verpflichtet, Leistung zu bringen. Ihr Chef: der Trainer. Keine Mannschaft, in dem sich nicht die Spieler über ihren Trainer lustig machen. Der kann umgänglich sein, sich für den Weltfrieden einsetzen und das Team jeden Samstag zu Schnapsrunden einladen, egal. Er hat garantiert einen Sprachfehler oder große Ohren. Torwart und Stürmer, Ergänzungsspieler und Leistungsträger zeigen in gemeinsamen Tiraden mannschaftlichen Zusammenhalt.
Was aber tun als Einzelsportler? Wie sollen sich auf dem Tennisplatz Wut, Zorn, Abscheu und Unzufriedenheit Bahn brechen? Dem Coach ins Gesicht brüllen? Geht – ist aber mit gewachsenen Umgangsformen schwer vereinbar. Das permanente Zertrümmern von Schlägern geht ins Geld und hält die Einheiten auch zeitlich auf. Besonders schwer macht es offenbar Wim Fissette seinen Schützlingen. Der Belgier hat einige der besten Tennisspielerinnen der Welt trainiert. Seit 2013 arbeitete er nacheinander mit Sabine Lisicki, Simona Halep, Viktoria Asarenka, Sara Errani, Johanna Konta und Angelique Kerber. Die Deutsche führte er aus der sportlichen Krise zum Wimbledon-Sieg. Er ist ein Erfolgstrainer. Er ist ein Mann für einen Sommer. Da hilft kein Schläger werfen, kein Wutausbruch. Länger hält es keine der Spielerinnen mit dem Belgier aus. Er ist der Peter Neururer des Frauentennis.
Mit dem einen Nachteil, dass das Verhältnis zwischen Chef und Angestellten im Tennis eine außergewöhnliche Konstellation hat. Hier nämlich hat letztlich der Spieler das Sagen. Und Fissette kann lästern.